Drache und Silber 132

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Meine Liebste kehrte mir den Rücken zu, um die Dunkelheit vor mir zu verstecken. Doch ich spürte die schwarze Energie, die aus jeder Pore ihrer Haut nach draußen drang. Eine feine Brise strich um meine Knöchel, sie wisperte, zischte und trieb verdorrte Blätter und Tannennadeln vor sich her. Alles davon strebte zu meiner Königin, die wie versteinert, in Richtung des Elfenpalastes starrte.

Sie stand still, für eine Weile. Ich haderte zu ihr zu treten und hoffte der Sturm in ihr würde sich von allein legen. Dass sie ihn bekämpfte und ihm nicht verfiel.

Dann hob meine Königin die Hand und strich mit den Fingern über die grobe Rinde der Tanne vor ihr. Schwarze Spuren fraßen sich ins Holz. Sie knisterten und glühten.

Mir drohte keine Gefahr vor ihr, dennoch begann mein Herz in Panik schneller zu klopfen. Die Erinnerung an diese dunkle Magie, die ich selbst bereits zu oft gespürt hatte, kroch aus den tiefsten Winkeln meines Kopfes hervor und meldete mir Lebensgefahr. Als befände ich mich im Moment auf dem Schlachtfeld, müde und verwundet und stolperte dem letzten Feind entgegen.

„Juna. Es ist nichts passiert. Dein Geschenk hat mich beschützt. Du hast mich bereits beschützt." Meine Stimme zitterte und ich hasste es. Ich wollte Juna Sicherheit vermitteln. Ihr versichern, dass kein Schmerz an mir hing. Keine Verzweiflung an mir fraß, wie Maden an verwestem Fleisch. Sie musste nicht für mich wütend werden und schon gar nicht für mich kämpfen.

Meine Liebste reagierte nicht auf meine Worte, stattdessen wirbelte die Brise stärker um ihre Beine und wandelte sich zu einer schwarzen Masse. Die Schatten versuchten sich unter ihren Füßen zu verdichten, wurden durch den Wind fortgewirbelt, doch strebten erneut zueinander hin. Immer mehr klebten aneinander, verformten sich zu einer spiegelglatten Fläche. Juna versuchte ein Schattentor aufzustellen.

Wenn ich sie nicht dabei störte, würde der Zauber gelingen, sie vor meinen Augen und aus meiner Nähe verschwinden. Und mir jede Chance nehmen sie aufzuhalten. Dann lag Armins Schicksal in ihren Händen. Es würde kein Gutes sein.

Doch ich konnte dieses Ende nicht zulassen. Eine Königin die ihren Minister tötete. Schlimmer noch eine Elfenkönigin, die ihren Minister wegen eines Drachens umbrachte. Die Konsequenzen dafür wollte ich Juna auf keinen Fall aufbürden. Rache durfte nicht dazu führen, dass meine Königin bei ihrem Volk in Ungnade fiel.

Ich stürzte nach vorne und schlang die Arme fest um ihre Schultern. Steif wie eine Puppe hing sie in meiner Umarmung. Die dunkle Magie, die an ihr klebte, brannte sich in mein Fleisch. Sie kroch in mein innerstes, legte sich auf meine Lungen und ließ mir nur wenig Luft zu atmen. Und sie flüsterte, grausam, immerwährend, wie Schlangen in meinen Kopf, die sich wanden und zischten.

„Du bist schuld. Du bringst ihr den Tod. Nutzlos. Falsch. Du kannst sie nicht beschützen. Dein Herz ist schwarz. Verdient keine Liebe. Töte ihn. Töte. Töte. Mach alles besser."

Fremde Stimmen. Gedanken, die ich niemals dachte. Ich blickte direkt in Junas Kopf. Ihr wundervolles Wesen, verpestet durch Dunkelheit.

„Meine Liebste. Ich brauch dich hier. Geh nicht fort.", würgte ich hervor. Laut schnappte ich nach Luft. Wie Säure fraß die magische Wut, die sie beherrschte, an meinen Lippen, als ich ihre Wange küsste. Im Versuch sie irgendwie zu mir zurückzuholen ignorierte ich alle Schmerzen, alle Angst, die im Hintergrund meiner Gedanken schrie.

Ich riss sie zu mir herum und blickte in ihre schwarzen Augen. Eine unendliche Dunkelheit, voller Einsamkeit und Hass, umrahmt von goldenen Wimpern. Es ließ mein Herz gefrieren, immer langsamer donnerten meine Herzschläge durch die Stille. Ruhe erfasste mich. Sie legte sich schwer auf meinen Körper. Eine Decke, die mich schützend einhüllte und mir klare Gedanken schenkte.

Die Angst vor diesen schwarzen Augen begleitete mich schon fast mein ganzes Leben. Gefühllose Mörder, die mich verfolgten und mich ins Dunkel trieben, wo mich selbst der weise Drache mit seinen mächtigen Schwingen nicht erreichen konnte. Jetzt blickte ich direkt hinein, das Dunkel erstreckte sich tief und endlos vor mir, doch die Kälte wich aus meinem Herz und die Angst verfiel in Schweigen.

