Silber und Drache 45

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Eben noch versuchte ich mich aus dem Griff des Riesen herauszuwinden, während ich die Königin beim Gespräch mit Marion beobachtete.

In der nächsten Sekunde erwachte ich in einem weichen Bett. Ein goldenes Blätterdach spannte sich über mich.

Verwirrt wurstelte ich mich unter zwei schweren Decken heraus, um mich aufzusetzen.

Die Weste über meinem Hemd war verschwunden, doch ich fühlte die enge Lederhose an meinen Beinen.

Ich erinnerte mich an ein beängstigendes Gefühl des Fallens. Ein Meer aus schwarzen Punkten flutete meine Sicht. Dann versank alles in Dunkelheit.

Wie eine zerbrechliche Prinzessin war ich in Ohnmacht gefallen.

Mit einem frustrierten Seufzer vergrub ich das Gesicht in meine Handflächen.

Wie tief musste ich noch sinken, bevor ich nach Hause zurückkehren konnte?

Das Sitzen fiel mir schwer. Meine Schultern bebten von der Anstrengung.

Die Schwäche meines Körpers ging mir auf die Nerven. Dem Impuls mich wieder hinzulegen und weiter zu schlafen, hielt ich mit unnachgiebiger Entschlossenheit stand.

Um mich abzulenken, ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen.

Ich war zurück in den Räumen, die die Königin mir zugewiesen hatte. Dicke Samtvorhänge, verdeckten die Fensterfront. Das Zimmer lag im Halbdunkel. Durch das geöffnete Portal ins Wohnzimmer fiel fahles Licht herein.

Das Bild der Bestie huschte durch meine Gedanken. Sofort überfiel mich ein Zittern.

Woher kam diese Erinnerung?

Der Rubinkrieg hatte mich damals körperlich wie geistig durchgekaut und tief verwundet wieder ausgespuckt. Jedem meiner Mitstreiter erging es ebenso.

Dem Kuss des Todes, gleich dem in meinem seltsamen Altraum, war ich in der letzten Schlacht nur knapp entronnen. Monatelang lag ich danach in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Mehr Tod als lebendig.

Doch ich kämpfte mich zurück ins Leben.

Der schwarzen Magie der Elfen wäre ich beinah erlegen. Bis heute kannte ich meinen damaligen Gegner nicht. Diesen Angriff überlebt zu haben, glich einem Wunder.

Völlig unvorbereitet war das Bild meines Feindes in mein Bewusstseins gekrochen. Als hätte es jahrelang darauf gewartet mich zu erleuchten.

Das einzige Wesen, das mich jemals an die Schwelle des Todes getrieben hatte, grinste mir bösartig aus den Schatten der Vergangenheit entgegen. Ein Monster mit tiefschwarzen Augen.

Mit wild klopfendem Herzen fletschte ich die Zähne, zeigte der Bestie mein ganz eigenes Grinsen.

Wenn ich im Krieg nicht vor ihr kapitulieren musste, würde ich es heute erst recht nicht tun.

Meine Erinnerungen konnten mir keine Angst machen.

„Iris. Seid ihr wach?"

Die Silhouette der Königin erschien im Portal. Sie brach schlank und groß den Lichtschein aus dem anderen Raum.

Leise kam sie zu mir. Mein ganz eigenes Monster. Das mich mit seinen dunklen Blicken verbrannte, wenn es wütend auf mich wurde. Die Bestie folgte dem Lockruf der Elfe. Ihr Auftauchen war Schuld der Königin.

Kein Zorn oder Hass regte sich in mir. Eine alles überwältigende Erschöpfung beherrschte mich vollkommen.

Die Königin trat ans Bett heran und setzte sich auf die Matratze.

Sie lehnte sich nach vorne und strich mir sanft die Haare hinter das Ohr.

„Ihr seid wach. Wieso redet ihr nicht mit mir?"

Weil ich nicht wollte. Zu anstrengend.

„Geht es euch besser? Wodrick hat euch hergetragen. Ihr habt den restlichen Tag und die halbe Nacht geschlafen. Die Sonne geht bald auf."

„Hmm.", antwortete ich.

