Drache und Silber 88

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Vigours Worte erschütterten mich. Es fiel mir schwer ihm zu glauben.

„Lüg mich nicht an. Du würdest Samuel niemals verletzen."

Mein Herr, der sein Herz gern verschenkte und immer der leichte Unterhaltung hinterherrannte, blieb nur wenigen seiner Vertrauten treu. Samuel genoss einen uneinnehmbar wichtigen Status. Für den Jungen schaffte mein König immer Platz in seinem Leben. Selbst seine unstillbare Liebe zu den verschiedensten Schönheiten, verlor dagegen an Wichtigkeit.

Wieder lachte Vigour verzweifelt. Seine große Hand ruhte auf Samuels hellem Haarschopf. Regungslos lag der Junge neben ihm. Zugedeckt bis zur Nase. Die Dunkelheit verschleierte seinen Zustand.

Ich beschloss die Kerzen anzuzünden.

„Was ist geschehen?", fragte ich.

Mit ruhiger Stimme stellte ich meine Frage, obwohl ich meinen Herr anbrüllen wollte. Noch glaubte ich nicht daran, dass Samuel nicht mehr bei uns weilte.

Die Vorstellung Vigour lag mit der Leiche des Drachen, der ihm am nächsten stand, im Bett, gefror mir das Herz. Er musste lügen. Sonst kam jede Hilfe zu spät.

„Wir haben uns gestritten. Weil Samuel fort gehen wollte. Und ich habe ihn gestoßen. Ich war so wütend. Aber ich wollte ihm nicht weh tun."

Nach und nach erfüllte flackerndes Kerzenlicht den Raum.

Vigour begann leise zu Schluchzen.

„Er ist unglücklich gefallen. Mit dem Kopf an die Tischkante. Der Heiler hat gesagt, wenn er bis zum Abend nicht erwacht, wird er von uns gehen. Er schläft noch immer. Er atmet fast nicht mehr."

Also lebte Samuel noch. Erleichtert seufzte ich.

Nicht nur weil eine Chance blieb den Jungen zu retten. Ich hatte ganz aus versehen, die beste Heilerin mitgebracht, die mir jemals begegnet war.

„Gib nicht auf Vigour. Solange Samuel atmet, ist er am Leben. Ich komme gleich zurück."

Hektisch stürmte ich aus dem Raum und lief die Königin beinah um, die hinter der Schlafzimmertür versteckt lauschte.

„Wir brauchen dich.", sagte ich ihr ohne Erklärungen. Sie hatte uns zugehört, also wusste sie worum ich bat.

Mit einem Lächeln nickte die Elfe und strich mir liebevoll die Falten von der Stirn.

„Ich werd mein Bestes geben.", hauchte sie, klopfte mir beruhigend auf die Schulter und ging voraus ins Schlafzimmer.

Mein schweres Herz füllte sich mit Leichtigkeit. Ich vertraute auf die Heilkunst der Königin.

Um ihr zu helfen, eilte ich hinter ihr her.

Beschützend drückte Vigour den leblosen Körper seines Freundes an sich. Ängstlich starrte er der Elfe entgegen, die sich zu ihm auf die Bettkante setzte.

„Berühr ihn nicht. Er kann sich nicht wehren. Samuel braucht Ruhe.", murmelte Vigour.

Vorsichtig strich er dem Jungen über das Gesicht und versteckte es hinter seiner Handfläche.

Die rotgeränderten Augen meines Herrn glänzten fiebrig. Seine Lippen bebten. Er liebte Samuel. Für niemanden anderen hätte er so getrauert. Ob er es nun endlich wusste?

„Ich werde ihm helfen. Doch du musst ihn mir überlassen. Nur für kurze Zeit."

Die süße Stimme meiner Geliebten konnte ihn nicht überzeugen. Heftig schüttelte Vigour den Kopf.

„Vigour. Sie wird ihn heilen. Ich weiß du vertraust ihr nicht, aber vertraue mir bitte. Wenn Samuel noch eine Chance hat, dann durch ihre Hilfe. Bitte. Ich möchte ebensowenig wie du, dass Samuel stirbt."

