Kapitel 59 - Halt dich an mir fest

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Vincent sah mich flehend an. Ich hatte sogar das Gefühl, er würde gleich auf die Knie gehen. Ich erkannte in seinen Augen die Reue und das schlechte Gewissen, das ihn plagte. Ich hätte natürlich die Arme um ihn legen können und ihm sagen können, das wir das wieder hinkriegen. Das wir uns zusammen setzen und in Ruhe darüber reden können. Dass ich ihm diesen Fehler verzeihen werde und am Ende lägen wir uns dann in den Armen und küssten uns voller Liebe - Happy End.
Ja, das hätte ich tun können. Vor vielen Jahren, habe ich so etwas auch schon einmal getan. Ich habe verziehen und das Ergebnis davon, war, das ich ganze vier weitere Male betrogen wurde. Ich habe mir selbst geschworen, dass niemals ein Junge je wieder so mit mir spielen darf. Niemals lasse ich je wieder so mit mir umgehen. Nie wieder lasse ich es zu, das auf meinen Gefühlen so herum getreten wird!
Und egal, wie sehr ich diesen Mann vor mir auch liebte, er hatte mir das Herz gebrochen und mein Vertrauen missbraucht. Er war nicht besser, als die Anderen, obwohl er dies stets beteuerte.
Vorsichtig griff Vincent nach meinen Händen und sah auf mich hinunter. Erst jetzt bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie sich Dag und die Mädels dem Geschehen hier näherten. Toll, das hatte mir gerade noch gefehlt.
„Bitte sag etwas.“
„Ich kann das nicht.“, sagte ich leise und sah ihn nun direkt an. „Du hast mich zutiefst verletzt und enttäuscht. Ich kann dir nicht mehr vertrauen Vincent.“
In seinen Augen erkannte ich das Zerspringen seines Herzens. Ich erkannte den selben Schmerz, den auch ich empfand. Langsam ließ er meine Hände los und ging wie in Schockstarre an mir vorbei.
Auf das Rufen von Dag reagierte er nicht. Er ging einfach so, ohne etwas zu sagen, zurück in die Halle.

Franzi und Jana rannten auf mich zu und belagerten mich mit besorgten Blicken und Fragen.
„Was ist passiert?“
„Warum siehst du so fertig aus?
„Fiona sag doch etwas!“
Ich drehte mich um und hielt nach Dag Ausschau, der noch immer an seinem Punkt stand und mich verwirrt anblickte. Ohne etwas zu sagen, rannte ich auf ihn zu und ließ mich weinend in seine Arme fallen.
Überrascht und ein wenig überfordert von solch einem Gefühlsausbruch, schloss er mich in seine Arme und fuhr behutsam über meinen Rücken. Schmerzerfüllt krallte ich mich in sein Hawaihemd und verlor fast den Boden unter den Füßen. Mir war schwindelig, alles schien sich um mich herum zu drehen. Ich fühlte mich wie in Trance versetzt und realisierte nicht, was gerade geschehen war.
Dag hob mich auf seine Arme und brachte mich in den Tourbus, dicht gefolgt von den anderen beiden.
„Sollen wir … sollen wir euch alleine lassen?“, fragte Jana besorgt und warf einen Blick auf mich.
„Ich denke, sie braucht etwas Ruhe. Geht ruhig schon mal zurück, ich bin gleich bei euch.“, antwortete Dag an meiner Stelle und zog mich auf seinen Schoß.
Gemeinsam saßen wir auf einem der Sitze und ich lag wie ein kleines Kind in seinen Armen, während er mich sanft hin und her schaukelte.
Ich konnte nichts sagen. Ich hätte ihm gerne alles erzählt, aber es ging nicht. Zu tief saß der Schmerz, zu groß und frisch war die Wunde.
Aber Dag schien das nicht zu stören. Er war einfach nur da für mich und gab mir den nötigen Halt, den ich gerade so dringend brauchte.
Ich hätte auch meine Freundinnen um mich haben können. Auch sie wären vermutlich ein nötiger Halt für mich gewesen. Aber aus irgendeinem Grund brauchte ich Dag jetzt viel dringender. Ich brauchte seine Stärke und die Sicherheit, dass er für mich da war, ohne mich mit Fragen zu löchern oder jedem Wort zustimmte, was ich über Vincent sagte.
Vincent...
Erneut durchzuckte mich dieser Schmerz und ich vergoss noch einige weitere Tränen, bis ich vor Erschöpfung einfach nur einschlief.

