Kapitel 71 - Wir müssen ganz, ganz leise sein

442 26 2
                                    

"Es war wirklich so schön. Wir haben uns ein Zimmer genommen und am nächsten Tag sind wir dann ganz gemütlich noch durch die Altstadt spaziert. Ein Traum.", schwärmte ich meiner Mama am Telefon vor.
"Das hört sich wirklich toll an mein Schatz. Dann lass mal dem Dag ganz liebe Grüße da und ich wünsche dir ganz viel Spaß am Wochenende. Sind denn alle mit von der Partie?"
"Ja, sie haben dort ja auch einen Auftritt, deswegen fahre ich ja erst mit."
"Denkst du denn, dass wird alles gut laufen?", fragte sie und klang dabei ein wenig besorgt.
"Ich krieg das schon hin Mama. Ich muss ja nicht mit ihm reden."
"Aber ignorieren solltest du ihn auch nicht. Grüß ihn trotzdem bitte ganz lieb von mir."
"Mach ich, versprochen." Mit diesen Worten und einer gefolgten Abschiedsformel legte ich das Handy beiseite und blickte auf meinen kleinen, gepackten Koffer.
"Dag? Bist du soweit?", rief ich aus dem Wohnzimmer heraus.
"Schon lange, hab nur gewartet, bist du soweit bist.", rief er zurück und trat wenig später mit einem Lächeln ins Zimmer ein.
"Bin soweit und lieben Gruß von meiner Mama.", grinste ich ihn breit an.
"Grüß sie das nächste mal ganz lieb zurück."
Der Berliner nahm meinen Koffer in die eine Hand und warf sich seine Sporttasche mit den vielen paar Schuhen um die Schulter.
"Ich kann dir auch etwas abnehmen."
"Lass mich einmal ein Gentlemen sein.", lachte er und öffnete die Haustür mit seinem Fuß.
"Jetzt übertreibst du aber.", lachte ich ebenfalls und verließ nach ihm seine Wohnung.
Mit meinem kleinen Ford fuhr ich uns zum Studio, wo die ganze Bande sich für die gemeinsame Abfahrt treffen würde.
Innerlich stieg die Aufregung von Minute zu Minute mehr und ich hatte kurz das Gefühl, mein Herz würde mir gleich aus der Brust heraus springen.
Vor dem Studio stand bereits der Tourbus in seinen Startlöchern und ein Teil der Bande war dabei die letzten Koffern hinein zu schleppen.
Ich parkte das Auto auf einem kleinen Parkplatz, der sich neben dem Studio befand und stieg dann gemeinsam mit Dag aus dem Auto. Die Unsicherheit war mir förmlich ins Gesicht geschrieben und während Dag fröhlich und bester Laune sich den Jungs näherte, trottete ich wie ein scheues Reh hinter ihm her.
'Reiß dich zusammen, du wusstest was auf dich zukommen wird. Du hast es dir so ausgesucht!'

Thilo war der Erste, der uns erblickte und begrüßte seinen Bandkollegen mit einem Handschlag, sowie einer kurzen Umarmung.
"Oh du hast noch jemanden mitgebracht?!", fragte er ein klein wenig verwundert, begrüßte mich jedoch ebenfalls mit einer Umarmung.
"Wir brauchen doch unsere Groupies.", lachte Dag und zwinkerte mir daraufhin zu.
"Haha...", nuschelte ich und drückte ihm meinen Koffer in die Hand.
"Du wolltest doch heute Gentlemen sein!"
Der Lockenkopf lachte nun noch mehr und nahm mir mit dem größten Vergnügen meinen Koffer ab. Thilo begleitete ihn nach drinnen und so kam es, dass ich einen Moment lang alleine vor dem Bus stand - darauf wartend, dass die Beiden sich wieder zu mir gesellten.
"Ich war mir nicht sicher, ob du mitkommen würdest." Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich seine Stimme direkt hinter mir vernahm. Ich konnte seine Anwesenheit direkt spüren und es bildete sich eine gewisse Hitzewelle in mir auf. Ich schluckte schwer und drehte mich dann ganz langsam um, sodass ich zu ihm aufblicken konnte.
Seine braunen Augen wurden durch eine dunkle Sonnenbrille versteckt, ich konnte also nicht in ihnen lesen, was er gerade fühlte.
Es war ein unglaublich merkwürdiges Gefühl, so dicht vor ihm zu stehen - nach allem was zwischen uns passiert ist.
"Ja also..." Noch bevor ich eine Antwort aussprechen konnte, stand Dag bereits neben mir und blickte zwischen uns beiden her.
"Na was ist, sind wir startklar oder was?", fragte er und schwang einen Arm um die Schulter seines besten Freundes, um ihn kurz danach mit sich zum Bus ziehen zu können - danke dafür!

