Drache und Silber 36

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Für einen Augenblick vergaß ich meinen Ärger und alle Zweifel.

Ich erlebte nicht meinen ersten Kuss. Eigentlich pressten wir auch nur die Lippen aufeinander.

Dieses Bussi war vermutlich die am wenigsten sexuelle Handlung, die ich in Verbindung mit romantischer Liebe je erlebt hatte.

Dennoch brachte es mich mit Leichtigkeit vollkommen durcheinander.

Die Königin fühlte sich so weich an. So sanft. Leise seufzte sie und drückte sich ein wenig enger an mich.

Als ihre Hände mein Hemd losließen, schlang ich hastig meine Arme um ihren Rücken. Ganz automatisch tat ich es, nur damit der Moment noch eine wenig länger dauerte.

Mein Nacken schmerzte so sehr. Er schickte ein Feuer durch meinen ganzen Körper.

Plötzlich fühlte ich ihre Finger, die sich unter mein Haar stahlen und sich hauchzart über die Schuppen auf meiner Haut schoben.

Wie ein Wespenstich schoss die Berührung in mein Bewusstsein.

Mit einem Aufschrei ließ ich sie los und stolperte rückwärts davon, bis ich an die gegenüberliegende Wand prallte.

In meinem Kopf, der zuvor wie leer geblasen einfach nur auf sie reagiert hatte, kreiselten jetzt Gedanken wie eine endlose Spirale. Keiner davon machte Sinn.

Mein Herz galoppierte, als wollte es mir direkt aus der Brust hüpfen.

Meinen Nacken hätte die Königin wirklich nicht anfassen sollen.

Scheinbar kam sie auch zu dem Ergebnis. Sie starrte mich überrascht an, die Hand immer noch erhoben.

Dann ließ die Elfe stirnrunzelnd den Arm sinken.

„Es tut mir Leid. Iris. Ich wusste nicht..."

„Schon gut.", unterbrach ich sie grob.

Selbst wenn die Königin aus Zufall irgendwann die Schuppen in meinem Nacken entdeckt hatte, konnte sie natürlich nicht Wissen, wie empfindlich ich dort war.

Im Grunde musste ich dem Missgeschick dankbar sein. Es hatte mich davon abgehalten, vollkommen meinen Verstand zu verlieren.

Plötzlich fühlte ich den großen Drang mich umgehend bei Vigour zu entschuldigen. Wie oft hatte ich mich in den letzten Monaten über seine blinde Verliebtheit aufgeregt und nun benahm ich mich ganz genau wie er.

Ich durfte der Königin einfach nicht zu Nahe kommen, wenn ich nicht wollte, dass ich mich wie ein Tölpel benahm.

„Ihr sagtet, ihr wolltet mir meine Räume zeigen."

Immer wieder musste ich das Thema wechseln, wenn ich mit der Königin zusammen war. Dabei zeigte ich meine Unsicherheit zu deutlich. Doch mir blieb nichts anderes übrig.

Die Elfe ließ mir keine Wahl.

Selbst wenn ich meine große Wut über ihren Verrat, wie ein Schild vor mich hielt, schaffte sie irgendwie es zu zerschlagen.

„Das sagte ich. Ja. Aber Iris. Wollen wir vielleicht vorher über uns reden? Hätten wir das nicht nötig?"

Schon wieder kam die Königin näher. Als wüsste sie, dass ihre Nähe zu mir ihre größte Waffe war.

Ich wollte nicht mit ihr über unsere seltsame Beziehung zueinander reden. Denn ich fühlte mich zu beeinflussbar in meinem momentanen Zustand.

Um ihr sagen zu können, was mich bewegte, musste ich ihr vertrauen. Doch genau daran fehlte es mir.

Was wusste ich schon über ihre Motive? Vielleicht brauchte sie Informationen von mir, die sie nicht anders, als durch ein grausames Spiel von mir bekam.

„Nein. Ich möchte nicht reden.", sagte ich unwirsch und wusste dass log.

