Kapitel 63 - Auf in ein neues Leben

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Drei Tage später wurde der Plan in die Tat umgesetzt: ich würde für einige Zeit bei Dag in Berlin leben, um mein Leben irgendwie wieder in eine richtige Bahn lenken zu können.
Anfangs waren meine Eltern von diesem Plan alles andere als begeistert. Aber nachdem Dag ihnen versichert hatte, dass er auf mich aufpassen würde und ich einen Job bei einem befreundeten Musiker haben könnte, waren sie beruhigter und ließen mich problemlos gehen.
Dass ich eigentlich keinen Job hatte mussten sie ja nicht wissen - noch nicht zumindest.
Ehrlich gesagt gefiel es mir auch nicht, dass ich ohne Geld nach Berlin ging. Dag beteuerte zwar, dass es keine Umstände bereiten würde, aber ich fand es trotzdem nicht gut, dass ich aus seiner Tasche lebte. Vielleicht fand ich in Berlin ja einen kleinen Nebenjob, damit ich ihn wenigstens etwas finanziell unterstützen konnte.
Wir fuhren mit meinem kleinen, roten Ford nach Berlin, damit ich in der Stadt auch immer eine Fahrmöglichkeit hatte und damit ich Dag problemlos auch mal irgendwo hinfahren konnte.
"Du hast aber niemanden erzählt, dass ich in Berlin bin, oder?"
"Natürlich nicht. Ich habe ganz artig geschwiegen, so wie du mich drum gebeten hattest. Was nicht bedeutet, dass ich nichts dagegen habe."
"Warum hast du was dagegen?", fragte ich ihn und sah kurz von der Straße ab, um zu ihm rüber sehen zu können.
"Denkst du nicht, dass ihr euch irgendwann sowieso über den Weg laufen werdet?"
"Nicht, wenn ich es vermeiden kann. Du und Vincent wohnt nicht mal in der Nähe voneinander. Und das Studio liegt auch schön weit weg. Und Berlin ist so groß, da ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, das wir uns da über den Weg laufen könnten."
Augen rollend steckte Dag sich eine Kippe in den Mund und zündete sie an.

Nach einer knapp dreistündigen Autofahrt, hielt ich direkt vor seiner Wohnung und gemeinsam hievten wir die Koffer in den dritten Stock eines Wohnblockes.
"Musst du denn ganz oben wohnen?", fragte ich erschöpft und ließ mich auf seiner Couch fallen.
"Vince wohnt auch ganz oben."
"Aber da gibt es einen Fahrstuhl."
Mit einem lauten Lachen schüttelte Dag den Kopf und holte uns aus der Küche etwas zu trinken.
"Stoßen wir an, auf unsere gemeinsame Zeit in Berlin und auf die Selbstfindung."
"Dagegen kann ich nichts sagen.", meinte ich lächelnd und ließ mein Glas kurz gegen seinen stoßen.
Nun war ich also wieder hier, in Berlin, für eine unbestimmte Zeit. Obwohl ich anfangs so euphorisch war, beschlich mich nun ein eher mulmiges Gefühl in meiner Bauchgegend. Ich hatte zwar Dag an meiner Seite, aber das war es dann eben auch schon wieder. Meine besten Freundinnen und meine Familie waren 300km weit von mir entfernt. Und Dag würde nicht immer bei mir sein, also konnte es gut möglich sein, dass ich oft alleine war. Und vor dem Alleinsein hatte ich ein wenig Angst.
"Ich räum dir in meinem Kleiderschrank zwei Fächer frei, dann kannst du deine Sachen da hinein legen."
"Danke Dag, das ist wirklich lieb von dir.", sagte ich und schob die düsteren Gedanken schnell beiseite.
Ich zog meinen Koffer hinter mir her und ging damit auf dem direkten Weg ins Schlafzimmer, wo Dag schon dabei war, seinen Schrank leer zu räumen.
Seine Wohnung war im Gegensatz zu Vincent seiner, ziemlich klein. Er selbst sagte mir einmal, dass er sich eigentlich besseres leisten könnte und auch vor hätte umzuziehen, er dann aber irgendwie wieder zu bequem dafür war.
Nachvollziehen konnte ich das nicht, aber vielleicht fühlte er sich hier auch einfach viel zu wohl, um wegzugehen.
"Bitte schön die Dame.", grinste er mich an und ich fing an meine Kleidung in den Schrank hinein zu räumen. Dabei ließ er mich alleine und verkrümmelte sich so lange ins Wohnzimmer zurück.

