Kapitel 35 - So schön kaputt

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Es war merkwürdigerweise ziemlich ruhig im Auto gewesen, als wir die Heimfahrt antraten. Im Hintergrund lief leise Musik und die einzigen Gespräche, die vielleicht einmal stattfanden, waren zwischen Franzi und Jana bezüglich der Schule und ihrem morgigen Vortrag.
Ich blickte die ganze Zeit über aus dem Fenster und schwieg. Die Gedanken kreisten um dutzende Fragen und Szenarien, die sich heute Nacht vielleicht ergeben würden und ich war mir mit einem mal sehr unsicher, ob es überhaupt eine gute Idee war, dass Vincent mit zu mir kam. Denn ich hab gesehen und gespürt, was für eine Leidenschaft in ihm steckt und auch ich bin kein Unschuldslamm - würde es dann nicht ganz klar sein, was heute Nacht passieren wird zwischen uns?

"So da wären wir.", sagte Franzi und hielt direkt vor meiner Wohnung.
"Danke dir fürs fahren, komm gut nach Hause und wir sehen uns morgen.", verabschiedete ich mich von ihr.
Lächelnd nickte sie und ließ uns drei dann aussteigen. Jana wurde bereits von ihrem Vater erwartet und war wenige Augenblicke später auf dem Weg zu ihrem zuhause. Somit standen Vincent und ich nun alleine auf dem Gehweg, umgeben von Stille und Dunkelheit.
"Ihr seid ja nicht unbedingt die gesprächigste Truppe.", bemerkte er mit einem Schmunzeln.
"Vielleicht hast du uns alle eingeschüchtert."
"Das macht natürlich Sinn. Ich bin sehr zu fürchten."
Augenrollend schubste ich ihn leicht zur Seite und schloss dann die Tür auf.
Leise schlichen wir durch den Flur, wo wir unsere Jacken und Schuhe ausszogen und gingen dann weiter in mein Zimmer, in großer Hoffnung, dass niemand uns bemerken würde.
Gerade als wir meine Zimmertür erreicht hatten, öffnete sich die Tür meiner Eltern. Schnell schubste ich Whynee in mein Zimmer und tat so, als sei nichts passiert.
"Du bist ja schon zuhause, wie war das Konzert?", fragte mein Vater mich.
"Es war sehr schön. Ich freue mich schon aufs nächste.", lächelte ich ihn an.
"Das freut mich.", sagte er und wandte sich zum Gehen.
"Ach noch etwas, grüß Vincent ganz lieb von mir und ich hoffe, er hat sich beim Einsperren in dein Zimmer nicht wehgetan." Mit diesen Worten verschwand er zurück in sein Zimmer und ließ mich sprachlos zurück. Wieso wussten Eltern eigentlich immer was los war?
"Das tat ganz schön weh.", nuschelte Vincent und rieb sich dabei über seinen Ellbogen.
"Tut mir Leid. Soll ich mal pusten?", fragte ich ihn lächelnd.
Er hielt mit seinen Arm entgegen und ich pustete und tat anschließend so, als würde der Schmerz davon fliegen - das tat ich bei den Kindern auch immer so.
Vincent konnte sich nur schwer ein Lachen verkneifen und zog mich schließlich eng an sich, sodass ich wenig später auf seinem Schoß saß.
"Ich muss in fünf Stunden wieder aufstehen. Wir sollten uns daher vielleicht also hinlegen.", meinte ich leise.
"Hört sich gut an.", stimmte er mir mit einem anschließenden Kuss auf meine Nasenspitze zu.

Keine fünf Minuten später lagen wir eng aneinander gekuschelt unter meine Bettdecke. Mein Herz klopfte schneller, ein Symptom, das ich in letzter Zeit öfters hatte, wenn Vincent mir so nahe war. Ich schloss meine Augen und lauschte den leisen Geräuschen unserer Atmung.
Kurz vor dem Einschlafen, spürte ich plötzlich ein sanftes Streicheln über meinen Rücken, welches immer weiter nach unten fuhr. Ich zuckte zusammen und öffnete wieder meine Augen. Whynee legte seine Lippen an meinen Hals und bedeckte ihn mit federleichten Küssen, was mir ein wohliges Seufzen aufkommen ließ.
"Ich muss schlafen.", flüsterte ich und versuchte mich von seinen Streicheleinheiten zu befreien, was er jedoch nicht so wirklich zuließ.
Stattdessen beugte er sich weiter über mich, sodass er wenige Bewegungen später direkt über mir lag und meine Handgelenke sanft ins Bettlaken drückte.
"Whynee..."
Grinsend blickte er auf mich hinab und ließ eine Hand von sich unter mein Shirt gleiten.
Sofort spannten sich alle meine Muskeln an und ich nahm eine verkrampfte Haltung ein. Vincent stoppte in seiner Ausführung und sah mich mit einem leicht zögernden Blick an.
"Gehe ich zu weit?", fragte er leise.
"Nein, ich meine ja, ich meine nein. Es .. es liegt nicht direkt daran.", nuschelte ich und schämte mich gleichzeitig in Grund und Boden.
"Möchtest du darüber reden?"
Ich schüttelte leicht den Kopf und befreite mich aus seinem Griff, um kurz darauf meine Arme um ihn legen zu können. Ich konnte seinen Körper direkt auf meinem spüren, spürte wie eine unglaubliche Wärme von ihm ausging und fühlte mich sogleich wieder sicher.
"Ich war lange niemandem mehr so nahe. Weißt du, meine letzten Beziehungen waren geprägt von Schmerz und Enttäuschung, von Verrat und Unglück. Ich habe mich lange niemanden mehr so hingeben und vielleicht spielt sich in meinem Kopf deshalb eine gewisse Angst ab. Angst, dass ich etwas falsch machen könnte oder das du erkennst, dass ich... einfach irgendwie kaputt bin."
Vincent hatte mir die ganze Zeit über aufmerksam zugehört und hielt mich fest dabei in seinen Armen.
"Wir sind alle irgendwie kaputt, manche mehr und manche weniger. Das Leben hat uns gezeichnet und darauf sollten wir stolz sein. Ich kann all die negativen Gefühle von damals, die du erleben musstest, nicht rückängig machen, aber ich kann dir versprechen, dass ich alles dafür tun werde, dass du solche Gefühle nie wieder erleben musst.", flüsterte er dicht an mein Ohr gerichtet.
Ich konnte nichts darauf antworten. Seine Worte hatten mich gerührt und ich fragte mich, woher er immer solch weise Worte fand.

Nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens, lösten wir uns voneinander und legten uns wieder nebeneinander. Vincent legte seinen Arm um mich und ich rutschte mit meinem Rücken eng an seinen Oberkörper.
Sanft hauchte er mir einen Kuss auf mein Haar und zog mich noch ein weiteres Stück an sich.
"Gute Nacht mein kleiner Engel."
"Gute Nacht, Whynee.", flüsterte ich und schloss darauf hin meine Augen.
Womit hatte ich nur solch einen verständnisvollen und liebevollen Mann an meiner Seite verdient?

'Wir sind vom Leben gezeichnet, in den buntesten Farben. Und wir tragen sie mit Stolz, unsere Wunden und Narben.'

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