Kapitel 73 - Gewissheit

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Am Ende des Konzerts verteilten die beiden Berliner ein paar Blumen ihres Straußes an die kreischenden und jubelnden Fans.
Währenddessen stand ich noch immer ein klein wenig unter Schock?! Ja, ich wusste nicht genau wie ich dieses Gefühl definieren sollte. Mit solch eine Emotionalität von Vincent aus hatte ich nicht gerechnet - zumal es auch noch in aller Öffentlichkeit geschah. Natürlich, niemand wusste wer mit seinen Worten gemeint war. Das machte es für die meisten der Fans also so gar nicht interessant. Vielleicht hatten sie nicht einmal bemerkt, dass Vincent dieses Lied so ganz anders sang, als bisher.
Neben mir kreischte ein Mädchen lauthals seinen Namen, als er dabei war die Bühne zu verlassen, um sich der ersten Reihe nähern zu können.
Blitzschnell ergriff ich meine Chance und drängte mich an den anderen Fans vorbei. Ich konnte ihm unmöglich jetzt in die Augen sehen. Dazu war ich viel zu sehr durch den Wind - wer weiß was ich da noch alles angestellt hätte.
Hektisch schaffte ich es nach einer gefühlten Ewigkeit aus der Masse hinaus und machte mich dann auf den Weg zum VIP Bereich.
Gerade als ich ihn betreten wollte, stellte sich mir ein breit gebauter Kerl in den Weg und starrte mich mit seinen stechend blauen Augen finster an.
"Wo solls denn hingehen?"
"Äh da hinein vielleicht?! Ich gehöre zur Crew von SDP. Dürfte ich also?", fragte ich leicht gereizt und wollte ihm gerade meinen Pass vorzeigen, als mir auffiel, das er nicht mehr an dem Band hing, welches ich um meinen Hals trug.
"Sehr witzig Fräulein und jetzt verzieh dich.", sagte er und gab mir einen leichten Schubs, damit ich von ihm wegging.
Das durfte doch nicht wahr sein! Wie konnte ich denn so doof sein und den Pass verlieren? Oh Gott Stefan wird mich umbringen, wenn das heraus kommt. Wenn jetzt irgendein Fan den findet - ich bin geliefert.

Panisch schrieb ich Dag eine SMS, in der ich ihn darum bat, niemanden etwas zu erzählen und das er mich unten am See bei der großen Eiche treffen sollte, wenn er Zeit dafür fand.
Nun hieß es also warten. Mittlerweile war es kurz vor Mitternacht und die Stimmung auf dem Festival hatte ihrem Höhepunkt erreicht. Ich platzierte mich direkt unter dem Baum und blickte in die Nacht hinein. Am Himmel erschien der Halbmond, welcher sich im Wasser spiegelte und eine angenehme Atmosphäre zauberte. Ich hoffte inständig, dass Dag die Nachricht schnell lesen würde. Zumindest sollte ihm auffallen, dass ich nicht da war und das wieder rum sollte zu weiteren Schlussfolgerungen folgen. Aber ich war mir da nicht ganz so sicher.
Ein paar Meter weiter bemerkte ich ein verliebtes Pärchen, oder eins, welches ziemlich ... scharf auf einander waren, welches sich in einem Busch zurückzog.
Räuspernd sah ich schnell weg und hoffte, es würde nicht das passieren, was ich vermutete.
"Fiona?", erklang hinter mir plötzlich eine tiefe Stimme, die mich kurz aufschrecken ließ.
"Mensch Dag, erschreck mich doch nicht jedes mal so."
"Sorry Kleines.", grinste er mich an und hielt einen Pass in seinen Händen.
"Den hat mir netterweise ein Kameramann in die Hand gedrückt und gesagt, ein verwirrt aussehndes Mädchen hätte ihn verloren."
"Oh Gott sei Dank, er ist wieder da.", atmete ich erleichtert aus und wollte nach dem Pass greifen - doch Dag zog ihn weg.
"Was war denn mit dir los, dass du den Pass verlierst?", wollte er wissen und musterte mich dabei ziemlich genau.
"Ach nichts, ich war nur kurz mit den Gedanken woanders.", nuschelte ich.
"Hör ma', ick bin nicht blöd, ja? Denkst ick hab das nicht gesehn, was da bei Millionen Liebeslieder passiert ist?"
"Warum hat er das gemacht?", fragte ich ihn und klang dabei fast schon vorwurfsvoll.
Dag zuckte mit den Schultern und zündete sich eine Zigarette an. Die Glut schimmerte in der Dunkelheit für einen kurzen Moment auf, als er daran zog.
"Keine ahnung, ich wusste nichts davon. Das war wohl einfach aus seiner Laune heraus."