Als ich langsam meine Augen wieder öffnete, befand ich mich in einem kleinen Bett, welches wohl Dag gehörte, wenn er mit dem Bus unterwegs war.
Ich fuhr mit meiner Hand über meine geschwollenen Augen und kletterte dann aus dem Bett, sodass ich den Bus verlassen konnte. Mittlerweile war es kurz vor zehn, das Konzert wäre also gleich vorbei.
Leider wurde mir bewusst, dass das alles kein Traum war, sondern immer noch der Realität entsprach. Das gebrochene Herz hatte ich mir nicht eingebildet, genau so wenig wie das Bild, das sich vor meinen Augen abgespielt hatte. Maja und Vincent hatten sich geküsst.
Seufzend sog ich die Abendluft tief ein und machte mich dann auf dem Weg zu Franzis Auto.
Anders als normalerweise, kamen die Jungs ziemlich früh aus der Halle und machten sich auf den Weg zu ihrem Bus.
Dag war einer der Ersten und als er mich erblickte, joggte er zu mir herüber.
„Hey.“
„Hey…“, sagte ich leise.
„Ich … ich weiß, was passiert ist. Er konnte es nicht für sich behalten. Oder ich habe ihn einfach dazu gezwungen, das kann natürlich auch sein“, sagte er ebenso leise und lächelte traurig.
„Lass … lass uns nicht darüber reden. Nicht jetzt.“
Er nickte leicht und zog mich erneut in seine Arme.
„Ich werde immer für dich da sein. Auch wenn er mein bester Freund ist. Bitte vergiss das niemals.“, flüsterte er an mein Ohr.
Ich blickte über seine Schulter hinweg und warf einen letzten Blick auf Vincent. Seine sonst so fröhliche Ausstrahlung, war getrübt und der sonst so aufrechte Gang war nicht mehr derselbe.
Bevor er in den Bus einstieg, schien er mich irgendwie wahrgenommen zu haben. Seine braunen Augen wirkten getrübt, als sie mich direkt ansahen. Innerlich schrie mein Herz, ich sollte auf ihn zu laufen und ihn in die Arme nehmen. Aber mein Verstand siegte dieses Mal und riet mir dazu, nichts zu tun.
So kam es, dass wir uns ein letztes Mal in die Augen blickten.
Ein letztes Mal würden wir uns vorerst sehen...

„Wir bleiben in Kontakt, ja?“
Dag sah mich mit seinen funkelnden Augen auffordernd an.
„Natürlich bleiben wir das. Das hier ändert nichts an der Beziehung zwischen uns, versprochen.“, versicherte ich ihm und sah dabei von Vincent endgültig ab.
Jana und Franzi kamen ebenfalls dazu und warfen mir ein trauriges Lächeln zu. Doch statt etwas zu sagen, legten sie ebenfalls ihre Arme um mich und stiegen dann ins Auto ein.
Das würde eine merkwürdige Rückfahrt werden. Alles würde jetzt irgendwie merkwürdig werden.
Dag drückte mir zum Abschied einen Kuss auf die Stirn, ehe er sich dann immer weiter von mir entfernte.
Bevor ich in das Auto stieg, blickte ich ihm nach und holte noch einmal tief Luft.
Dann ließen wir den Tourbus hinter uns. Er wurde immer kleiner im Rückspiegel und somit ließ ich alles, was er in sich transportierte für eine sehr sehr lange Zeit hinter mir...
Das Kapitel war vorbei. Es gab kein Happy End. Das Leben war eben keine Hollywood Romanze. Es war gnadenlos und ehrlich. Und es tat so weh…

ENDE ...?!

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