Kapitel 62 - Ein verlockendes Angebot

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Seine blaugrünen Augen leuchteten ein wenig auf und sein charmantes Lächeln hatte mich irgendwie sogleich in einen Bann gezogen.
Ich hatte so lange nicht mehr in diese Augen geschaut. Und ich war mir an manchen Tagen nicht einmal sicher, ob ich sie je wieder erblicken dürfte.
„Das war ganz einfach.“
Abwartend schaute ich in seine Augen, in der Erwartung, er würde noch etwas genauer werden. Doch nachdem dies nicht der Fall war, legte ich meine Arme um ihn und drückte ihn fest an mich.
Keine zwei Sekunden später tat er es mir gleich und fuhr sanft über meinen Rücken.
„Es ist so lange her…“, flüsterte ich leise.
„…und so viel passiert.“
Ein leises Lachen erklang aus meiner Kehle, als ich mich wieder von ihm löste.
„Wird das jetzt ein Songzitat Quiz zwischen uns beiden?“
„Ich glaube, da hättest du keine Chance gegen mich.“, grinste der Lockenkopf mich an.
"Vermutlich nicht." Meine braunen Augen sahen einen kurzen Moment an ihm vorbei, so als würde ein Teil von mir nach jemand weiteren Ausschau halten. Dag schien dies nicht entgangen zu sein und ein leises Seufzen erklang aus seiner Kehle.
„Ich soll dir die aller besten Glückwünsche überreichen. Er hielt es nicht für richtig, zu kommen.“
„Das hätte er sich mal trauen sollen.“, meinte ich nur und schob den Gedanken an Vincent schnell wieder beiseite. Für ihn war einfach kein Platz mehr in meinem Kopf.
Der Berliner schmunzelte ein wenig und hob seine Hand, um Franzi und Jana begrüßen zu können. Dann richtete er seinen Blick wieder auf mich und reichte mir seine Hand.
„Erweist du mir die Ehre?“
„Du kannst tanzen?“, fragte ich kichernd.
„Vor dir steht eine lebende Hüftschwung – Tanzlegende.“
„Nun übertreibst du es ein wenig.“
Kopfschüttelnd legte ich meine Hand in seine und Dag zog mich schwungvoll an sich heran.
Die Tanzfläche, auf der wir uns befanden, füllte sich nach und nach mit anderen Paaren, während im Hintergrund eine Ballade von Lewis Capaldi erklang.
„Habe ich dir übrigens schon gesagt, wie umwerfend du heute Abend aussiehst?“, fragte er mich lächelnd.
„Ich werde ja gleich ganz rot, Hr. Kopplin.“ Vorsichtig legte ich meinen Kopf an seine Brust und gemeinsam bewegten wir uns zum Takt der Musik.

„Hier sind eure Getränke.“ Dag balancierte vier Gläser mit seinen Händen und Armen zu einem kleinen Tisch, an dem wir Mädels bereits saßen.
„Du bist ein Schatz, danke Dag.“, sagte Jana erfreut und nahm ihm eines der Gläser ab.
„Es ist wirklich schön, dass du gekommen bist.“ Franzi half Dag mit restlichen Getränke und reichte mir in dessen Zug mein Glas.
„Ich konnte doch nicht eure Abschlussfeier verpassen.“, zwinkerte der Berliner und warf mir dabei einen kurzen Blick zu.
Lächelnd nahm ich einen Schluck von meinem Cocktail und blickte dann hinaus aufs Wasser.
Die Mädels erzählten Dag, wie sie die Prüfungen erlebt hatten und was sie nun, nachdem die Ausbildung vorbei war, vor hatten.
„Was ist mit dir Kleines? Gehst du auch in den Kindergarten?“
„Oh sprich das Thema bloß nicht an.“, nuschelte Jana und sah vorsichtig zu mir rüber.
„Wieso?“ Dag blickte verwirrt zwischen uns her und runzelte anschließend die Stirn.
Augen rollend erhob ich mich von meinem Platz und leerte mein Glas.
„Ich hole mir noch eins.“ Ohne auf eine Antwort von den Dreien zu warten, verließ ich den Tisch und das damit verbundene Gruppengeschehen. Ich hatte nun wirklich keine Lust, das Thema zu bequatschen, vor allem, weil ich das in letzter Zeit schon viel zu oft tat.
Ich suchte mir einen ruhigen Platz, etwas abseits der Feier, mitten am Wasser und ließ mich dort im Gras nieder. Meine Beine zog ich eng an meinen Körper und umschlang sie mit meinen Armen.

