Kapitel 50 - Zurück in die Vergangenheit

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Leise tapste ich barfuß über den Laminatboden und schlich mich hinaus aus dem Zimmer. In der Küche  machte ich mir eine heiße Schokolade und setzte mich damit raus auf den Balkon, von dem aus ich einen herlichen Blick über die Stadt hatte. Eingekuschelt in einer Decke genoss ich die Stille die mich umgab und das, obwohl ich mich in einer Großstadt befand. Vincent schlief noch tief und fest - vermutlich hatte er die ganze Nacht über kein Auge wirklich zugekriegt, bis er vor Erschöpfung doch einschlief. Mir tat es innerlich sehr weh, dass er das mit ansehen musste und ich hasste mich schon fast selbst dafür, dass ich ihm meine Angst so zeigen musste.
Ich wollte ihm kein mieses Gefühl mit auf die Tour geben und auch sollte er nicht denken, dass er sich stündlich bei mir melden musste, um meine Angst einzudämmen.
Diese lästige Verlustangst hatte auch gar nichts mit ihm zu tun oder mit Maja. Es ist einfach schon so lange in mir, seitdem ich eine miese Beziehung nach der anderen geführt habe. Wobei meine erste Beziehung vermutlich der Grund für alle meine weiteren Ängste ist.
Belogen. Betrogen. Hintergangen.
So konnte ich es kurzfassen und jeder hätte vermutlich verstanden, was sich hinter diesen drei Worten verbarg - so schwierig war es auch nicht.
Das Schwierige daran war jedoch, dass ich die dadurch entstandenen Ängste auch nach so langer Zeit nicht konplett los wurde. Sie schlummerten in mir und sobald sich die noch so kleinste Gelegenheit dazu ergab die Ängste freizulassen, so wurde diese Chance von mir genutzt. Ich nenne das liebevoll meine kleinen Dämonen der Vergangenheit.
Seufzend trank ich einen Schluck der Schokolade und beobachtete nebenbei ein Vogelpärchen, das sich unter dem Dach ein Nest gebaut hatte und eng beieinander saß.
Dabei schweiften meine Gedanken zurück in meine Kindheit und dem Moment, wo für mich feststand, dass ich Vincent sehr sehr gern hatte und ich unbedingt ganz schnell groß werden wollte, damit er mich endlich heiraten konnte...

Die Jungs saßen in ihrem Zimmer und werkelten an einem neuen Lied, während ich auf dem Teppichboden saß und meine Kreativität in einem Ausmalbuch freien Lauf ließ.
"Das klingt mega Dickie. Ich glaube damit hauen wir sie vom Hocker." Dag klopfte seinem Kumpel anerkennend auf die Schulter, denn dieser hatte es einmal wieder geschafft einen hervorragenden Beat auf ihr selbst geschriebenes Lied zu produzieren.
"Wie findest du es, Fiona?" Vincent blickte mit seinen braunen Augen auf mich herunter, doch ich war so vertieft in meiner Malerei, das ich seine Frage gar nicht mitbekam.
Stattdessen legte ich den Stift beiseite, stand auf und streckte ihnen das Buch  entgegen.
"Guckt mal, hab ich für euch gemalt.", grinste ich stolz und legte das Buch auf Dag seinen Schoß.
Dann kletterte ich auf Vincent seinen Schoß, wobei er mir dabei etwas behilflich war.
"Machst du das mal an?", fragte ich und zeigte auf den ganzen Technikkram der beiden Berliner.
Mit einem leisen Lachen drückte er den Knopf und sogleich erklang ihr neustes Lied aus den Boxen.
"Das klingt toll!", jubelte ich und klatschte begeistert in die Hände.
"Ich sag doch, wenn es ihr gefällt, kann es nur gut sein.", lachte Dag und wuschelte mir durch mein Haar.
Gegen Abend verabschiedete Dag sich von uns beiden und Vincent und ich blieben alleine zurück. Unsere beider Eltern waren gemeinsam bei einem Theaterbesuch, weshalb er wieder einmal die Aufgabe hatte, auf mich aufzupassen. Eigentlich wäre Dag auch noch geblieben, aber ein so genanntes Date wartete auf ihn.
"Also, was willst du jetzt machen?", fragte er mich und sah dabei auf mich herab.
"Weiß nicht.", sagte ich schulterzuckend und drückte meinen Teddybären fest an mich. Auch wenn ich bereits neun Jahre alt war - meinen Teddybären aus jungen Jahren brauchte ich!
Vincent schien zu überlegen, womit er mich bespaßen konnte und während er sich in seinem Zimmer umsah, ging ich aus diesem hinaus und blieb vor dem Klavier stehen, welches im Wohnzimmer der Familie Stein stand.
"Whynee?? Kannst du mir was vorspielen?", rief ich nach ihm.
"Ich bin darin nicht sonderlich gut, das weißt du doch."
Ich zog an seinem Ärmel und wollte, dass er sich mit mir ans Klavier setzt.
Langsam erklangen die einzelnen Töne und sofort fühlte ich mich unglaublich geborgen und sicher. Immer wenn Vincent für mich spielte ging es mir gut.

Leicht fröstelnd zog ich die Decke etwas enger um mich und trank den letzten Schluck aus. An diesem Abend war noch so viel mehr passiert. Ich hatte ihn gefragt, warum Dag nicht bei uns war und nach seiner Erklärung wurde mir bewusst, dass wenn ich älter werde, ich auch Dates haben könnte. Und dann könnte ich Vincent fragen, ob wir auf ein gemeinsames Date gehen wollen. Mir wurde bewusst, wie gut ich mich in seiner Nähe fühlte. Wieviel Sicherheit und Geborgenheit er mir schenkte und das obwohl ich nur ein kleines Mädchen war, dass er in jungen Jahren noch verflucht hatte.
Die Vergangenheit hat so viel mit mir und meinen Gefühlen gemacht. Ich wurde geprägt durch so viele Schicksalsschläge und bin dank ihnen zu der Person geworden, die ich heute bin. Mit allen Ängsten inklusive.
Erneut seufzte ich leise auf und fixierte einen Punkt am Horizont. Könnte ich die Zeit nur zurückdrehen ... ich hätte niemals zugelassen, dass diese Ängste so ausgeprägt in mir vorhanden sind. Ich hätte viel früher einen Schlussstrich gezogen. Aber wie sagt man so schön: ich war dumm und naiv.
Das Zwitschern der Vögel, holte mich aus meinem Gedankengang heraus und erst jetzt bemerkte ich Vincent's Hände auf meiner Schulter.
"Bist du schon lange wach?", fragte er mich leise.
Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und sprang sofort auf.
"Du erkältest dich noch.", sagte ich besorgt und legte die Decke um uns beide herum, sodass wir eng bei einander standen.
"Wäre das so schlimm?"
"Das fragt mich das Arbeitstier höchst persönlich?", kicherte ich und legte meine Arme um seine Taille.
"Ich glaube, ein paar Tage mit dir im Bett kann ich gerade so aushalten."
"Du Spinner.", lachte ich und gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze. "Du musst dich für die Tour vorbereiten und ich muss meine Hausarbeit fertig kriegen. Wir haben keine Zeit für solche Dinge."
"Ich glaube einen Tag können wir uns nehmen, meinst du nicht?", fragte Vincent und zog mich enger an sich heran. Sein Lächeln und sein Blick zogen mich erneut in einen Bann, aus dem ich nicht mehr heraus kommen wollte.
"Ich denke schon.", sagte ich wie in Trance und es dauerte keine drei Sekunden, da hob er mich auf seine Arme und trug mich hinein - direkt ins Schlafzimmer.

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