Drache und Silber 50

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Ich rannte den Gang hinunter. Mit Schwung stürmte ich um die Ecke und blieb verwirrt stehen. Mir bot sich ein unerwartet friedliches Bild.

Sonne fiel in den Hof hinein. Sie glitzerte durch das Blätterdach drei mächtiger Bäume hindurch. Dichtes Gras bedeckte den Boden, umrahmt von einem mit Tonplatten gefliestem Weg.

Ranja saß auf einer Bank und sonnte sich, die Augen wohlig geschlossen. Mit wilder Geschäftigkeit hüpfte Milanda über die Wiese. Ein langer Stock diente ihr als Schwert, mit dem sie auf Blumen eindrosch.

Meine Untergebenen machten eine gelösten Eindruck.

„Hey!", rief ich ihnen zu.

Empörung übermannte mich. In Sorgen aufgelöst kam ich zu ihnen geflogen, nur um sie absolut zufrieden vorzufinden. Seitdem ich im Palast wohnte, fühlte ich mich selten entspannt.

Erschrocken riss Ranja die Augen auf.

Milanda hüpfte auf mich zu und streckte mir ihren Stock entgegen.

„Hah!", schrie sie laut und griff mich an.

Ich schlug ihr den Ast aus der Hand. Im hohen Bogen flog er davon. Während ich ihm nachsah, fiel mir Milanda um den Hals.

„Na. Du siehst ja wieder zerrupft aus."

Sie kicherte und wuschelte mir durchs Haar.

Diese neue, kuschelige Seite an Milanda irritierte mich. Hoffentlich hatte sie keinen dauerhaften Schaden durch ihre Gefangennahme erhalten.

„Keine Sorge mir geht es gut.", beruhigte ich sie.

Kräftig bohrte ich meine Finger in ihre Seiten, bis sie quietschend von mir weg sprang.

„Ja. Dir geht es eindeutig wieder besser. Das letzte Mal warst du ein nervig weinerliches Wrack. Diesmal glühst du richtig vor Verliebtheit. Abscheulich."

Ein wütender Blick traf mich. Er verschwand rasch hinter einem breiten Grinsen.

Entsetzt langte ich an meine Wange. Trug ich meine Gefühle für die Königin öffentlich zur Schau? Wie peinlich. Vielleicht war die Elfe im Garten deshalb vor mir davon gelaufen.

„Man sieht es nur wenn man dich kennt. Normalerweise glitzern deine Augen nicht so. Und du siehst ein wenig rosig aus. Das genaue Gegenteil von deinem letzten Besuch. Was hast du mit der Königin gemacht?"

Ranja legte ihren Finger unter mein Kinn und musterte mich.

Ein verschmitztes Lächeln spielte um ihre Lippen. Ich wollte nicht Wissen, woran sie dachte.

Trotzdem galt sie als einzige Vertraute, bei der ich mir Rat holte. Sie verstand mich. Das hatte sie immer.

„Wir haben nur...Nun. Sie hasst mich nicht und...wollte mich auch nicht hintergehen. Ich bin mir sehr sicher."

Die Details meiner Begegnung mit der Königin hielt ich unter Verschluss, solange Milanda zuhörte. Sie starrte mich so durchdringend an, als könnte sie dadurch meine Gedanken lesen.

Ranja nahm meine Hand.

„Lass uns ein Stück gehen. Wir sehen uns später wieder. Milanda. Lass ein paar der Blumen leben. In Ordnung.", sagte sie und zog mich in Richtung der Bäume.

Als Milanda Anstalten machte uns zu folgen, zischte ich ihr zu:

„Wag es nicht uns zu folgen!"

Wie erstarrt blieb sie stehen. Enttäuscht zog sie die Mundwinkel nach unten. Mein schlechtes Gewissen regte sich wieder. Heute ließ es mir keine Ruhe. Aber ich konnte vor Milanda nicht offen sprechen. Ihre spitzen Kommentare halfen mir nicht weiter.

