Drache und Silber 108

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„Du Gör. Du ungezogenes Kind. Wieso kannst du bloß nicht hören? Du machst dich unglücklich."

Meine Mutter kreischte. Sie zog mir die flache Hand über den Kopf. Über die Jahre, wo mich ein Schlag eingeschüchtert hatte, war ich lange hinweg. Er kribbelte. Nichts sonst.

Ein überraschter Laut kam von meiner Liebsten.

„Ich bin kein Kind. Mutter. Ich weiß sehr wohl was ich tue."

„Das weißt du eben nicht. Sonst würdest du nicht..."

„Ach. Mt dir kann man nicht reden.", unterbrach ich sie rüde.

Ich wandte mich zu Tür und packte Juna an der Hand. Traurig blickte ich zu meinem Papa. Entsetzen stand in seinem freundlichen Gesicht.

„Tut mir leid. Papa. Rosalie. Ich kann nicht bleiben. Aber ihr seid herzlich eingeladen mich zu besuchen. Wir sehen uns spätestens zur Hochzeit."

Eiskalt warf ich einen letzten Blick zu meiner Mutter, die hasserfüllt an mir vorbei auf meine Königin starrte.

„Du brauchst nicht zu kommen.", knallte ich ihr als Abschiedsgruß entgegen.

„Als ob ich das wollte.", schrie sie mir hinterher.

Als ich hinaus auf den Gang trat, zitterte ich am ganzen Körper. Ich knallte die Tür hinter mir zu, dass der Ton hundertfach vom Felsen um uns herum widerhallte.

Juna schlang von hinten ihre Arme um mich.

„Tut mir leid. Tut mir so leid."

Sie küsste meine Schulter.

„Was entschuldigst du dich? Diese verdammte..."

Ich brach ab. Laut sog ich Luft ein. Die Wut pumpte durch meine Adern. Irgendetwas wollte ich jetzt verprügeln.

Doch nicht vor meiner Liebsten. Weil sie es hasste.

Also drehte ich mich zu ihr und drückte einen Kuss auf ihren Lippen. Viel grober als geplant.

„Ich brauch einen Moment allein. In Ordnung? Ich komm dann gleich zurück."

Sie verzog unzufrieden das Gesicht.

„Iris. Können wir nicht reden?"

Sanft strich sie mit dem Finger über meine Hand.

Laut knirschte ich mit den Zähnen.

Nur kurz meine Faust in etwas hinein rammen. Und mir meine Mutter dabei vorstellen.

„Nachher!"

Eilig trat ich einen Schritt von ihr fort, doch Juna hielt mich fest.

„Geh jetzt nicht. Was willst du denn machen?"

Ich ballte die Hand zu Faust. Schweiß sammelte sich auf meiner Stirn.

Energisch riss ich mich los und schlug gegen die Wand. Ein gewaltiger Schlag. Meine Handknochen knacksten und Steinsplitter bröckelten zu Boden.

Nicht genug. Schmerz pochte in meiner Hand.

Juna starrte mich mit großen Augen fassungslos an.

„Ich will etwas verprügeln.", presste ich hervor.

„Und deshalb musst du dich verletzen?"

Langsam legte sie ihre Finger um meine Hand. Gelbes Licht glühte und meine Haut prickelte. Es drang bis tief in meine Knochen.

Ich schwieg. Der Wunsch mich zu entschuldigen kämpfte mit dem Drang sie weg zu stoßen und wieder gegen die Wand zu schlagen.

„Ich weiß du bist wütend. Wenn du etwas verprügeln musst, dann tu das. Ihr habt Holzschwerter hier. Und Strohpuppen auf die du losgehen kannst. Du musst dir keine Knochen brechen, um dich besser zu fühlen."

Vielleicht wollte ich mich sogar verletzen. Das sagte ich ihr nicht. Stattdessen nickte ich gespielt einsichtig.

Mit Junas sanftem Licht verschwand der Schmerz aus meiner Hand und sie ließ mich los.

Meine Liebste streichelte über meinen Kopf, genau dort wo mich der Hieb meiner Mutter getroffen hatte.

Ich liebte sie so sehr. Ihre Versuche mich zu beruhigen wirkten nicht, denn ich war ein Drache. Dennoch verschwand ein Teil der Verzweiflung, die sich unter der Wut versteckte. Die vergebene Hoffnung meine Mutter würde meine Entscheidungen akzeptieren und mir nicht immer ihre Enttäuschung zeigen, dass ich nie so geworden war, wie sie es sich erträumt hatte.

Das Bedürfnis zu weinen kämpfte mit dem tosenden Feuer der Raserei, doch es verlor. Weil ich mich nicht mit der Trauer befassen wollte. Dem unglücklichen Kind, das um die Liebe der Mutter bettelte.

„Strohpuppen," murmelte ich. „Ich geh."

Ich küsste Juna auf die Wange. Es lag nicht an ihr. Sie wusste es sicher.

„Ich warte auf dich. Tu dir nicht weh. In Ordnung?"

Wieder nickte ich brav.

Dann begann ich zu rennen.




Gezielt lenkten mich meine Schritte dorthin, wo ich bereits unendlich oft gewesen war. Das Übungsfeld am Fuß des Wintersteins. Eingeschlossen von dicken Mauern, lag es abgewandt von den Dörfern der Halbdrachen am Rücken des Berges.

Immer im Schatten.

In einer Kiste fand ich ein Schwert aus rostigem Eisen. Federleicht lag es in meiner Hand. Ich wirbelte es geschickt und grinste.

Ein Rausch schoss durch meine Adern. Er pumpte Energie in meine Muskeln.

Ein weites Feld lag vor meinen Augen, gefüllt mit Kriegern. Rüstungen rasselten und Pferde schnaubten. Eisen traf aufeinander, mit lautem Klirren.

Nur eine Strohpuppe stellte sich mir entgegen. Aus dem braunen Leinensack standen lange, gelbe Halme wie Stacheln hervor. Ein Grinsen aus Kohle prangte in ihrem unförmigen Gesicht. Niemand sonst befand sich hier zum Üben. Die faulen Drachen kämpften nicht mehr. Frieden hatte auch seine Nachteile.

Da echte Gegner fehlten musste doch die Strohpuppe unter meiner Anwesenheit leiden.

Zunächst rammte ich nur gegen sie. Ich brauchte den Körperkontakt. Die Wucht, die mich zurückstolpern ließ.

Als ich mir das Gesicht meiner Mutter auf dem Leinen vorstellte, hieb ich ihr den Schwertknauf in die Seite.

Fest biss ich die Zähne zusammen. Die Gesichtszüge verschwammen, als ich das Schwert in die Puppe hinein drosch. Ich riss die Klinge zurück und es regnete Strohhalme.

Immer wieder ließ ich meiner Hiebe niederregen. Stroh und Stofffetzten stoben nach allen Seiten. Schweiß lief mir in die Augen, meine Muskeln schmerzten, doch ich fühlte mich wundervoll.

Nur ein echter Gegner fehlte.

Schweratmend fühlte ich die Wut verrauchen. Mit jedem Schlag prügelte ich sie aus mir heraus.

Am Ende schlug ich der besiegten Puppe, die wie ein zerissener Lumpen auf ihrem Holzgerippe hing, den Kopf ab. Er hüpfte über die Steine, rollte und fand sein Ziel, an dem er liegen blieb.

„Beim weisen Drachen. Was machst du denn?"

Milana hob den Kopf auf und musterte ihn stirnrunzelnd.


Drache und SilberOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz