Kapitel 2 - Die Schatzkiste

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Ich setzte Jana an der Bushaltestelle ab und fuhr dann die letzten Meter zu mir nach Hause. Ihren Vorschlag wollte ich beherzigen, weshalb ich sogleich beschloss meine Mutter auf dieses Thema anzusprechen. Wir hatten immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander gehabt und konnten über alles reden. Deshalb war ich mir sicher, dass sie mir helfen würde, wenn die Möglichkeit bestand.
"Hallo mein Schatz, Essen ist gleich fertig.", begrüßte sie mich lächelnd aus der Küche heraus.
"Alles klar, ich zieh mir nur eben etwas bequemes an.", antwortete ich und ging in mein Zimmer, um zum Einen meine Schultasche ablegen zu können und zum Anderen, um mir eine bequemere Hose anziehen zu können.
Sobald dies erledigt war, ging in die Küche und nahm am Tisch Platz. Wenige Augenblicke später servierte meine Mutter das Essen und wir fingen gemeinsam an zu speisen.
"Wie war dein Tag?", fragte sie mich interessiert.
"Ganz okay. Du Mama, kann ich dich etwas fragen?"
"Natürlich kannst du das. Was bedrückt dich?"
"Ich ... ich schlaf in letzter Zeit so schlecht und hab komische Träume von einem kleinen Mädchen und zwei Jungen und ganz viel Schmerz und Tränen. Mir ist aufgefallen, dass ich mich an einen bestimmten Teil aus meiner Kindheit nicht mehr so wirklich erinnern kann. Und ich glaube, dass mir diese Träume etwas mitteilen wollen. Kannst du mir etwas erzählen, von früher? Vielleicht von den Sachen, die vor unserem Umzug passiert sind?", fragte ich sie und klang dabei fast schon etwas hilflos.
Ich konnte am Blick meiner Mutter erkennen, dass sie nur darauf gewartete hatte, das ich dieses Thema irgendwann einmal ansprechen würde. Ein leises Seufzen erklang aus ihrer Kehle und sie legte ihr Besteck beiseite.
"Du hast als Kind einen schlimmen Verlust erlitten, der bei dir eine Art Trauma hinterlassen hat. Wir waren mit dir deshalb bei einem Arzt und er gab uns den Rat, alles was dich daran erinnern könnte, sollten wir vor dir verbergen. Wenn du alt genug wärst und bereit dazu wärst dich wieder zu erinnern, dann erst sollten wir mit dir darüber wieder reden.", erzählte sie mir und rückte den Stuhl dabei zurecht. "Auf dem Dachboden gibt es eine Kiste auf der 'Berlin' drauf steht. Ich glaube, du bist jetzt soweit, dich damit auseinanderzusetzen. Du musst uns glauben, wir wollten dich nur schützen und dir niemals etwas Böses."

"Und diese Kiste soll also dabei helfen dich an gewisse Dinge wieder zu erinnern und deinen Träumen eine Erklärung zu geben?", fragte Jana mich übers Telefon.
"Keine Ahnung was es damit auf sich hat. Ich weiß nur, ich muss sie mir ansehen, aber ich schaffe das zur Zeit mental einfach nicht alleine. Kommst du vorbei und stehst mir zur Seite?"
"Um gemeinsam mit dir in deiner Vergangenheit herum zu wühlen? Klar, warum nicht. Ich bin in einer halben Stunde ca. da.", sagte sie lachend und legte schließlich auf.
Man konnte über Jana sagen was man wollte, aber wenn ich sie brauchte, dann war sie für mich immer zur Stelle.
Pünktlich auf die Minute stand Jana eine halbe Stunde später vor meiner Tür und schien ein wenig aufgeregt zu sein über diese neue Situation.
"Also gut, wollen wir los legen?", fragte sie voller Tatendrang.
"Jaja, ich war schon oben und hab die Kiste runter geholt. Sie liegt bereits in meinem Zimmer."
Neugierig und gespannt, betraten wir beide mein Zimmer in dessen mitte eine große, verstaubte, braune Kiste stand mit den Worten 'Berlin'.
Wir knieten uns davor und nach kurzem Zögern, öffnete ich den Verschluss und klappte die Truhe auf. Innen drin waren etliche Bilder und Zettel, die nach Briefe aussahen.
"Das ist ja wie eine richtige Schatzkiste.", schwärmte Jana und griff nach einem Bild. "Oh nein wie süß, bist du das etwa?", fragte sie und hielt mir das Foto entgegen.
"Ich denke schon. Ich glaube, dass war an meinem Geburtstag.", sagte ich und drehte das Foto um, auf dessen Rückseite das Datum stand. "Januar 1999.", sagte ich leise und legte es beiseite.
Wir durchwühlten die komplette Kiste, sahen uns die Bilder an und gerieten beide in eine gewisse Nostalgiestimmung. Und so langsam aber sicher konnte ich mich an die einzelnen Aufnahmen erinnern und was genau an diesem Tag passiert war.
"Schau mal, wer sind denn die beiden?", fragte sie mich und zeigte mir ein Foto, auf dem ich mit zwei Jungen in Faschingskostümen zu sehen war. Ich entriss ihr regelrecht das Bild und sah mir die beiden genauer an. "Die kommen mir irgendwie bekannt vor. Ich glaube, sie wohnten in unserer Nähe und wir haben immer viel zusammen gemacht. Aber ich komme gerade nicht auf die Namen.", sagte ich seufzend und ließ das Bild wieder sinken.
"Nicht verzweifeln, wir sind doch schon ein ganzes Stück voran gekommen.", tröstete Jana mich und nahm das Bild wieder an sich.
"Irgendwo hab ich diese Gesichter schon einmal gesehen.", nuschelte sie vor sich her und runzelte dabei ihre Stirn.
"Hier ist sogar eine Videokassette.", sagte ich und präsentierte Jana diese.
"Fehlt nur noch der passende Recorder dazu."
"Ich glaube, wir haben hier noch irgendwo einen rum liegen. Wenn ich ihn gefunden hab, dann können wir uns das zusammen ansehen.", schlug ich lächelnd vor.
Mittlerweile war es recht spät geworden und Jana musste zurück nach Hause, schließlich hatten wir morgen früh wieder Schule.

Am Abend, als mein Vater nach Hause kam, erzählte meine Mutter ihm von meiner Kenntnis bzgl. der Kiste und meinen kleinen Nachforschungen diesbezüglich. Da er vermutlich wusste, wie viel mir das Ganze bedeutete, kramte er aus unserem Keller den alten Videorecorder hervor und schloss ihn mir an den Fernseher an.
Eigentlich wollte ich die Kassette ja mit Jana schauen, aber ich würde mir nur schon einmal vorweg einen ganz kleinen Teil ansehen, denn die Neugierde brachte mich doch schon fast um den Verstand.
Ich schaltete den Fernseher ein und drückte dann auf Play...

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