Kapitel 81 - Déjà-vu

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"Seid ihr endlich fertig mit eurem Gruppenkuscheln und kommt wieder ins Wasser?", rief Dag uns vom Wasser aus zu und kurze Zeit später lösten wir Mädels uns voneinander.
Schnell verstauten wir unsere Sachen und rannten gleichzeitig zurück zu den Jungs ins kühle Nass.
Wir tauchten und schwammen um die Wette, zeigten Kunststücke wie einen Handstand oder eine Vorwärtsrolle und veranstalteten noch einmal eine Wasserschlacht.
Mittlerweile hatten wir es 14Uhr und ein paar weitere Badegäste hatten diesen Ort entdeckt und sich dort niedergelassen, sodass die idyllische Ruhe nicht mehr vorhanden war.
Jana, Franzi und Dag hatten beschlossen ein wenig Sonne zu tanken, was bei meiner blassen Haut gar keine Wirkung gehabt hätte - abgesehen davon, dass ich nach einem Sonnenbad vermutlich puderrot aussah.
Also blieb ich im Wasser und spielte gemeinsam mit Vincent ein wenig Ball.
"Du bist viel zu groß, so schaffe ich es doch nie, einen Punkt gegen dich zu erzielen.", lachte ich leise und warf den Ball schwungvoll in seine Richtung.
"Soll ich mich für dich kleiner machen? Ich kann sonst auch etwas weiter hinein ins Wasser gehen.", grinste er mich an.
"Wie ehrenvoll von dir. Aber nein, ich werde dich auch so schlagen."
"Ziemlich selbstsicher ist da jemand."
Vincent fing den Ball gekonnt ab und schlug ihn daraufhin in meine Richtung.
Mit aller Kraft sprang ich aus dem Wasser und streckte mich nach vorne, um an den Ball heran zu kommen. Allerdings flog er direkt über mich und ich landete mit einem halben Bauchklatscher im Wasser.
Der junge Berliner watete durch das Wasser, bis er bei mir ankam und mir wieder auf die Beine half.
"Siehst du, zuviel Selbstsicherheit ist nicht gut."
"Du bist so blöd.", sagte ich und spritzte ihn mit Wasser voll.
"Immer noch so vorlaut?", fragte er mit einer hochgezogenen Augenbraue und hielt eine Hand von mir fest, damit ich nicht noch mehr Wasser auf ihn schleudern konnte.
"Festhalten zählt nicht!"
Mit einem kurzen Lacher schnappte Vincent auch nach meinem zweiten Handgelenk, welches er sanft umschloss.
"Ziemlich frech, Hr. Stein. Sie spielen mit unfairen Mitteln.", lächelte ich und sah dabei zu ihm auf, direkt in seine braunen Augen, die fast zu strahlen schienen.
"Ich hab da gerade ein ganz gewaltiges Déjà-vu vor Augen.", gab er leise zu und ich musste zugeben, das ich überrascht von seiner Aussage war.

Abgesehen davon, dass fast ein Jahr vergangen war und unsere Beziehung mittlerweile eine andere war als vorher, so schienen wir diesen Augenblick schon einmal erlebt zu haben. Obwohl wenn ich so recht darüber nachdachte, war unsere Beziehung vielleicht gar keine so andere, als damals. Hatten wir nicht damals auch irgendwo Gefühle füreinander, die wir nicht so richtig aussprechen konnten? Klar, hinter uns liegt eine verdammt lange Zeit mit Hoch und Tiefs, aber wenn wir vom Grundlegenden einmal ausgehen, dann waren wir gerade in der selben Gefühlsposition wie damals.
"Daran erinnerst du dich noch.", fragte ich leise und eigentlich war es auch eher eine rethorische Frage.
"Wie könnte ich einen der glücklichsten Tage in meinem Leben jemals vergessen?", fragte er mich und schenkte mir dabei ein liebevolles Lächeln.
Mein Blick wanderte von seinem Gesicht hinüber zu seinen tätowierten Armen. Noch immer faszinierte mich dieser Anblick, die Schriftzüge, der Hai und...
"Ist das neu?", fragte ich ihn überrascht und deutete auf ein Tattoo, welches kaum erkennbar über seiner linken Brust lag.
"Du hast es endlich bemerkt.", schmunzelte er und nickte dann leicht. "Ja, ich habe es mir vor knapp einem Monat stechen lassen."
Ich nahm nicht wirklich wahr, was Vincent darauf erwidert hatte, sondern begutachtete lieber den zarten Schriftzug, welcher sich mir nun präsentierte.
"Römische Zahlen? Ich wusste nicht, dass das so dein Stil ist."
"Ich empfand es so schöner, als die Zahlen normal auszuschreiben."
"Ich bin wirklich schlecht in so etwas, was genau steht da für eine Zahl?", wollte ich von ihm wissen.
"Tja meine Liebe, das musst du dann wohl selbst herausfinden.", grinste der Berliner mich frech an.
"Wie gemein von dir. Dann werde ich das vielleicht auch tun.", schmollte ich und wandte mich meiner Aufmerksamkeit und meinem Blick wieder ganz seinem Gesicht zu.
"Es war wirklich einer deiner schönsten Tage?", fragte ich leise, so als hätte ich erst jetzt realisiert, was er zuvor gesagt hatte.
"Natürlich. Der Tag, an dem ich mich endlich getraut habe, dir meine Gefühle zu offenbaren."
"Das war auch einer meiner schönsten Tage. Ich habe diese Zeit wirklich sehr genossen.", gab ich zu.
"Ich auch."
Unsere Stimmen waren kaum mehr als ein Flüstern und der Abstand zwischen unseren Körpern war nicht mehr ganz so groß wie am Anfang.

Vorsichtig lehnte Vincent seine Stirn gegen die meine und wie von selbst schlossen sich meine Augen.
Meine Hände legten sich auf seine Unterarme, was er mich gleich tat.
Mit klopfendem Herzen atmete ich tief ein und wieder aus.
Es wäre so einfach gewesen, ihn in den Arm zu nehmen und alles Geschehene hinter mir zu lassen. Es wäre so einfach, ihm zu vergeben und mich den Gefühlen hinzugeben. Wir hätten uns vermutlich geküsst und wären Hand in Hand aus dem Wasser gegangen. Unsere Freunde hätten uns mit freudigen Gesichtern in Empfang genommen und alles wäre wieder so schön gewesen. Vielleicht hätte ich sogar bei Vincent einziehen können, so wie wir es vor einem halben Jahr geplant hatten.
Das Leben jedoch war nicht einfach.
Ich hätte mich dem Ganzen gerne vollkommen hingegeben. Aber zuerst musste ich noch diese eine Sache wissen. Ich brauchte Klarheit über die Vergangenheit. Und ich wusste, dass mir nur eine Person diese Klarheit geben konnte.
"Du Whynee?", fragte ich ihn leise.
"Hm?"
"Ich... ich möchte dich um einen Gefallen bitten."
"Alles was du willst.", flüsterte er.
"Ich möchte, dass du mir die Nummer von Maja gibst."

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