Denn ich wollte mit ihr reden, um zu erfahren, warum sie sich mir gegenüber so seltsam verhielt. Doch ich konnte mich nicht von dem Gefühl befreien, damit zu viel zu riskieren.

„Haaaah. Dann wohl nicht.", seufzte die Königin laut.

„Kommt mit. Ich sehe ein, dass ich euch auf jeden Fall frische Kleidung und ein Bad schulde, bevor ich irgendetwas verlangen kann. Wir sind gleich da."

Obwohl der Lebensbaum von außen schon sehr groß gewirkt hatte, seine Innenräume schienen geradezu gigantisch zu sein.

Wir gingen einem scheinbar endlos langen Tunnel entlang, der ohne jegliche Fenster, immer im Kreis führte. Pulsierendes, goldene Licht, verbreitete eine seltsam wohlige Atmosphäre, als wäre es der Herzschlag der Natur, der einen zurück in den Mutterleib führte.

Bei jedem neuen Schritt, den ich der Königin hinterher trottete, fragte ich mich, wie ich hier jemals alleine wieder herausfinden sollte.

Schließlich blieben wir stehen. Ich wusste nicht warum, den die Szenerie um uns herum, hatte sich kein bisschen verändert.

Dennoch verkündete die Königin zufrieden:

„Wir sind da. Seht ihr das Vogelsymbol dort an der Wand? Das verrät euch, wo eure Räume liegen."

Sie deutete auf einen dünne, goldene Linie, deren Umriss einen winzigen Vogel, mit ausgebreiteten Flügeln darstellte. Hätte sie mich nicht darauf aufmerksam gemacht, wäre mir das Bild vollkommen entgangen.

Die Königin versuchte nach meiner Hand zu fassen, doch als ich diese weg zog, blies sie kurz frustriert Luft aus und tippte dann mit der Fingerspitze auf den Vogel.

„Legt den Sucher hier hin. So könnt ihr die Tür zu euren Räumen öffnen. Wenn euch Bilder an den Wänden auffallen, spricht das häufig für Zimmer, die dahinter liegen. Es werden sich nicht alle Türen für euch öffnen. Aber ihr könnt ruhig alle Bilder testen. Wenn ein Durchgang auftaucht, dürft ihr ihn benutzen."

Irgendwie hatte ich geglaubt, wir würden den Lebensbaum der Königin wieder verlassen, um zu meinen Räume zu kommen. Es schien mir unpassend, als Gefangene soweit in ihre Privatsphäre einzudringen.

„Also soll ich in eurem Lebensbaum wohnen?"

Immer noch zögerte ich mein Handgelenk gegen die Umrisse des Tieres zu drücken.

„Aber natürlich."

Die Königin sagte die Worte wie selbstverständlich.

Rasch fing sie meinen Arm und presste den Sucher an die Wand.

Ein leises Zwitschern ertönte. Ich fühlte ein Vibrieren an meiner Haut, dann erschien wieder eine goldenen Linie, die blitzschnell ein Tor in die Wand hinein fräste.

„So. Gönnt euch eine Pause. Leider kann ich euch nicht länger beiwohnen. Als Königin hat man unnötig viel zu tun. Eine meiner Hofdamen wird bald nach euch sehen. Sie wird euch alles geben, was ihr braucht. So bald ich kann, komme ich wieder."

Beinahe ein wenig grob schubste mich die Königin durch die Tür in meine Räume. Bevor ich richtig verstanden hatte was gerade passierte, spürte ich ihre warmen Lippen auf meiner Wange.

Ein lautes Schmatzen klang in meinen Ohren.

Im nächsten Moment sah ich die Königin über den Gang davonlaufen. Leichtfüßig wie ein Reh.

Meine Backe glühte. Ein wenig atemlos rieb ich mir darüber.

Wie sollte ich mit der Königin umgehen? Sie konnte mir zu einfach die Fassung rauben.


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