Silber und Drache 135

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Juna döste in meinen Armen ein, den Kopf an meine Schulter gelehnt. Sanft strich ich ihr über das Haar, das auf allen Seiten aus den strengen Zöpfen flüchtete. Nach einer Weile vertiefte sich ihr unruhiger Atem und ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Mit ihrem Mund einen Spalt geöffnet, ein feuchter Schimmer auf den Wangen, sah sie aus wie ein erschöpftes Kind, das lange gegen den Mittagsschlaf gekämpft hatte.

Sie schien einfach vergessen zu haben, dass Esse ihren Befehl missachtet hatte und immer noch auf dem Bett saß. Ganz ruhig blickte die Heilerin zu uns. Die Hände in den Schoß gelegt.

Von ihr ging keine Gefahr aus. Meine Liebste musste nichts fürchten, denn ihr Lebensbaum und ich beschützten sie vor allen Feinden.

Dennoch zog ich Juna näher an mich, als Esse auf dem Bett zu uns rutschte. Mit einem dumpfen Klappern landeten ihre Schuhe auf dem Boden, die sie von ihren Füßen geschüttelt hatte. Dann krabbelte sie zu uns. Die Matratze bebte unter ihren Bewegungen. Meine Liebste runzelte die Stirn im Schlaf. Ich strich die Falten fort, sie seufzte leise und kuschelte sich enger an mich.

Mit Wehmut im Herzen blickte ich sie an. Hoffentlich würde der Schlaf alles davontragen, was sie quälte.

Währenddessen ließ sich Esse neben uns im Schneidersitz nieder. Ihre Hände verschwanden im dunkelgrünen Licht, das wild flackerten. Bedrohlicher und dunkler als die Lichter, die mir Heilung gebracht hatten.

Als sie versuchte Junas Stirn zu berühren, hielt ich schützend meine Hand über das Gesicht meiner Liebsten. Ich warf Esse einen misstrauischen Blick zu und zischte:

„Was versuchst du da? Fass sie damit nicht an."

Esse schnaubte und klopfte mir mit dem Finger auf den Scheitel. Die Lichter an ihren Händen prickelten an meiner Haut. Ein merkwürdiges, doch seltsam angenehmes Gefühl.

„Behindere mich nicht Isi-lein. Die Königin braucht dringend Hilfe. Dunkle, dunkle Gedanken. Ich sperr sie wieder dort ein, wo sie nicht zum Problem werden. Mehr kann ich ohnehin nicht tun. Das ist nichts was man heilen kann. War vor heute da, wird immer da sein."

Ich zögerte immer noch, Juna der Heilerin in ihrem so wehrlosen Zustand zu überlassen. Insbesondere deshalb, weil meine Liebste eine Heilung zuvor schon abgelehnt hatte. Ich wollte, dass es ihr besser ging, aber versuchte mich nicht gegen ihre Wünsche zu stellen. Deshalb nahm ich mir noch einen Moment Zeit über Esses Worte nachzudenken. Weil ich sie verstand und doch nicht begreifen konnte. Wie die Dunkelheit, die Juna immer wieder heimsuchte. Ich verstand sie nicht. Meine Emotionen und Gedanken erschufen nichts so Grauenvolles, so alles Verzerrendes, das seinen Träger und alles um ihn herum zerstörte.

Ich kannte keinen Drachen, der diese Dunkelheit in sich trug. Oder sie zeigte sich auf andere Weise in meinem Volk.

Mit einem Seufzen zog ich meine Hand zurück und gab den Weg für Esse frei. Wenn ich nicht verstand, was Juna quälte, wie sollte ich ihr besser helfen können, als eine berufene Heilerin es konnte. Ich würde die stützende Kraft dahinter sein, und meine Liebste festhalten, bis der Sturm vorüberzog. Bis sie mir selbst erklären konnte, was heute mit ihr passiert war.

So drehte ich mich zu Juna und schlang die Arme um ihren Körper, als Schutzschild, vor allem was auf uns einprasseln würde.

Esse nickte zufrieden, tätschelte mir noch einmal den Kopf und wandte sich dann meiner Liebsten zu. Sie strich die Finger über Junas Stirn und führte die andere Hand über ihren Körper, ohne sie zu berühren. Dabei starrte die Heilerin ins Leere, der Gesichtsausdruck entrückt, als wäre sie in eine fremde Welt eingetaucht.

Drache und SilberWhere stories live. Discover now