Silber und Drache 151

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Die nächsten Stunden gaben sich meine Freunde Mühe meine Sorgen zu vertreiben. Wir durchlebten das gesamte Angebot an Spaß, das der Winterstein zu bieten hatte.

Auf wackligen Schlitten ritten wir den eisigen Gletscher hinab, der das Gebirge rund um unseren Heimatberg verschlang. Ronja verstauchte sich einen Finger und mir blieb ein langer Kratzer als Erinnerung auf dem Arm zurück. Wir hackten mit Holzschwertern aufeinander ein, zogen uns danach lange Spreißel aus der Haut und massierten unser blauen Flecken.

In der Eingangshalle des Winterstein, wagten wir den Aufstieg auf eine der Drachenstatuen. Über ihre goldenen Hörnern zu streichen, versprach den Segen des weisen Drachen. Zu Pferd machten wir einen Ausflug ins Umland und jagten die kräftigen Tiere über die weiten Ebenen. Feiner Schnee stob unter ihren schweren Hufen. In den dunklen Zellen, tief im Bauch des Winterstein, brüteten wir in der Hitze, um die Altlasten der Vergangenheit aus uns heraus zuschwitzen.

Zum Abschluss nahm ich ein Bad im Tempel des weisen Drachen um innen und außen gereinigt zu meiner Liebsten zurückzukehren. Zum ersten Mal seit heute Morgen war ich allein. Die Reinigung im Tempel diente zum Zwiegespräch mit den Göttern. Dort sollte man schweigen und in sich selbst versinken. Kichern und Reden mit Freunden störte den heiligen Prozess.

Im Becken aus schwarzem Stein schimmerte das Wasser grün wie der Wald im Elfenreich. Rauch verwirbelte daraus in dampfig weißen Wolken. Aus dem weit aufgerissenen Maul einer Figur, die Bunja, die jüngste Tochter des weisen Drachen darstellte, stürzte ein Wasserschwall ins Bad. Das Plätschern hallte hundertfach von den glatten, dunklen Wänden wider.

Mein Herz hämmerte ungeduldig schneller. Von wegen Andacht, Heiligkeit und Reinheit. Ich wollte mit meiner Liebsten im warmen Wasser spielen. Vielleicht hatten wir uns zu oft beim Baden geliebt und nun gehörte beides untrennbar zusammen. Oder die plötzliche Ruhe erinnerte mich daran, warum ich überhaupt in den Winterstein gekommen war. Um eine eintägige Verbannung von meiner Ehefrau zu durchleben. Ich hatte Spaß gehabt, bis die Blutstunde mit rotem Schleier über die Berge tauchte. Jetzt wollte ich zurück nach Hause.

Während ich die Hochzeitsbräuche verfluchte, darüber lamentiere, wer diesen verfluchten Mist erfunden hatte, verwirbelten Schatten an einer Wand des Raumes. Die ersten dünnen Fäden waren unentdeckt an mir vorbei geschlichen, bis sie sich ineinander verschlangen. Alarmiert fuhr ich aus dem Wasser auf. Im Tempel durfte ich keine Waffen tragen. Aber meine Fäuste hatte ich immer bei mir.

„Iris.", säuselte mein Namen in der schönsten Stimme durch das Zimmer.

„Juna. Was machst du? Ist alles in Ordnung?"

Die Schatten wirbelten sich größer, bis sie etwa Tellergroß erstarrten. Eine bleiche Hand mit schlanken Fingern tauchte aus dem Dunkel und winkte mir zu. Wie verliebt musste ich sein, dass ich sogar ihre Hand erkannte.

„Es ist alles gut. Ich vermisse dich.", drang ihre süße Stimme aus den Schatten.

„Ich dich auch. Was machst du?"

Das Wasser rauschte verräterisch laut, als ich mich aus dem Bad erhob und mit nackten Füßen zu ihr tappte. Ich strich über ihre kühle Haut. Ihre Finger zuckten und versuchten nach mir zu schnappen. Mit Gekicher wich ich ihr aus und ein Schnauben erklang. Dann fasste ich vorsichtig ihre Hand und verschränkte meine Finger mit ihren. So seltsam es war nur ein Stück von ihr hier zu haben, so schön war es gleichzeitig.

