Träume

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„Was machst du da?"

Henry erschrak, als er seinen Vater mit der Hand am Lichtschalter in der Tür stehen sah. Er war gerade aufgewacht und kniff die Augen leicht zu, da das Licht ihn blendete.
„Gar nichts", antwortete Henry nach ein paar Sekunden.

Er ließ den kalten Waschlappen auf dem Tisch liegen und ging langsam an seinem Vater vorbei. Er schaute ihn nicht an. Butch Bowers sah seinem Sohn zu, wie er sich schwerfällig ins Zimmer schleppte.

Mit einem leisen Stöhnen warf Henry sich wieder auf sein Bett und versuchte einzuschlafen. Er hatte keine Lust wieder zu warten, bis sein Vater eingeschlafen war, auch wenn es vermutlich nicht lange dauern würde.

Er drehte sich auf die linke Seite und sah aus dem Fenster. Das Mondlicht schien ihm ins Gesicht und erhellte sein Zimmer ein wenig. Es war Vollmond.

Bei Vollmond konnte Henry nicht gut einschlafen. Er wachte alle halbe Stunde auf und war hell wach. Es lag nicht an dem Licht, es muss an irgendetwas anderem gelegen haben. Aber darüber zerbrach Henry sich nicht den Kopf. Schließlich hatte er weit aus andere Probleme, als bei Vollmond nachts aufzuwachen.

Er hörte, wie sein Vater sich in den Sessel warf und den Fernseher anschaltete. Es war jedoch nicht zu laut, er hatte ihn schon leiser gestellt. Henrys Augen fielen immer mehr und mehr zu, bis er es schaffte einzuschlafen.

Er hatte einen merkwürdigen Traum. Er lief ganz normal mit seiner Gang durch Derry, alles war so wie immer. Doch er hatte das Gefühl, jemand verfolgte ihn. Der jenige kam immer näher und näher und als Henry sich umdrehte sah er nur eine Silhouette, nur ein Schatten.

Er erkannte kein Gesicht, kein gar nichts. Vom Körperbau her könnte es ein Mann gewesen sein. Die Figur war schon groß und angsteinflößend. Sie tauchte im Traum immer dann auf, wenn die Bowers Gang außer Reichweite war und das auch nur 3 Mal. Doch das war nicht alles. Wenn die Figur da war, waren seine Freunde wie eingefroren, bewegten sich kein Stück. Sie sahen diese Figur auch nicht, wenn Henry sie drauf ansprach. Auch wenn diese Figur schon bedrohlich aussah, hatte Henry keine wirklich Angst vor ihr, sondern wollte einfach nur wissen, was es damit auf sich hatte. Sobald er nur einen Muskel rührte verschwand die Gestalt wieder.

Am nächsten Morgen wachte Henry sehr spät auf. Den Traum hat er schon fast wieder vergessen. Es kam öfter vor, dass er von Alpträumen geplagt wurde. Die Schuld daran gab er seinem Vater. Er war der Meinung, dass er die ganzen Misshandlungen in seinen Träumen verarbeiten würde. Hier und da träumte er auch davon, dass sein Vater ihn vor den Augen hunderte Menschen in Derry erschießen würde. Es war grauenvoll.

Vielleicht sollte die Gestalt aus seinem Traum vergangener Nacht auch seinen Vater darstellen? Das diese Gestalt ihn umbringen wollte, so wie sein Vater ihn in den Träumen davor? Es könnte alles bedeuten. Eine wirkliche Antwort gab es nicht. Auch sonst wurde die Bowers Gang von niemandem verfolgt, jedenfalls nicht, dass sie wüssten. Immerhin wollte niemand ihnen über den Weg laufen. Man hatte schließlich Angst vor diesen Raufbolden.

Henry wollte nicht aufstehen und zog sich die Decke über den Kopf. Andererseits wollte er jedoch nicht den Tag im Haus bei seinem Vater verbringen und entschied sich nach einer Weile aufzustehen.

Er zog sich sein Shirt an, richtete sich die Haare ein wenig und lief ins Wohnzimmer, wo sein Vater schon auf ihn wartete.

„Wieso hast du gestern Abend nicht mehr gearbeitet?"

Butch sah seinen Sohn vorwurfsvoll an.

„Hab ich doch", sagte Henry und lief zum Fenster um sich noch einmal davon zu überzeugen, dass der Garten schon besser aussah.

„Du weißt, ich mag das nicht, wenn du mich anlügst!"

„Aber Dad..."

„Halt den Mund!", unterbrach Butch seinen Sohn, der gerade versuchte, sich gegen seinen Vater aufzulehnen.

Henry war augenblicklich still und lief zur Tür.

„Wo willst du schon wieder hin?"

„Raus... mit den Jungs", antwortete Henry leise und bewegte nervös seine Finger.

„Kommt nicht in Frage! Du gehst raus und arbeitest!"

„Dad, ich..."

„Widersprich mir nicht! Raus mit dir!"

Sein Vater schlug auf den Tisch und brüllte ihn an.

Henry hatte keine Wahl, ging in den Garten und machte sich genervt an die Arbeit.

Auf einmal hörte er, wie die Haustür ins Schloss fiel und sah vorsichtig um die Ecke der Veranda, wo er gerade den Zaun streichen wollte.

Sein Vater ging aus dem Haus, setzte sich ins Auto und fuhr weg.

Henry wartete bis sein Vater außer Sichtweite war und nutze seine Chance. Er warf den Pinsel weg und lief los.

The Story of Henry Bowers Where stories live. Discover now