Kapitel 43 - Wenn ich einmal groß bin

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'Wenn ich einmal groß bin, dann möchte ich ganz viel Reisen. Ich möchte die Welt erkunden und ein Abenteuer nach dem nächsten erleben. Und ich möchte heiraten und eine gaaaanz große Familie gründen. Ja, das möchte ich, wenn ich einmal groß bin.'

1 Woche später

"Träumerle, hast du mir zugehört?"
Jana sah mich fragend an und konnte sich anschließend ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Ich blinzelte ein paar Mal auf und sah mich kurz im Raum um, ehe ich meinen Blick dann auf meine Sitznachbarin legte.
"Nicht so genau..."
"Dacht' ich mir. Ich habe gefragt, was du für deinen Geburtstag geplant hast. Wir haben darüber noch gar nicht geredet. Kommen Vincent und Dag vorbei?"
"Keine Ahnung, hab das Thema noch nicht angesprochen."
"Du hast in einer Woche Geburtstag. Wissen die überhaupt bescheid?"
Ich zuckte mit den Schultern und wandte meinen Blick wieder dem Lehrerpult zu. Nicht das dort etwas spannendes geschah, ich wollte einfach nur dem Gespräch entkommen. Mein Geburtstag war nämlich ein sehr sensibles Thema für mich. Jedes Jahr wurde man älter und jedes Jahr wurde mir persönlich nochmal vor Augen geführt, was ich alles im Leben bisher NICHT erreicht habe. Und das versetzte mich jedes Jahr immer wieder aufs neue in eine kleine Krise.
Dieses Jahr hatte ich das Gefühl, wurde es ganz schlimm. Normalerweise schaffte ich es immer wieder die Kurve zu kratzen und mich dennoch auf meinen Geburtstag zu freuen - aber jetzt? Jetzt war es mir wirklich das erste Mal egal. Ob ich nun Geburtstag hatte oder nicht, es war ein Tag wie jeder andere für mich.

"Was hälst du davon, wenn wir bei dir zuhause ne kleine Feier schmeißen? Bisschen was trinken, etwas essen und ganz viel Spiele spielen.", schlug Franzi nach dem Ende des Schultages vor.
"Ich hab da wirklich keine ahnung. Lasst mich das erstmal überdenken.", meinte ich seufzend und blickte meine beiden Freundinnen abwechselnd an. "Ich weiß, ihr wollt euch Mühe geben mich aufzumuntern. Aber im Moment ist mein Kopf da nicht für bereit. Ich meld mich rechtzeitig bei euch diesbezüglich."
Mit diesen Worten beendete ich das Thema und es tauchte in den nächsten Tagen auch nicht mehr auf. Auch Vincent hielt dieses Thema relativ bedeckt und wollte nur wissen, ob ich ihn und Dag gerne an meinem Geburtstag sehen möchte. Aber auch ihm konnte ich keine genaue Auskunft darüber geben. Das hatte vielleicht aber noch einen anderen Grund.
Meine Eltern wussten zum Glück, dass sie mich mit diesem Thema in Ruhe lassen sollten. Sicher, sie wollten auch wissen, ob ich eine kleine Party plante oder nicht, aber sie fragten nicht weiter nach, als ich keine konkrete Antwort darauf geben konnte.

Abends im Bett, als alles dunkel war, fiel ich wieder in meine tiefe Gedankenwelt, die voll von negativen Gedanken war, die sich auf mein Alter bezogen.
Als ich noch jünger war, hatte ich so viele Träume und so viele Vorstellungen, wie mein Leben aussehen sollte. Und nicht eine Sache konnte ich bisher verwirklichen. Ich bin weder viel auf Reisen, noch habe ich bereits eine Familie gegründet. Gut, ich hatte einen Freund und war somit meinem Traum näher gekommen, aber Vincent war so mit seiner Arbeit verheiratet, vielleicht wollte er gar keine Kinder haben oder  heiraten. Vielleicht gefiel ihm alles so, wie es jetzt war.
Seufzend drückte ich ein Kissen in mein Gesicht. Blöde Gedanken - ich wollte nicht an ihn oder an unsere Beziehung zweifeln, zumal es doch eigentlich um was ganz anderes ging.
Neben mir vibrierte mit einem Mal mein Handy ununterbrochen, sodass die negativen Gedanken zumindest für einen Augenblick verschwanden.
"Ja?"
"Habe ich dich geweckt?"
"Nein, nein. Ich kann nicht schlafen.", sagte ich leise
"Ich auch nicht. Vincent hat erzählt, dass du deinen Geburtstag wohl nicht feiern wirst."
"Rufst du deswegen an?"
"Nicht nur, ich musste gerade an etwas denken, aus deiner Kindheit mit uns. Das war auch kurz vor deinem Geburtstag und du hast fürchterlich geweint, weil du nicht älter werden wolltest. Du hattest Angst, dann nicht mehr mit deinen Puppen spielen zu können oder mit uns, weil du dann zu alt dafür wärst."
"Wirklich? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern."
"Jedenfalls erinnerte mich diese Situation an deine jetztige Lage und ich möchte dir dazu gerne etwas sagen: es kommt nicht darauf an wie alt du bist oder was du schon alles in deinem Leben bisher erreicht hast. Das Wichtigste ist, dass du glücklich bist und dein Leben so lebst, wie du es möchtest. Manches braucht eben seine Zeit und wenn du unzufrieden mit etwas bist, dann ändere es. Und wenn du das nicht alleine schaffst, dann hol dir Hilfe. Du bist nicht alleine und orientiete dich bitte bloß nicht an andere, die vielleicht schon mehr erlebt haben als du. Du weißt doch, du bist ein Unikat, wie jeder andere auch und dein Weg geht eben anders voran, als der von anderen."
Einen Moment lang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung, bis ein leises Schluchzen die Stille durchbrach.
"Dag?"
"Hm?"
"Ich hab dich so unendlich doll lieb. Danke für deine Worte, fühl dich ganz doll gedrückt von mir."

Dag's Worte gaben mir einen Motivationsschwung und die negativen Gedanken verflogen von Zeit zu Zeit mehr. Wieder einmal bewies er, was für eine wichtige Rolle er in meinem Leben spielte und wie sehr ich ihn brauchte. Er fand immer die richtigen Worte und wusste immer was mit mir los war, obwohl uns fast 300km trennten.
Die Vorfreude auf meinen Geburtstag war zwar noch immer nicht vorhanden, aber es ging mir dennoch besser als zuvor. Ich hatte immer noch die Möglichkeit meine Träume zu verwirklichen, denn dafür war man nie zu alt.

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