Denn ich blickte in die Augen, die ich liebte. Hielt meine Liebe in den Armen. Eine Verbindung durch die Erdenmutter gesegnet. Niemand konnte dagegen etwas ausrichten. Niemand konnte mich besiegen.

Mein Kuss musste Juna zu mir zurückholen, weil ich sie ebenfalls beschützte. Niemals würde ich sie ins Dunkel fallen lassen, ohne mit ihr zu kommen.

Während ich meine Lippen gegen ihre drückte - ein kalter Kuss - zerrten die Schatten an mir. Sie röhrten wie eine mächtige Armee, die sich wütend auf mich stürzte. Gierig fraßen sie an meinem Körper und rissen an den Überresten meiner Kleidung.

Dann seufzte Juna und blinzelte. Sie legte die eisigen Hände um meine Wangen. Ihre Finger zitterten.

Glitzernde Tränen perlten aus ihren dunklen Augen und hinterließen feuchte Spuren auf ihrem Gesicht. Die Schatten zischten, als die Tränen auf sie tropften und wichen flink davor zurück wie verängstigte Mäuse.

„Ich liebe dich.", wisperte ich und streichelte mit den Händen durch Junas weiches Haar.

Meine Liebste schniefte. Ein letztes Mal begehrten die Schatten auf und wirbelten wild im Kreis um uns herum. Blätter flogen hoch, raschelten laut und fegten über den Boden davon. Immer mehr verlor das halbe Schattentor an Masse. Dunkle Fetzen rissen ab und wehten zwischen den Bäumen davon, bis sich der Wind vollkommen legte.

Stille kehrte ein. Nur unser Atem durchbrach den Moment der Ruhe, dann zwitscherte ein Vogel vorsichtig in der Nähe. Als ob er testen wollte, ob die Gefahr vorüber war.

Juna schluchzte auf und presste die Hände vor die Augen. Ihre Schultern zitterten. Ich zog sie an mich und strich mit der Hand über ihren Rücken.

Lange hielt ich sie fest, streichelte sie und hauchte Küsse in ihr weiches Haar. Ungewöhnliche Kühle lag auf ihrer Haut, also rubbelte ich über ihre Arme und presste sie so eng es ging an mich um sie zu Wärmen.

„Ich will ihn töten. Töten, damit er weg ist.", murmelte Juna schließlich gegen meine Schulter. Ihr Ton glich dem eines trotzige Kindes. Er minderte die Ernsthaftigkeit ihrer Drohung nicht.

„Ich möchte ihn im fairen Kampf besiegen, Juna. Ihn so richtig verdreschen. Wie das ganze passiert ist, kratzt an meinen Stolz. Aber ich möchte auf keinen Fall, dass du ihn tötest. Hörst du? Denk an deine Untertanen. Was sie tun würden, wenn du Armin umbringst."

Meine Liebste blickte nach meinen Worten zu mir auf. Die Augen rot verquollen, hing immer noch Schwärze darin. Nur ein wenig des hübschen Blaus, mit dem sie mich sonst ansah, schaffte es hindurchzublitzen. Sie lächelte müde.

„Nein. Ich kann ihn nicht töten. Ich kann es nicht riskieren. Ich kann es auch nicht riskieren, dass du ihn tötest. Wir müssen klüger sein. Doch er muss fort. Ich kann ihn nicht mehr hier haben. Sonst werde ich ihn töten."

Ein Strahlen erschien auf ihrem Gesicht, gepaart mit ihren immer noch schwarzen Augen, machte es mir Sorgen. Als Drache regelte ich Probleme lieber direkt. Normalerweise hätte ich Armin zum öffentlichen Duell gefordert, um den Disput zu beseitigen. Ein Schwertkampf konnte Feinde zu Freunde machen. Oder ein Leben kosten. Ganz ehrlich. Ohne Hinterhalt.

„Was wirst du tun?"

Juna kicherte, strich mit den Händen über meinen Kopf und ließ sie auf meinen Hinterkopf ruhen.

„Mach dir keine Sorgen. Ich bin eine Königin mit einem sehr frechen Untertanten, der bestraft werden muss. Armin ist meine Angelegenheit. Deshalb musst du mir ganz genau erzählen was passiert ist." Sie legte die Stirn in tiefe Falten. „Später, wenn deine Wunden versorgt sind und ich nicht mehr so wütend bin."

Sie schickte einen prüfenden Blick über meinen Körper und verzog das Gesicht als wollte sie wieder anfangen zu weinen. Dann schluckte sie und blinzelte. Scheinbar kämpfte sie gegen die Tränen an und gewann.

Es gefiel mir nicht, dass sie Armin, als ihr Problem an sich riss. Als wäre ich unfähig meine Angelegenheiten selbst zu regeln. Mein Stolz als Drache schrie Revolte, doch ich ignorierte ihn zunächst.

Ich würde mich davor hüten Juna weiter aufzuregen, wenn das schwarz aus ihren Augen immer noch nicht weichen wollte.

Drache und SilberWhere stories live. Discover now