Wir hatten nun eine mehr als siebenstündige Fahrt vor uns, bei der ich nicht wusste, wie ich sie überstehen sollte, ohne mit Vincent irgendwie in Kontakt zu kommen.
Ich versuchte mich an den Gesprächen der anderen Jungs zu beteiligen, doch merkte schnell, dass ich nicht viel zu ihrem Themen beitragen konnte. Das erste Mal seit langem fühlte ich mich richtig fehl am Platz. Vielleicht war es doch keine so gute Idee mitzufahren. Vielleicht hätte ich mir lieber die Mädels nach Berlin einladen sollen und wir hätten ein entspanntes Wochenende miteinander verbracht. Aber nein, ich wollte Dag und mir einen Gefallen tun und mit auf das Festival fahren.
Ich setzte mich etwas abseits der Jungs ans Fenster und drückte mir meine Kopfhörer in die Ohren, um etwas abschalten zu können.
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich, wie Vincent immer mal wieder zu mir herüber linste, doch ich versuchte nicht darauf einzugehen, sondern behielt den Blick weiterhin aus dem Fenster - bis er sich mir gegenüber setzte und ich keine andere Wahl hatte, als ihn anzusehen.
Vorsichtig nahm ich einen Kopfhörer raus und sah ihn abwartend an. Doch statt etwas zu sagen, blickte er einfach nur aus dem Fenster und schien die Landschaft zu verfolgen.
Ein klein wenig perplex sah ich ihn an, bis auch ich mich dazu entschied, wieder aus dem Fenster zu blicken. Und ich wusste nicht woher es kam oder was der Grund dafür war, aber mit einem Mal schlich sich ein kleines Lächeln kurz über meine Lippen.

"Psst Fiona, steh auf.", weckte mich Thilos Stimme ganz leise. Ich zuckte kurz zusammen und blickte verwirrt in seine Augen. "Was ist los? Sind wir schon da?", fragte ich ihn.
Er grinste mich breit an und deutete mir mit seinem Finger an leise zu sein.
"Das musst du dir einfach ansehen.", flüsterte er und trat etwas von mir weg. Ich wischte mir über meine müden Augen und blickte kurz nach draußen. Die Sonne war dabei langsam unterzugehen - ich musste also bestimmt ein paar Stunden geschlafen haben. Kurz reckte und streckte ich mich und erhob mich dann von meinem Platz, um in den vorderen Teil des Busses gehen zu können - dorthin, wo Thilo mich führte.
Wir gesellten uns zu den anderen Bandkollegen und blieben allesamt vor einer Sitzreihe stehen, auf der sich Vincent und Dag befanden - schlafend.
"Ein Bild für die Götter.", lachte Raphael leise und zückte im gleichen Moment sein Handy.
"Dafür hast du mich jetzt geweckt?", fragte ich Thilo gähnend.
"Wir sind eh bald da und ich dachte mir, du könntest ein Lächeln auf den Lippen vertragen."
Er hatte Recht - das konnte ich wirklich gut vertragen und das Bild welches sich mir darbot, konnte einen auch nur zum Lächeln bringen.
"Sieht ziemlich niedlich aus.", schmunzelte ich und konnte es nicht lassen ebenfalls ein Foto von den zwei schlafenden Berlinern zu machen.
Kichernd beobachteten wir die Beiden noch einen Augenblick, ehe sich die kleine Gruppe wieder auflöste und jeder einer anderen Beschäftigung nachging.
Ich setzte mich gegenüber der Beiden hin und ließ meinen Blick eine Weile auf Vincent ruhen. Er wirkte im Gegensatz zu damals, irgendwie anders, verändert um es genauer zu sagen. Sein Körper war trainierter, als zuvor, das konnte ich gut an seinen Oberarmen erkennen, an denen sein Shirt zu spannen began. Seine Haare waren etwas länger geworden - es war eine Versuchung nicht durch ihnen hindurch zu wuscheln. Alles an ihm hatte mit einem Mal eine ganz andere Wirkung auf mich. Hatte ich mich vielleicht auch irgendwo verändert? Sah er mich vielleicht jetzt auch mit anderen Augen?
Davon jedoch einmal abgesehen: nicht das ich schon genug mit meinen Gefühlen zu kämpfen hatte bzgl. Dag, jetzt kamen auch noch welche hinzu, die ich eigentlich für ausgestorben hielt...


Millionen Liebeslieder Where stories live. Discover now