„Sie haben mich allein gelassen, damit ich für mich über unsere Verbindung reflektieren kann. Ich habe bereits mein Zwiegespräch mit der Mutter gehalten. Und ich muss über uns nicht nachdenken. Mit dir ist meine Welt klar und hell."

Kaum hörte ich ihre Worte, erkannte ich es ebenfalls. Ich wusste alles über diese Liebe, was ich wissen musste.

Ich drückte ihr einen Kuss auf die Handfläche.

„So ähnlich ist es bei mir auch. Ich möchte zu dir kommen. Diese Warterei ist anstrengend."

Juna seufzte.

„Nur noch ein paar Stunden. Meine süße Prinzessin."

„Hoheit. Seid ihr soweit?", fragte Ama im ernsten Ton.

Die Hand meiner Liebsten schlüpfte aus meiner und verschwand durch das Portal. Hinter ihr zerplatzten die Schatten wie Luftblasen.

Wir waren wohl erwischt worden. Mit einem Kichern wand ich mich ab. Der kurze Moment hatte jegliche Schwermüdigkeit von mir genommen. Nur noch ein paar Stunden.



In neuem, weißen Gewand, diesmal aus dicker Wolle, wie sie die Drachen gerne tragen, saß ich in meinen alten Räumen. Aus meinen schulterlangen Haaren rannen Wassertropfen.

Alles war wie früher und doch anders. Ich hatte meine wichtigsten Gegenstände mitgenommen, aber die Möbel waren frisch bezogen, die leeren Schränke ausgewischt. Die Zimmer warteten stets leer auf meine Rückkehr. Ich begab mich auf Streifzug, in altvertraute Ecken und Winkel, öffnete knarrende Türen und Truhen.

Unter einem dicken Mantel, den ich im milden Winter des Elfenreiches nicht gebrauchen konnte, fand ich ein Kästchen. Ein Muster aus bunten Hölzern auf dunkelbrauen Grund zierte den Deckel. In der Ecke prangte ein grobes „I". Ein „I" für Iris. Ich sah mich noch dort sitzen, mit einem viel zu großem Messer in kleinen Kinderhänden, um die Kiste zu markieren, in der ich meine Schätze aufbewahrte. Der Geruch nach Moder und eine Welle der Nostalgie schwappte mir entgegen, als ich den Deckel aufklappte.

Holzpferde, ein Messer mit gekerbter Klinge, eine schimmernde Münze. Jeder Gegenstand erzählte seine eigene Geschichte von dem Kind, das ihn fand und zum Schatz erklärte. In einem bestickten Taschentuch eingewickelt fand ich ein vergessenes Kleinod. Ich riss die Augen auf, strich mit den Finger über das glatte Porzellan. Eine Ahnung legte sich über mich. Darüber, dass ich mir Juna nie selbst ausgesucht hatte. Dass mir als Kind schon vorbestimmt war, in ihre wartenden Arme zu fallen. Die zerbrechliche Puppe fing das Licht, Brüche zeigten sich in der schimmernden Glasur und den vornehmen Zügen. Eine verfilzte Mähne aus Gold schimmernden Strähnen bauschte sich um ihren Kopf. Aus zarten, grünen Röcken ragten schlanke, weiße Beine, ohne Schuhe. Die Ähnlichkeit zu Juna war unverkennbar.

Viele Jahrhunderte waren vergangen, seitdem ich das Püppchen auf einem Jahrmarkt ausgesucht hatte. Als Preis für einen Schwertkampf, stand es zwischen wertvollen Schmuckstücken, Süßwaren und Waffen. Meine Mutter war entzückt über die ungewohnten Wahl, mein Vater fragte mich, ob sie mich vertauscht hatten. Und für viele Jahre liebte ich das Püppchen und trug es als Begleiter bei mir. Immer wieder zog ich ungeschickt die Glasur nach, klebte Ärmchen, oder Füßchen an.

Sogar im Erwachsenenalter holte ich es immer wieder hervor und streichelte darüber, um unsere liebevolle Verbindung zu erneuern. Dann zog ich in den Rubinkrieg und vergaß die Naivität meiner Kindheit und alle seine Spielzeuge.

Ich wickelte das Püppchen zurück in das Taschentuch, aber schloss die Truhe, ohne es zurückzulegen. Es gab jemanden der es Kennenlernen musste.

Drache und SilberWhere stories live. Discover now