"So, alles eingeräumt.", sagte ich zufrieden und blieb kurz wie angewurzelt stehen, als ich eine mir bekannte Stimme vernahm. Schnell hielt ich mir die Hand vor den Mund und versteckte mich im Badezimmer, welches direkt neben mir lag, wobei ich die Tür einen Spalt aufließ, um dem Gespräch lauschen zu können.
"War da gerade jemand?"
Ich konnte Vincent's Rückenansicht durch den Spalt erkennen und musste mich zusammen reißen, keinen Ton von mir zu geben. Mein Herz schlug wie verrückt und ein gewisser Schmerz zog sich durch meine Brust.
"Ahhh, eigentlich war das Thema doch vorbei, was soll das Herz?!", dachte ich still und heimlich und verfluchte innerlich meine Gefühle.
"Du hast Halluzinationen Brudi.", lachte Dag und klopfte seinem Kumpel auf die Schulter.
"Wie dem auch sei, hast du denn jetzt Zeit, das kurz mit mir zu besprechen?", fragte er und hielt dabei einen Papierstapel in seiner Hand.
"Können wir das nicht morgen machen? Da wollten wir uns doch eh im Studio treffen.", meinte der Ältere von beiden.
"Ist alles ok bei dir? Du wirkst etwas nervös?"
"Ich und nervös? Ach du spinnst doch. Nene, ich ... ich habe nur gerade keine Zeit."
"Hm, na schön. Aber dann lass mich wenigstens nochmal kurz dein Bad benutzen, bevor du mich wieder raus schmeißt."
Ohne das Dag reagieren konnte, drehte Vincent sich um und marschierte auf dem direkten Weg zum Bad.
Hektisch sah ich um mich und stolperte dann zur ebenerdigen Dusche, bei der ich rasch noch den Vorhang zuzog, damit er mich nicht sehen konnte. Ich drängte mich in die hinterste Ecke und hielt den Atem an, als die Tür sich öffnete.
Vincent schien vor dem Spiegel zu stehen und irgendetwas zu tun.
Vorsichtig beugte ich mich ein Stück nach vorne, um vielleicht mehr erkennen zu können.

Dabei geriet ich jedoch ins Straucheln, sodass ich mich mit meiner Handfläche versuchte irgendwo abzustützen, um einen festeren Halt zu bekommen. In diesem Fall, war das aber ein großer Fehler:
Ich betätigte mit meiner Hand den Wasserhahn und wenig später prasselte eiskaltes Wasser auf mich herab. Ich schrie vor lauter Schreck auf, sodass Vincent ebenfalls schreckhaft zusammen zuckte.
Dag platzte sofort ins Bad hinein und sah um sich.
"Äh ... ich ... ich kann das erklären.", stammelte er vor sich her.
"Ah, jetzt weiß ich warum du keine Zeit hast. Du hast Damenbesuch.", grinste Vincent ihn an. "Sag das doch gleich. Tut mir leid, ich wollte euch nicht stören. Stell sie mir das nächste Mal doch einfach vor. Die Arme muss sich doch nicht vor mir verstecken", sagte er, während beide den Raum verließen.
Kurze Zeit später kam Dag zurück geeilt und zog den Vorhang zur Seite.
Vollkommen durchnässt und am Zittern stand ich nun vor ihm.
"Das ist gerade noch einmal gut gegangen."
"Hatschi.", nieste ich und sah ihn vollkommen fertig an.
"Gesundheit.", lachte Dag und wickelte ein Handtuch um meine Schultern und führte mich dann aus der Dusche hinaus.

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