Kapitel 3 - Vincent und Dag

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"Vincent, nun lächel doch einmal in die Kamera. Es ist schließlich Weihnachten."
Ein genervter, dunkelblonder Junge schaute in die Kamera und setzte kurzzeitig ein Lächeln auf seine Lippen. Neben ihm saß ein weiterer Junge, der dabei war ein Geschenk zu öffnen.
"Komm schon Vince, das hier ist doch echt cool.", meinte sein Kumpel und stieß ihn leicht in die Seite.
Die Kamera schwenkte zur Seite und zeigte ein kleines Mädchen, in einem blauen Kleid, welches sich sehr über ihre neue Puppe freute, die ihr der Weihnachtsmann gebracht hatte.
"Guck mal Mama, die ist ganz schön.", quietschte sie vergnügt und rappelte sich auf. "Whynee, guck mal!", sagte sie stolz und ging auf den Jungen zu, der zuvor noch grimmig drein blickte.
Sein Gesicht wurde jedoch ein wenig sanfter, als das Mädchen sich zu ihm setzte und ihm die Puppe präsentierte.
"Da warst du dieses Jahr aber ganz schön artig gewesen.", sagte er mit einem kleinen Schmunzeln.
Sie nickte freudig und lehnte sich über seine Beine, um auch dem anderen Jungen die Puppe zeigen zu können. "Schau wie schön die nur ist, Dag." Der dunkelhaarige Junge nahm ihr die Puppe kurz ab und lächelte. "Die ist ja fast so schön wie du."
Das Mädchen kicherte verlegen und nahm ihm die Puppe wieder ab, ehe sie dann direkt auf die Kamera zu lief.

In dem Moment stoppte ich das Bild und ließ mich nach hinten auf mein Bett fallen. Es schien mit einem Mal so klar vor meinen Augen zu werden. Ich konnte mich genau an diese Szene erinnern. Ich war fünf Jahre alt und wir feierten gemeinsam mit unseren Nachbarn Weihnachten. Mit den beiden Söhnen der Familien verstand ich mich wunderbar. Wir unternahmen regelmäßig etwas zusammen, auch wenn ich sie manchmal ganz schön nerven konnte. Vincent und Dag, so hießen die beiden. Wie konnte ich das nur alles vergessen? Ich erinnerte mich daran, dass meine Mutter meinte, ich hätte ein Trauma erlitten. Wir sind umgezogen, als ich neun Jahre alt war und ich musste mich verabschieden ... von meinen besten Freunden.
Rasch setzte ich mich aufrecht hin und schien den Geistesblitz des Jahrhunderts zu haben. Das kleine Mädchen, das weinend in meinem Traum aufgetaucht war, das war ich. Und ich habe den Namen des einen Jungen laut gerufen, weil ich nicht von ihm gehen wollte. Ich wollte bei ihnen bleiben, aber vor allem bei ihm.

"Du hast dir also das Video ohne mich angesehen?", fragte Jana mich am nächsten Morgen mit einem leicht enttäuschten Blick.
"Naja, jein. Ich habe mir den Anfang angeguckt, vielleicht fünf Minuten. Aber das Wichtigste ist doch, dass ich mich wieder erinnern kann. Du hattest also Recht, der Traum wollte mir etwas mitteilen.", sagte ich, sichtlich erleichtert über die neu gewonnene Klarheit.
"Das freut mich auch wirklich zu hören. Übrigens, ich hatte da gestern ein Foto bei dir in der Kiste gesehen, welches mich irgendwie an zwei Personen erinnerte. Weißt du noch, die beiden Jungs. Ich weiß das mag verrückt klingen, aber ich glaube, ich weiß wer das ist."
"Ich auch. Das sind Vincent und Dag, die beiden Nachbarsjungen. Ich habe früher unendlich viel mit ihnen beiden unternommen. Sie haben oft auf mich aufgepasst. In dem Video sind sie sogar mit zu sehen.", sagte ich lächelnd.
"Wie bitte? Also soll das heißen, du weißt, wer die beiden sind?", fragte sie mich verwundert.
"Äh ja, das sagte ich ja eben.", meinte ich etwas verwirrt, da ich nicht genau wusste, worauf Jana hinaus wollte.
Sie schien einen Moment zu überlegen, wie sie mir etwas bestimmtes sagen sollte. Schließlich räusperte sie sich kurz und deutete auf mein Handy.
"Gib mal bei Google SDP ein."
Ich wusste nicht, was sie genau von mir wollte, doch ich folgte einfach mal ihren Anweisungen.
"Und jetzt?"
"Jetzt gehst du auf Bilder."
"Bin ich, zwei gar nicht mal so unattraktive Männer seh ich jetzt."
Jana blickte auf mein Handy und klickte ein Bild an.
"Lies die Namen laut vor.", befahl sie mir.
"Also du bist manchmal echt seltsam. Na gut, Vincent Stein und Dag ... Alexis ... Kopplin...", sagte ich leise vor mich her.
"Und wenn du darauf klickst, siehst du ein Bild von den beiden, wie sie früher aussahen. Kommen sie dir bekannt vor?", fragte sie mich mit einem verschwörerischen Grinsen.
Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Genau so sahen die beiden Jungs aus meinem Video auch aus. Sollte das etwa bedeuten, das Vincent und Dag aus meiner Kindheit, meine besten Freunde, heute das berühmte Duo SDP waren.
Ein erneuter Flashback traf mich:

"SDP, was heißt das?", fragte ich verwundert die beiden Jungen vor mir.
"Darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, das es kurz und einprägsam sein soll.", erklärte Vincent mir.
"Trotzdem komisch.", nuschelte ich und glitt von dem Schreibtischstuhl hinunter.
"Du bist komisch."
"Vince, nu bleib mal locker. Fiona versteht das einfach noch nicht. Und das ist ja auch nicht schlimm.", sagte Dag und nahm mich auf seinen Arm.
Kichernd legte ich meine Arme um ihn und streckte Vincent dabei die Zunge heraus.

"Oh mein Gott, du hast Recht. Ich hab sogar miterlebt, wie sie diese Band gegründet haben. Ich habe miterlebt, wie sie Songs geschrieben haben und einige haben sie mir vorgesungen, damit ich besser einschlafen konnte. Und eines haben sie sogar mir gewidmet, weil ich das eine Mal so traurig war. Jana was mach ich denn jetzt mit diesem Wissen? Ich kenne die Jungs von SDP und dann auch irgendwie wieder nicht.", fragte ich sie und geriet aus einem unerklärlichen Grund in Panik.
"Erst einmal atmest du tief ein und aus und dann sag ich dir, was wir tun werden. Wir gehen nächsten Samstag auf ihr Konzert und dann wollen wir doch mal sehen, ob sie sich noch an dich erinnern können."

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