Ein leises Knistern ließ mich kurz aufhorchen und als ich erkannte, woher es kam, atmete ich etwas erleichtert auf.
"Du hast mich erschreckt."
"Sorry, das war keine Absicht."
Mit einem lauten Plumps ließ Dag sich neben mich fallen und streckte seine Beine lang aus, während er seine Hände etwas weiter hinter sich abstützte.
So saßen wir eine ganze Weile nebeneinander, ohne das jemand etwas zu sagen wagte. Aber ich wusste, dass früher oder später das Thema eh zur Sprache kam, weshalb ich mich dazu entschied, diejenige zu sein, die es ansprach.
"Alle haben einen Job. Jeder ist irgendwie dabei einen neuen Lebensabschnitt anzutreten. Und was mache ich? Ich lehne das beste Jobangebot ab, das ich je hätte kriegen können. Ich schwebe in der Luft und komme nicht vorwärts. Ich bin ein Looser.", seufzte ich und vergrub mein Gesicht.
"Du bist doch kein Looser, nur weil du nicht weiß, wohin dein Weg dich führen wird."
"Dag, du verstehst das nicht. Ich bin Mitte zwanzig und habe noch nichts erreicht in meinem Leben. Und ich weiß einfach immer noch nicht, was ich überhaupt will vom Leben. Als ... als alles noch in Ordnung war, habe ich mich in Berlin gesehen, direkt nach der Ausbildung. Und ich hätte vielleicht etwas mit Musik machen können oder wäre Teil eures Teams geworden. Jetzt weiß ich einfach gar nichts mehr. Meine Eltern diskutieren fast jeden Tag mit mir, dass ich doch endlich mal Bewerbungen schreiben sollte oder mir mal klar werden sollte, was ich will. Aber ich weiß es doch selbst nicht." Ein leises Schluchzen erklang aus meiner Kehle.
Die tägliche Auseinandersetzung mit meiner Zukunft setzte mir schon sehr zu. Vor allem, wenn ich sah, dass meine Freundinnen diese Probleme nicht hatten. Das bei ihnen der Weg einfach so weiter lief. Ich stattdessen drehte mich seit vier Monaten nur im Kreis umher.
Dag legte einen Arm um mich und zog mich sanft an sich, sodass ich mein Gesicht an seine Brust vergraben konnte.
"Erst einmal, bitte nicht weinen. Tränen stehen dir nun wirklich nicht. Und zweitens, du kannst das, was du eigentlich geplant hattest, doch immer noch umsetzen. Wer hält dich davon ab, nach Berlin zu gehen? Wer hält dich davon ab, in der Musikbranche Fuß zu fassen? Wenn du etwas von ganzem Herzen willst, dann kannst du das auch erreichen. Und du bist dabei niemals alleine."
"Aber wie soll ich ohne Job und Einkommen in Berlin überleben?"
"Äh, hallo? Neben dir sitzt zufällg ein waschechter Berliner, der dort sogar eine eigene Wohnung hat!"

Langsam hob ich meinen Kopf an und sah ein wenig irritiert und sprachlos in Dag seine Augen.
"Du würdest mich aufnehmen?"
"So lange du willst! Als ob ich meine kleine Schwester deprimiert hier lasse. Du willst nach Berlin? Gut, pack deine Sachen und komm mit mir nach Berlin." Erneut hatten seine Augen so ein bestimmtes Leuchten in sich.
Bei Dag 'einziehen' und in Berlin einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, klang gar nicht einmal so übel. Vielleicht bot mir dies auch einfach die Möglichkeit mich selbst zu finden und mir klar darüber zu werden, was genau ich will, ohne von Freunden und Familie in Bedrängnis zu geraten.
"Hr. Kopplin, ich muss sagen, das ist ein verdammt verlockendes Angebot, das ich liebend gerne annehmen würde."
Freudestrahlend warf ich mich ihm an den Hals, sodass wir schwungvoll nach hinten fielen. Ein Lachen erklang aus unserer beider Kehlen und es war der Beginn eines ganz neuen Kapitels.

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