Ohne den freundliche, ruhigen Jungen an seiner Seite, war mein Herr unvollständig. Vigour brauchte sein Kuscheltier.

Immer noch zögerte mein König. Ich hielt mich zurück ihn zu schimpfen. Stattdessen kletterte ich zu ihm aufs Bett und half ihm Samuel zu übergeben.

Seine Finger krallten sich in die Schultern des Jungen, ich bog sie unnachgiebig auf und zog sie fort. Vigour wehrte sich nicht, doch zitterte am ganzen Leib.

„Wir werden unser Bestes geben. Noch ist nicht alles verloren.", flüsterte ich ihm beruhigend zu.

Endlich gelang es der Königin Samuel zu sich zu ziehen.

Geschickt löste sie seinen blutigen Verband. Vorsichtig bettete sie den Kopf des Jungen auf ihren Schoß.

Mit geübten Bewegungen untersuchte sie die Verletzung unter der Bandage. Eine klaffende Wunde zog sich über seine Schläfe bis zu seinem Scheitel. Verkrustetes Blut bröselte über die Finger der Elfe.

Tief atmete sie ein und schloss die Augen. Sie legte die Handflächen über Samuels Kopf. Ein sanftes, goldenes Strahlen erschien um ihre Finger herum. Es breitete sich über ihre Hände aus und floss zäh auf den Jungen hinunter.

Vigour zuckte zusammen, als wollte er nach vorne stürmen und sich seinen Freund zurückholen. Fest schlang ich meine Arme um seine Brust. Ich verstärkte meinen Griff, wenn ich fürchtete, er wolle die Heilung unterbrechen. Tröstend wisperte ich ermutigende Worte. Ich konzentrierte mich voll auf meinen Herrn, achtete auf seinen raschen Atem und die Spannungen in seinen Muskeln. Damit er in seinem Wahnsinn keine Dummheiten beging.

Endlich seufzte die Königin laut: „ So. Nun können wir nur noch abwarten."

Das goldenen Licht erlosch und sie blinzelte müde. Ich ließ Vigour los, der sofort zu Samuel stürzte und prüfend über sein blasses Gesicht streichelte.

„Er braucht Ruhe. Verstanden. Zerr nicht an ihm herum.", ermahnte ihn die Elfe. Ihre Stimme klang schwach. Besorgt krabbelte ich zu ihr und hielt sie an den Schultern.

„Alles gut? Hast du dich zu sehr angestrengt?"

Mit einem Lächeln kuschelte sie sich in meine Arme.

„Du musst mich nach Hause tragen. Am Besten gleich. Ich habe genug von deinem dummen König."

Rasch nickte ich. Ich würde sie an jeden Ort der Welt tragen.

Ich wandte mich zu Vigour um, der Samuel fest an sich presste.

Die Wunde am Kopf des Jungen war verschwunden. Leichte Röte zeigte sich auf seinen Wangen. Seine Brust hob und senkte sich deutlich. Ein gutes Zeichen. Doch ich war mir nicht sicher, ob er leben würde. So bald wir zurück in meinen Gemächern waren, wollte ich die Königin danach fragen.

Wie hypnotisiert starrte mein Herr in das Gesicht seines Freundes. Ich musste ihn mehrfach ansprechen, bis er auf mich reagierte.

„Du siehst Samuel geht es schon besser. Aber lass ihn noch ihn Ruhe schlafen. Und pfeif jetzt deine Wachen zurück. Ich möchte den Winterstein im Frieden mit dir verlassen."

Mit müdem Zügen blickte mich Vigour an. Abwesend streichelte er durch Samuels weiches Haar.

Vereinzelt lösten sich Tränen aus seinen Augen. Ich hatte ihn noch niemals so still weinen sehen.

„Er wird Leben. Ja? Wird er es wirklich? Wenn ihr ihn gerettet habt, erfülle ich euch alle Wünsche, die ihr habt. Du kannst gehen. Iris. Du kannst alles mitnehmen, was du willst. Er wird Leben. Ja?"

Stahlhart schlossen sich seine Finger um mein Handgelenk.


Drache und SilberOnde histórias criam vida. Descubra agora