Silber und Drache 87

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Einen Augenblick lang vergaß ich die Gefahr. Ich rannte auf die Königin zu und starrte sie an wie ein Wunder.

„Was tust du hier?", rief ich aufgeregt.

Sie streichelte mir über das Haar. Mit scharfen Blick musterte sie mich.

„Ich befreie dich. Du dummer Drache."

„Iris. Du solltest nicht hier sein. Wie kannst du die Befehle deines Herrn missachten.", fuhr mich eine der Wachen an.

Stahlharte Finger bohrten sich in meinen Arm.

Überrascht rupfte ich die Hand von mir.

Wir befanden uns mitten unter Feinde. Wie konnte ich meine Deckung fallen lassen, nur weil ich meine Geliebte fand? Wir brachten uns gegenseitig in Gefahr.

Schlimm genug, dass meine Elfe hier war. Ich hatte sie in Sicherheit gewähnt.

Etwas blitzte kalt in den Augen der Königin. Schwarz kroch langsam über das sanfte Himmelblau.

Die Wache, deren Hand ich noch immer fest hielt, ächzte laut.

Hilflos wie eine Puppe, flog der Mann durch die Luft. Er knallte gegen die Wand und blieb bewegungslos am Boden liegen. Entsetztes Geschrei ertönten.

„Diese Narren haben sich nicht auf Magie vorbereitet.", fauchte die Elfe.

Hinter ihr entdeckte ich ihre eigenen Soldaten. Sie standen stramm, in ihren blau glänzenden Rüstungen und warteten auf Befehle.

Die Situation stand kurz vor der Eskalation.

Kein Elf durfte einen Drachen töten. Und umgekehrt. Sonst war der fragile Waffenstillstand zwischen unseren Rassen in Gefahr.

So froh ich war meiner Geliebten nahe zu sein. Ihre Anwesenheit erzeugte noch mehr Spannungen.

Außerdem wollte ich sie nicht kämpfen sehen.

„Ich muss nur mit Vigour sprechen. Er ist nicht er selbst. Können deine Wachen die Drachen aufhalten ohne sie zu verletzen?"

Das Gesicht der Königin verzog sich. Als wollte sie mir mir Schimpfen. Dann nickte sie und seufzte laut.

„Wenn das hier vorbei ist, bringe ich dich so schnell nach Hause, dass du nicht einmal mehr zum Packen kommst. Weißt du, was du mir für einen Schrecken eingejagt hast?"

Sie hob die Hand und ihre Wachen umringten uns. Bläuliches Licht drängte alle Feinde von uns fort.

Ohne ein Mittel gegen magische Energie, konnten die Drachen nicht viel dagegen ausrichten. Allerdings wusste ich, dass Kräuter zum Schutz vor Magie, tief in den Vorratskammern des Winterstein ruhten.

Wir mussten uns beeilen.

„Ich weiß. Es tut mir Leid."

Ich konnte nicht widerstehen und stahl mir einen raschen Kuss. Mit roten Wangen blinzelte mich meine Geliebte an.

Ein Raunen erhob sich. Ich ignorierte es erfolgreich. Diese Elfe gehörte mir. Ganz egal wer wir beide waren. Von jetzt an, würde ich versuchen vollkommen zu ihr zu stehen.

Umgeben vom Schutzschild der Elfenwachen, drängelte wir uns vor zu den Gemächern des Königs.

Problemlos sprengte die Königin das Schloss der Eingangstür auf.

Hastig trat ich ein und die Elfe schob sich hinter mir ins Zimmer. Bevor ich sie bitten konnte, mich allein mit Vigour sprechen zu lassen, hob sie eine Augenbraue und verschränkte die Arme. Sie würde sich nicht fort schicken lassen.

Schief grinste ich sie an. Natürlich. Beim letzten Gespräch unter vier Augen, hatte mich mein Herr eingesperrt.

„Vielleicht hältst du nur ein wenig Abstand. In Ordnung? Bis ich mir sicher bin, dass er nicht total ausrastet."