Ich lehnte mich zurück in die Kissen, weil ich befürchtete, die Königin würde bemerken, wie geschwächt ich mich fühlte.

Wenn ich so lange geschlafen hatte, wieso konnte ich nicht energiegeladen aus dem Bett springen?

Sicherlich waren es Nebenwirkungen des Zaubers, mit dem mich die Königin getroffen hatte. Oder raubte mir die Angst vor der Bestie die Lebensenergie?

„Aha. Also wollt ihr etwas essen?"

Als ich ihr wieder keine Antwort gab, verschränkte die Elfe die Arme vor der Brust.

„So stur.", fauchte sie.

Die Matratze wackelte, als die Königin darauf kletterte. In meiner Überraschung reagierte ich viel zu spät. Mein Versuch von ihr wegzukrabbeln endete damit, dass sie hinter mir Platz nahm und die Arme um mich schlang. Ich landete zwischen ihren Beinen, den Rücken an ihre Brust gelehnt.

Weich und warm schmiegte sie sich an mich.

Mein mickriger Widerstand musste der Königin deutlich zeigen, wie es um meine Gesundheit stand.

Für einen Augenblick setzte mein Herz aus. Erst mit einem tiefen Atemzug brachte ich es wieder zum Schlagen. Das wilde Pochen dröhnte in meinen Ohren.

„Stures, stures Wesen. Redet mit mir. Ich helfe euch.", flüsterte die Königin. Sie drückte meinen Kopf an ihre Schulter und ließ ihre Hand in meinem Haar ruhen.

Eben diese Hilfe war das Problem. Ich wollte nicht auf die Elfe angewiesen sein. Wie schwach musste ich in ihren Augen wirken. So unfähig und unselbstständig. Ein widerliches Gefühl.

Mit einem lauten Seufzer presste die Königin ihre Lippen an meine Ohrmuschel. Erschrocken zuckte ich zusammen und zog den Kopf zwischen die Schultern.

„Soll ich euch Küssen? Wenn ihr mir nicht antwortet gilt das als ja."

Ihr Atmen wärmte meine Haut. Ein Schaudern lief meinen Rücken hinunter.

Die Schuppen in meinen Nacken reckte sich freudig nach oben, wie Gänsehaut.

Ein Trick. Die Elfe wusste genau wie sich mich dazu bringen konnte, dass zu tun was sie wollte.

Mir fehlte der Mut weiterhin ruhig zu bleiben.

„Nein.", murmelte ich.

„Wie Schade. Seid ihr sehr müde und erschöpft?"

Ihre Stimme, die so besorgt klang, glich wunderschöner Musik. Zu meiner Verwunderung stellte ich fest, dass ich die Königin nicht fort wünschte. Im Moment genoss ich unser Beisammensein. Es fühlte sich gemütlich an. Wie ein Stück Geborgenheit.

Ohne den Aufruhr der Gefühle in mir, meine normale Reaktion auf die Königin, hätte ich mich einfach an sie gekuschelt, um wieder einzuschlafen.

„Ja. Es ist frustrierend."

Hätte mein Körper es zugelassen, wäre ich lieber aus dem Bett gesprungen um einen langen Spaziergang zu machen. Frische Luft half die Gedanken zu klären.

„Das sind sicherlich Nebenwirkungen der Zauberei. Ihr sagtet mir ja, ihr kommt damit nicht gut zurecht. Ich kann euch helfen. Mit einem Heilzauber. Was meint ihr? Oder zieht ihr es vor noch ein paar Tage länger im Bett zu liegen?"

Dumpfe gelbe Lichtpunkte erschienen an den Fingerspitzen der Elfe. Spielerisch wedelte sie damit vor meinem Gesicht herum.

Ich hasste es ans Bett gefesselt zu sein. Viel schlimmer konnte es durch einen weiteren Zauber auch nicht werden.

„In Ordnung."

Entzückt kicherte die Königin. Sie schien geradezu erpicht darauf zu sein mich zu heilen.

Mit ihren nächsten Worten erfuhr ich warum.

„Es dauert nicht lange. Ihr könnt auf dem Bett liegen bleiben. Nur eure Kleidung muss weg.", hauchte sie.


Drache und SilberWhere stories live. Discover now