„Ihr seit miese Bastarde. Genau solche Verräter wie die Elfen. Idioten. Schwächlinge, Elfenküsser..."

Noch eine Zeitlang hörte ich ihre Beleidigungen durch den Hof hallen. Dabei wurde sie so kreativ, dass Ranja und ich schließlich in Lachen ausbrachen.

Durch eine rundes Tor in der weißen Wand, gelangten wir in einen weiteren, kleinen Garten.

In einer versteckten Nische, umrahmt von blühenden Büschen, setzten wir uns auf eine Steinbank.

Ein süßer Duft umhüllte uns und eine leichte Brise raschelte in den Blättern.

Mit einem tiefen Atemzug sammelte ich meine Gedanken. Dann erzählte ich Ranja von der Königin und meinen Gefühlen.



„Nun. Du musst Entscheidungen treffen. Iris. Willst du einer Beziehung eine Chance geben?"

Ranja pflückte eine kleine, gelbe Blüte aus dem Busch neben sich und begann sie zu zerrupfen. Nachdenklich runzelte sie die Stirn.

„Ich weiß es nicht. Ich bin so unsicher. Ich kenne die Königin ja nicht lang. Und hieße das nicht, ich müsste hier im Palast wohnen? Sie kann schlecht mit mir zum Winterstein kommen."

Verständnisvoll nickte Ranja.

Zum ersten Mal befasste ich mich mit den Folgen meiner Gefühle. Meine Familie und meine Freunde lebten im Winterstein. Er war meine einzige Heimat. Die Vorstellung nicht zurückzukehren, tat weh.

„Ja. Sie muss in ihrem Reich bleiben. Du darfst auch Vigour nicht vergessen. Was glaubst du wird er mit dir machen, wenn er es erfährt? Du kannst davon ausgehen, dass er mindestens ein Liebesduell fordert. Auch wenn ihn die Königin niemals wählen wird. Es wird Blut fließen."

Mich hielt es nicht mehr auf der Bank. Nervös sprang ich auf und begann in der Nische auf und ab zu wandern.

Ein Duell mit Vigour widerstrebte mir. Aber ich würde darauf eingehen. Sollte ich mich mit meiner ganzen Seele für die Königin entscheiden, würde ich für das Recht sie zu lieben gegen meinen Herrn kämpfen.

„Weißt du übrigens schon, dass Milanda und ich die Erlaubnis erhalten haben, zum Ende der Woche nach Hause zurückzukehren. Die Elfen werden sogar ein Portal für uns Öffnen. Du könntest dir überlegen, mit uns zu kommen. Ich denke wenn du der Königin klar machst, wie dringend du nach Hause willst, würde sie dich gehen lassen."

Ranja sprach so ruhig, dennoch fiel es mir schwerer zu Atem.

„Ich kann gehen?" fragte ich sie. Hastig wischte ich mir über die Augen, sie fühlten sich plötzlich so feucht an.

„Ich kann gehen."

Ich sprach zu mir selbst. Über die Möglichkeit hatte ich nicht einmal nachgedacht.

„Ja. Willst du es denn?"

Im Winterstein würde ich Ruhe finden. Meine Schwester wiedersehen. Mein Neffe wünschte sich bestimmt, mit mir zu spielen.

Im Wald fand ein Drache keine Heimat. Was suchte ich in einem Palast voller Elfen?

Wenn ich die Königin verließ, würde ich die Gewalt über meine Gefühle wieder erlangen.

Eine eiskalte Hand krampfte sich um mein Herz.

Egal welchen Weg ich wählte, ich würde verlieren. Konnte ein Drache mit einem gespaltenem Herzen überleben.

„Weißt du. Es gibt noch eine weitere Möglichkeit. Sie ist nicht nett. Am Ende könnte sie sich als das grausamste Ende herausstellen. Aber ich würde so handeln. Willst du sie hören?", sagte Ranja und klopfte auf die Bank neben sich.

Nervös setzte ich mich, um ihren Rat zu empfangen.


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