Die Stirn in Falten gelegt, nickte die Elfe. Unnachgiebig zog sie mich in ihre Arme und drückte ihre Stirn gegen Meine. Kurz genoss ich die Umarmung. Ich streichelte über ihren Rücken und wuschelte durch ihr Haar.

Die Zeit saß uns im Nacken. Bevor die Wachen des Winterstein die Mittel fanden, die Elfen zu bekämpfen, musste Vigour seinen Verstand wieder finden.

Frustriert kämpfte ich mich aus den Armen meiner Geliebten frei.

Die Königin gab mir einen kleinen Schubs und ich stolperte nach vorne. Mit einem Schnaufen wandte sie sich von mir ab und begann sich im Zimmer umzusehen.

Ich hätte auch lieber mit ihr gekuschelt, aber trödeln war gefährlich. Sie verstand es sicherlich auch. Ich hoffte es zumindest.

Es wunderte mich, dass niemand auf unser Hereinplatzen reagiert hatte.

Vigours Gemächer bestanden aus einer Reihe luxuriöser Räume. Massive, dunkle Möbel, reich bestickte Stoffe aus Samt und goldene Leuchter zierten die Zimmer. Dicke Teppiche schluckten das Geräusch meiner Schritte.

In der Eingangshalle, dem Esszimmer und der Bibliothek befand sich niemand. Ich vermutete Vigour im Schlafzimmer und erwartete auch Samuel dort anzutreffen.

Mein König sprühte stets vor Energie. Gefühle brachen aus ihm heraus, wie heftige Gewitter. Vigour litt nicht leise. Sänger musste seine Emotionen besingen. Berater mit ihm trauern. Seine Freunde weinten für ihn.

Die Stille hier befremdet mich.

Mein Herr benahm sich eigenartig.

Die Tür zum Schlafzimmer stand nicht offen, wie die anderen zuvor.

Ich klopfte, doch bekam keine Antwort. Auch auf mein nächstes, lauteres Hämmern, rührte sich niemand.

Ungeduldig trat ich ein.

Das Zimmer lag im Dunkel. Die Vorhänge des riesigen Himmelbettes in der Mitte des Raumes, waren zugezogen.

Ein seltsamer Geruch kitzelte meine Nase. Muffig und schwer, durchzogen vom scharfen Hauch eines Heilkrautes.

„Vigour.", fragte ich leise.

Mein König befand sich hier. Und Samuel auch. Ich war mir sicher, ihre Silhouetten hinter den Vorhängen zu erkennen.

„Was tust du hier. Iris. Geh."

Die Stimme klang schwach. Es raschelte, als sich jemand im Bett aufsetzte.

„Du solltest schlafen, bis alles wieder besser ist. Keine Sorge, deiner Familie wird nichts zustoßen. Du bist doch meine Freundin."

Vigour klang als läge er im Sterben. Ein theatralischer Seufzer folgte seinen Worten.

Zumindest hatte er nicht verlernt, sein Leiden perfekt zu inszenieren.

Doch ein verzweifelter Unterton, der in seiner Stimme mitschwang, ließ mich aufhorchen.

Diesmal schien sein Zustand ernst zu sein.

„Ich bin hier, um mit dir zu reden. Dir geht es nicht gut und ich möchte dir gerne helfen. Du weißt doch, dass ich am Ende immer über deine Missetaten Bescheid weiß. Also versuch erst gar nicht zu lügen. Du kleiner Bastard."

Ich wagte mich näher ans Bett heran. Neben Vigour lag eine zweite Person. Samuel. Sein weißes Haar schimmerte im Licht, das durch den Türschlitz hereinfiel. Der Junge regte sich nicht.

„Meine Missetaten. Ha ha."

Vigour begann zu Lachen. Das Geräusch stach mir direkt ins Herz. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. So traurig sollte ein Lachen nicht klingen.

„Du meinst du kannst mir helfen? Dann hör zu. Iris. Ich habe Samuel umgebracht. Nun was sagst du jetzt? Willst du nicht doch lieber schlafen?"


Drache und SilberWhere stories live. Discover now