"Aus seiner Laune heraus, ja ganz toll. Weißt du wie sich das angefühlt hat?"
Wieder zuckte er mit den Schultern und schwieg zu meiner Frage.
Seufzend trat ich gegen etwas, was kurze Zeit später im Wasser landete - vermutlich ein kleiner Kieselstein.
"Und nu willst du ihm wieder aus dem Weg gehen?"
"Nein natürlich nicht. Aber ich weiß auch nicht was ich dazu sagen soll, wie ich mich jetzt verhalten soll. Sowas passiert einem doch nicht alle Tage."
"Aber romantisch sein hat er schon drauf."
"Dag, du bist keine sonderlich große Hilfe."
"Hab ich auch nie behauptet. Hör mal Kleine, es ist doch so: Vincent empfindet immer noch sehr viel für dich. Du musst doch einfach nur für dich heraus finden, ob du dasselbe auch noch für ihn fühlst. Und je nachdem, handelst du dann. Wenn nein, dann nein. Wenn ja, dann ja. So einfach ist das."
Ich blickte Dag lange stillschweigend an. War es wirklich so einfach, wie er es gerade beschrieben hatte? Ich musste also nur meinen Gefühlen im Klaren sein und dann konnte ich dementsprechend auch problemlos handeln. Also war es nur noch heraus zu finden, ob ich für Vincent immer noch starke Gefühle hegte oder nicht. Na wenn es weiter nichts ist.
"Ist ja nicht so, als kämpfe ich mit dieser Frage schon eine gefühlte Ewigkeit!!!! Weißt du wie schwer es ist herauszufinden, ob man für jemanden immer noch das Gleiche empfindet oder nicht? Vor allem, wenn da plötzlich noch jemand anderes dazwischen funkt und meine Gefühlswelt vollkommen auf den Kopf stellt?", fragte ich ihn aufgebracht.
Dag trat seine Zigarette auf den Boden aus und kam mir einen Schritt näher. Ohne das er etwas sagte, packte er eine Hand in meinen Nacken und zog mich dich an sich heran.
"Denkst du, du bist hier das Opfer? Das Unschuldslamm? DU hast dich plötzlich in mein Leben geschlichen und Gefühle in mir geweckt, die ich nicht für dich empfinden darf."
"In dein Leben geschlichen? Du hast mir das doch angeboten! Da kann ich doch nichts für, wenn du Gefühle dabei entwickelst."
"Ich auch nicht, und trotzdem machst du mich dafür verantwortlich!"
Mein Herz schlug wie verrückt, als er mir so nahe war. Mir wurde heiß und kalt zugleich und mein Atem ging unkontrollierbar schnell.
Dag hatte mit seinen Worten jedoch Recht: niemand konnte ahnen, was sich für Gefühle zwischen uns entwickeln würden und dem jeweils anderen die Schuld dafür zu geben, war murcks. Ich wusste nicht, dass es ihm genau so erging wie mir und ich hatte nur noch eine Möglichkeit im Sinn herauszufinden, was das zwischen uns war.
"Verzeih mir...", flüsterte ich leise vor mich her und legte wenige Sekunden später meine Lippen auf seine.
Dag schien im ersten Moment davon überrascht gewesen zu sein, erwiderte den Kuss wenig später aber und drückte mich dabei sachte gegen die Eiche, die direkt hinter mir stand.
Und während des Kusses schien es mir wie Schuppen von den Augen zu fallen. Ich hatte nun endlich die Gewissheit über meine Gefühle.
Mein Herz gehörte...

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