Kapitel 55 - Vermissen

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"Mir ist so schlecht."
"Ach wirklich? Tja, bei dem was du gestern Abend auch alles getrunken hast, ist das kein Wunder, dass du dich so fühlst. Du hast wirklich übertrieben." Jana stand im Türrahmen des Badezimmers und warf einen Blick auf mich kleines Häufchen Elend, welches zusammen gekauert vor der Toilette saß.
"Es war gar nicht so viel.", beteuerte ich und stieß kurz auf.
"Fiona, du hast zwei Flaschen fast alleine geleert. Also ich habe ja nichts dagegen, wenn man mal ausgelassen feiert, aber wir beide wissen genau, warum du das gemacht hast."
Ich winkte schnell ab und schloss meine Augen, die ich jedoch sofort wieder öffnete, nachdem mir schwindelig wurde.
"Hör zu ... ich weiß, dass du gerade eine schwierige Zeit durch machst. Vincent ist auf Tour und wird auch noch von seiner Ex begleitet, das ist wirklich kein schönes Szenario. Sich aber zu betrinken, in der Hoffnung alles irgendwie vergessen zu können, ist jedoch das sinnloseste was du machen kannst. Stattdessen solltest du ihm einfach vertrauen und dich auf das Konzert in Hamburg freuen. Und bald ist die Ausbildung auch vorbei und ihr seht euch dann ständig. Vielleicht wünscht du dir dann wieder mehr Zeit ohne ihn.", lachte sie und tätschelte mir den Kopf.
Dann ließ sie mich alleine zurück.
Mit einem brummenden Kopf warf ich mir zwei Tabletten rein und trottete dann in mein Bett zurück. Meine Eltern waren zum Glück z.Z in Berlin, bei Vincent seinen Eltern, sodass sie dieses Elend hier nicht mit bekommen mussten.

Jana verschwand irgendwann gegen Mittag und hatte mir zuvor noch etwas zu Essen geholt.
Die gestrige Party war wirklich eskaliert und so viel Alkohol wie ich getrunken hatte, trinke ich sonst eigentlich innerhalb von sechs Monaten gefühlt.
Jana hatte Recht, ich wollte vergessen, den Schmerz, die Tatsache, das Maja bei Vincent war, den Streit zwischen meinen beiden Lieblingsberlinern. Ich wollte irgendwie alles vergessen, was in letzter Zeit zu Kopf zerbrechen bei mir führte. Alkohol war für mich die Lösung, aber sie war definitiv die Falsche.
Seufzend wälzte ich mich hin und her und griff schließlich nach meinem Handy, um Vincent anrufen zu können. Piep. Piep. Piep. Piep.
Immer wieder ertönte dieses Geräusch, aber ein Vincent nahm nicht ab. Vielleicht schlief er noch oder war gerade mit Proben beschäftigt. Oder mit anderen Dingen...
Schnell schüttelte ich den Kopf und wälzte mich erneut hin und her. Nein, diese Gedanken durfte ich mir erst gar nicht machen. Sie würden nur zu noch mehr Schmerz beitragen und das hatte ich nicht nötig. Ich vertraute Vincent, er würde nichts tun, was mich verletzen würde.
Unsere letzten gemeinsamen Tage waren so schön und wir haben beide deutlich klar gemacht, dass im Sommer sich alles ändern würde. Wir würden zusammen ziehen und die Welt bereisen - zumindest einen Teil davon. Ich würde vielleicht mit in die Musikbranche einsteigen und ihn bei seiner Arbeit als Musiker und Produzent unterstützen. Wir malten uns unsere Zukunft bis ins kleinste Detail aus. So etwas wirft man nicht einfach weg. Das tat auch er nicht.

Am späten Nachmittag ging es mir einigermaßen wieder besser. Ich konnte mich durch die Wohnung bewegen, ohne einen Schwindelanfall zu bekommen. Das Essen behielt ich zum Glück auch bei mir und so konnte ich es mir auf der Couch im Wohnzimmer gemütlich machen. Gerade als ich mich lang machen wollte, klingelte mein Handy.
"Hey, tut mir Leid, dass ich mich erst jetzt melde. Ich hab gesehen, dass du angerufen hattest."
"Schon gut, war nichts wichtiges.", nuschelte ich.
"Ich muss mein Handy irgendwie verlegt haben. Naja, wie geht es dir denn? Wie war die gestrige Party?", fragte Vincent mich gut gelaunt.
"Ganz gut. Die Party war schön, viel gelacht und getrunken."
"Hast du einen Kater? Du klingst so anders."
"War etwas viel gestern, ja.", gab ich leise zu und seufzte.
"Soll ich später noch einmal anrufen? Nach dem Konzert?", fragte er mich besorgt.
"Nein, nein. Es ist schon okay. Du musst auch nicht immer anrufen, ich weiß ja, wie beschäftigt du bist."
"Fiona, wenn ich nicht einmal die Zeit finde, meine Freundin anzurufen, dann läuft gewaltig etwas schief in meinem Leben als Musiker.", lachte er.
Seine Worte klangen so simpel und doch zauberten sie mir ein Lächeln aufs Gesicht. Wie schaffte dieser Mann es nur jedes Mal aufs Neue wieder meine getrübte Laune zu vertreiben?
"Wie ist denn die Stimmung bei euch so? Lampenfieber?", fragte ich und wechselte somit das Thema.
"Das haben wir schon lange nicht mehr. Es ist eher eine riesen Vorfreude auf das Konzert. Auf all die Menschen, die gemeinsam mit uns unsere Lieder singen. Das ist jedes Mal aufs Neue ein unfassbar geiles Gefühl."
"Das kann ich mir vorstellen. Wenn tausende von Menschen meinen Song singen würden, ich glaube, ich würde vor Freude weinen."
"Wir können das ja mal irgendwann ausprobieren."
"Ich weiß genau worauf du anspielen möchtest, mein Lieber. Aber danke, nein danke."
Vincent lachte leise auf und auch ich stieg in sein ansteckendes Lachen mit ein.

"Vinnie Schatz, du muss dich fertig machen!"
Ich konnte mir nur schwer ein Seufzen verkneifen, als ich die Stimme von Maja am anderen Ende der Leitung vernahm.
"Ich bin gleich soweit.", rief er und ließ dann eine gewisse Stille zwischen uns aufkommen.
"Dann will ich nicht weiter ... stören. Viel Glück heute Abend.", sagte ich nach einiger Zeit.
"Warte! Ich ... es tut mir leid, dass du das eben mitbekommen musstest. Ich habe ihr schon oft gesagt, sie soll mich nicht so nennen und anklopfen, wenn sie den Raum betreten will."
"Du musst dich nicht entschuldigen oder rechtfertigen, Vincent. Es ist alles okay. Ich weiß ja wie sie ist und das du davon nicht viel hälst. Mach dir keinen Kopf um mich.", sagte ich, während sich meine Brust innerlich zusammen zog.
"Ich liebe dich. Und ich meld mich, wenn das Konzert vorbei ist, versprochen."
"Ich liebe dich auch ..."
Sobald ich aufgelegt hatte, kullerten mir die Tränen wie ein Wasserfall über meine Wangen. Ich konnte einfach nicht aufhören zu weinen.
Und so kam es, dass ich mit schmerzender Brust zurück in mein Bett ging und nicht mehr das Bett verließ. Ich wollte einfach nur diesen Schmerz vergessen. Diesen Schmerz des Vermissens und der Angst, beides tief in mir verankert. Irgendwann musste es doch weniger werden, oder etwa nicht?


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