Kapitel 7 - Nachtgeflüster

671 22 2
                                    

"Ach hier steckst du."
Vincent seine Stimme weckte mich aus meinen Gedanken und ließ mich zu ihm herum fahren.
"Brauchte etwas Luft, dort hinten hält man es ja kaum aus.", meinte ich mit einem kleinen Schmunzeln.
"Da treffen viele Raucher aufeinander, das kann manchmal schon ziemlich stickig werden.", sagte er und ging einen Schritt auf mich zu.
Ich nickte ganz leicht und kickte einen Kieselstein vor mir weg. Irgendwie war es seltsam, ich hatte früher nie Hemmungen gehabt drauf los zu reden - im Gegenteil - es war schwer mich mal zum Schweigen zu bringen. Aber damals war ich jünger, vielleicht auch einfach mutiger oder es kümmerte mich weniger, was meine Umgebung von mir hielt.
Ich bin Vincent und Dag ständig auf die Nerven gegangen, war fast täglich bei ihnen und vor allem Vincent musste ganz schön unter mich Wirbelwind leiden.
Und jetzt? Jetzt stand ich ihm gegenüber und schaffte es nicht mit ihm ganz normal zu reden, ohne das mich ein seltsames Gefühl begleitete. Was war denn nur los mit mir?
"Huhu? Du scheinst heute ganz schön oft in deiner Traumwelt festzustecken. Ist das so ein neuer Tick von dir?", fragte er mich grinsend.
"Haha, sehr witzig. Ich bin einfach nur etwas ... geschafft. Von all den Emotionen der letzten Stunden.", murmelte ich vor mich her und zog dabei meine Stirn in Falten.
"Es war auch sehr ereignisreich, nicht nur für dich." Vincent streckte die Arme in die Luft, so als wollte er sich strecken.
"Haben du und Jana eigentlich einen Schlafplatz für heute Nacht?"
Mit einem Mal schien mir die komplette Farbe aus dem Gesicht zu weichen.
"Mist!", zischte ich und schlug die Hände über den Kopf. "Wir wollten eigentlich nach Hause fahren...aber da hatte ich noch nichts getrunken und es war auch noch nicht so spät." Mittlerweile zeigte die Uhr halb 2 an und bis wir bei mir zuhause waren, würden knapp drei Stunden vergehen.
"Ziemlich doof nachgedacht..."
Ich warf ihm einen bösen Blick zu und schlug ihm gegen den Oberarm.
"Das ist nicht witzig."
"Autsch, nun beruhige dich einmal. Es ist ja nicht so, als würden alle Anwesenden auf der Straße leben. Ihr werdet schon ein warmes Dach über dem Kopf haben für heute Nacht.", sagte Vincent und strich sich über seinen Oberarm. "Das tut heute viel mehr weh, als es das damals tat.", scherzte er.

Nachdem Vincent sich mit Dag kurzgeschlossen hatte, kam er zurück zu mir und bot mir seinen Arm an zum Unterhaken.
"Jana kann bei Dag schlafen, die beiden sind noch in solch großer Feierlaune, ich glaube das kann dauern, bis sie sich auf den Heimweg machen. Wenn du magst, kannst du mit zu mir kommen.", bot er mir mit einem sanften Lächeln an.
"Wirklich? Das ist echt total lieb von euch beiden. Ihr habt etwas gut bei mir.", sagte ich und zögerte einen kurzen Moment, ehe ich mich schließlich doch bei ihm unterhakte.
Gemeinsam verließen wir das Gelände und machten uns auf dem Weg zur S-Bahn.
"Also, magst du mir erzählen, wieso es 15 Jahre lang gedauert hat, bis du dich mal wieder hier blicken lässt?", fragte Vincent mich neugierig.
"Kurz gesagt, ich habe erst vor einigen Tagen meine Kindheitserinnerungen wieder erlangt. Anscheinend hat die damalige Trennung eine Art Trauma bei mir ausgelöst, so dass ich euch und unsere gemeinsamen Erlebnisse aus meinem Kopf verbannt habe. Durch einen wiederholenden Traum meinerseits, hab ich Nachforschungen betrieben und schwupps, Vincent und Dag waren wieder in meinem Kopf. Tja und siehe da, ihr beide seid mittlerweile gefeierte Künstler und gebt ausverkaufte Konzerte. Ich bin wirklich beeindruckt."
Vincent hörte sich meine Geschichte aufmerksam und stillschweigend an. Selbst als ich längst aufgehört hatte zu reden, schwieg er und blickte stattdessen in die Leere.
"Whynee?!", fragte ich unsicher und tippte ihm gegen seine Wange.
Kurz zuckte er zusammen und schüttelte dann leicht den Kopf.
"Unglaublich, ich wusste nicht, dass eine Trennung so etwas auslösen kann."
"Ihr beide wart nicht nur meine Freunde, ihr wart meine Bezugspersonen - die Menschen, mit denen ich meine meiste Zeit verbracht habe. Ihr habt mir die Welt bedeutet.", sagte ich ehrlich und blieb mit ihm am Bahngleis stehen.
Er drehte sich zu mir um und ohne ein Wort zu sagen, zog er mich in eine enge Umarmung.

"Ich hoffe du bist nicht allzu enttäuscht. Ich lebe nicht in einem typischen Promihaus.", lachte Vincent, als er die Tür zu seiner Wohnung aufsperrte.
"Was? Na toll und ich dachte, ich könnte am Montag in der Schule total angeben.", kicherte ich und trat nach ihm ein.
"Kannst du doch auch. Wer kann denn schon behaupten, mit uns befreundet zu sein?"
"Ihh ein Angeber, geh weg!", lachte ich und schubste ihn leicht von mir.
"Immer noch genau so frech, wie damals.", bemerkte er und führte mich in sein Wohnzimmer.
"Manches ändert sich wohl nie. Ich erinnere mich, wie oft du gemein zu mir warst - vielleicht bekommst du das jetzt, Jahre später, einfach nur wieder zurück." Ich zog mir meine Jacke aus und nahm dann auf dem Sofa Platz, während Vincent uns etwas zu trinken bereit stellte.
"So gemein war ich aber auch wieder nicht.", sagte er und nahm neben mir Platz.
"Wie bitte? Wie oft hab ich ein Kissen ins Gesicht bekommen? Oder du hast mich sogar mal vor dem Einkaufsladen stehen lassen und ich musste dann alleine zurück gehen."
"Dafür hab ich doch auch meine gerechte Strafe bekommen."
"Zurecht! Dein Blick war himmlisch, als du den Rasen in unserem Garten mähen musstest.", lachte ich und nahm anschließend einen Schluck Wasser.
"Erinnerst du dich noch an das eine Jahr Fasching? Dag und ich mussten unbedingt mit dir in diesen einen bestimmten Kostümladen, damit du auch ja das Prinzessinnenkleid, was du wolltest, bekommst. Ich glaube, davon habe ich sogar noch ein Foto irgendwo."
Vincent erhob sich von der Couch und machte sich auf die Suche nach dem besagten Foto.
Meine braunen Augen folgten seinen Bewegungen und dabei entstand ein Lächeln auf meinen Lippen.
Ich hoffte, dass das hier kein Traum war und wenn doch, dann wollte ich ja nicht aus ihm heraus aufwachen.

Millionen Liebeslieder Onde histórias criam vida. Descubra agora