Drache und Silber 12

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Lo, die größere der Zwillingsonnen versank gemächlich hinter dem Horizont und überzog den gesamten Himmel mit blutrotem Licht. Noch erhielt die kleinere Sonne Li als weiß glühender Kreis den Tag, doch auch sie ergab sich allmählich der Nacht, schon bald würde sich das helle Blau des Himmels dunkel färben und Mond und Sterne auf ihm erstrahlen.

Die Stunde zwischen Li und Lo unterschied sich deutlich vom Rest des Tages, sowohl am Abend wenn die Sonnen sanken, als auch am Morgen wenn sie wieder erwachten. Die Drachen nannten sie Glutstunden, weil dann der Himmel brannte.

Wesen die zu dieser Zeit geboren wurden, brachten oft einzigartige meist magische Fähigkeiten mit in die Welt. Manche behaupteten dasselbe bei den Kindern, die dann gezeugt worden waren, doch das ließ sich nur schwer nachprüfen.

Auf Wanderschaft suchten sich Reisende zur abendlichen Glutstunde eine Unterkunft für die Nacht, Eltern scheuchten ihre Kinder ins Bett und Bauern brachen von den Felder nach Hause auf.

Für unterschiedliche Feste im Jahreskreis der Drachen, waren die Glutstunden Beginn oder Ende der Festlichkeiten und für jeden Magier boten sie den perfekten Zeitpunkt um Zauber zu weben.

Doch gerade magisch unbegabte Wesen wie ich und meine Begleiter, brauchten die magische Energie der Glutstunden um erfolgreiche Zauber überhaupt zustande zu bringen.

Als Lo zu sinken begann, arbeitete ich deshalb fieberhaft daran, das Schattenportal vorzubereiten.

Weit genug entfernt von unserem Lager, dass uns die zurück gebliebene Energie des Zaubers später nicht im Schlaf stören konnte, inmitten der Wiesen an deren Rand wir rasteten, hatte ich eine kreisrunde Lichtung ins hohe Gras getrampelt.

Sie wurde mit Steinen vom Rest der Wiese abgrenzt. Diese hatte ich zusammen mit Ranja in einem nahegelegen Bach gesammelt, nachdem sie ihre Aufgabe der Königin zu helfen beendet hatte.

Nun formte ich aus dem tiefschwarzen, luftig leichten Lavagestein meiner Heimat -einen Beutel dieser nützlichen Ressource des Drachenlandes gehörte zu meinem Standartgepäck- das große Augen des weisen Drachens in der Mitte des Kreises, während Ranja mit einer Fackel magische Symbole in die Erde brannte.

Still arbeite ich vor mich hin, dabei stieg mir der Geruch des sengendes Grases in die Nase. Ich mochte ihn, er erinnerte mich an die Feuer die wir zur Sonnenwende am Winterstein errichteten um die Nacht mit ihren flackernden Lichtern zu erhellen.

Ob das Elfenvolk ähnliche Bräuche zu diesen wichtige Festen beging wie wir? Vielleicht spielte die Sonnenwenden in ihrem Jahreskreis überhaupt keine Rolle, weil für die Elfen andere Tage oder Nächte eine größere Bedeutung hatten.

Diese Gedanken plagten mich zum ersten Mal in meinem Leben, denn ich hatte mich mit den verhassten Feinden noch nie lange befassen wollen. Überlegungen die Elfen mit einbezogenen und weder Politik noch Kriegsführung beinhalteten, waren nutzlos verschwendete Energie.

Doch seitdem Ranja angemerkt hatte, dass die Königin vielleicht nur Grünzeug aß, konnte ich nur noch darüber nachdenken, wie die Elfe einen normalen Tag ihres Lebens verbrachte.

Vielleicht unterschied sich ihr Tagesablauf nur wenig von dem meines eigenen Herrn, der selten regierte und sich stattdessen lieber in unzählige Vergnügungen flüchtete. Über die Hälfte des Jahres verbrachte er nicht auf dem Winterstein, denn der Drachenhorst lag weit entfernt aller großen Städten am Rand des Drachenlandes, zwischen dem Feuergebirge und der grünen See und war dadurch laut Vigour zu abgelegen und sterbenslangweilig.

Sicherlich zog es die Elfenkönigin auch vor, sich in die schier unendlichen Möglichkeiten zur Zerstreuung zu flüchten, die man am Hof des Hochkaiserpaares in der Hauptstadt von Ametrin finden konnte.

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