Silber und Drache 117

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Spät abends ließ mich meine Familie allein. Mir brummte der Kopf, von den vielen gut gemeinten Ratschlägen. Sogar Rosalie hatte mir erzählt, warum sie glaubte, dass ihre Ehe gescheitert war. Alles was sie in ihrer Ehe gesagt und getan hatte, sollte mir dementsprechend als Negativbeispiel gelten.

Zurück blieb ich mit dem Wissen, dass ich so viel wie möglich mit Juna reden, aber gleichzeitig im Streit stumm wie ein Fisch bleiben musste.

Ihr zu gefallen war Pflicht, aber bitte nicht zu sehr.

Die Widersprüche rissen nicht ab und ich aß stumm den ganzen Rest des Kartoffeleintopfes.

Gleichzeitig vermisste ich meine Liebste. Umso mehr in dem Moment, als ich mich allein in unseren Gemächern umsah.

Ein großer, blasser Mond warf fahles Licht durchs Fenster. Die Blätter des Lebensbaumes rauschten leise.

Unwillig ohne meine Königin ins Bett zu gehen, kuschelte ich mich aufs Sofa und starrte hinaus in die Nacht.

Die verdammten Hochzeitsvorbereitungen endeten nie. Ich freute mich auf die Zeit danach.

Zäh tropfte die Zeit vor sich hin. Der Mond wanderte über den Himmel und ich beobachtete sein langsames wandern.

Ich döste und wartete.

Mit einem leisen Summen öffnete sich die Tür. Juna stolperte herein und mit ihr eine Wolke Alkoholgestank.

Unsere Hochzeitsgäste tranken gern und meine Liebste konnte nicht jeden Tost abwehren.

„Du schläfst noch nicht? Hast du auf mich gewartet?"

Sie klang erstaunlich nüchtern.

„Ja. Das Treffen heute hat zu lang gedauert. Ich hab dich vermisst."

Immer wieder sagten wir uns, dass wir uns vermissten. Es änderte nichts an der gemeinsamen Zeit, die uns fehlte.

Vorsichtig kam sie näher und hielt sich dabei an den Möbelstücken fest, die ihren Weg kreuzten.

„Du hättest nicht warten müssen. Du bist doch sicher müde. Prinzessin."

Juna warf sich neben mir aufs Sofa und lehnte den Kopf an meine Schulter. Sanft nahm sie meine Hand und streichelte meine Finger.

„Nicht so müde. Und du? Erschöpft?"

„Viel zu erschöpft.", beschwerte sich meine Liebste.

Sie führte meine Hand an ihr Haar. Zärtlich zog ich Blumen aus den zerrupften Überresten einer Flechtfrisur.

„Dann sollten wir schlafen gehen.", schlug ich vor.

Ich wollte nicht. Auch meine Liebste schüttelte den Kopf.

„Lass uns einfach so bleiben. Für immer. Wir sperren die Tür zu und lassen niemanden mehr herein. Selbst wenn das Hochkaiserpaar selbst hier auftaucht. Jeder muss draußen bleiben."

„Das klingt wundervoll."

Nach und nach löste ich Junas Zöpfe und fuhr mit den Fingern durch ihr Haar. Meine Liebste seufzte glücklich. Langsam fielen ihr die Augen zu.

Morgen wartete wieder ein Tag voller Aufgaben auf uns. Dafür brauchten wir einen erholsamen Schlaf. Deshalb schob ich Juna sanft von mir. Sie murrte laut und lehnte sich gegen mich.

„Juna. Wir müssen schlafen."

„Ich will nicht. Dann wird es morgen und wieder können wir nicht zusammen sein."

Fest schlang sie die Arme um mich. Einen erneuten Versuch sie fort zu schieben brachte ich nicht übers Herz. Vor allem, da ich es liebte sie festzuhalten.

Ich flüsterte in ihr Ohr und gab dabei die Stimme der Vernunft, die ich selbst hasste.

„Aber du weißt was wir morgen alles tun müssen. Übermüdet schaffen wir das nicht."

„Wir machen einfach gar nichts morgen.", kam die prompte Antwort.

„Aber das geht doch nicht."

Juna setzte sich erschöpft auf, doch ihre Augen funkelten.

„Doch das geht. Wir rennen weg. Wir haben doch schon drüber geredet. Lass es uns tun. Mein Drache. Lass uns flüchten. Es reicht jetzt."

Verblüfft starrte ich sie an. Ihr Gesicht strahlte vor Begeisterung.

„Jetzt sei nicht so schockiert. Ich bin schon Mal mit dir weggelaufen. Das war auch nicht geplant."

Kurz überlegte ich, bevor mir einfiel, worauf sie hinauswollte.

„Nennst du deine Entführung etwa weglaufen? Lass das bloß nicht Vigour hören. Sonst will er seine Zahlungen zurück."

Meine Liebste kicherte. Sie griff in mein Haar und drückte mir einen Kuss auf.

„Das war ein Akt der Liebe und diesmal ist es auch einer. Komm schon. Wir packen ein paar Sachen zusammen."

Unsicher blieb ich einen Moment sitzen. Ihr Vorschlag klang wie ein Traum. Wunderschön und aufregend. In den letzten Wochen hatte ich mir jeden Tag vorgestellt mit meiner Königin den Palast zu verlassen.

Aber ich fürchtete die Konsequenzen für Juna, wenn wir unvernünftig handelten.

„Willst du nicht?"

Meine Liebste zog eine Schnute und schniefte laut.

„Können wir denn einfach so fort?"

„Können wir natürlich nicht."

Juna warf sich auf mich und schlang die Arme um meinen Nacken.

Ihr warmer Atem strich über mein Ohr, als sie flüsterte.

„Aber wir machen es trotzdem. Weil wir es brauchen. Und wir sind wichtiger."

Freude wallte in mir auf. In meinen Gedanken packte ich bereits, doch mein Drang meine Liebste zu beschützen gewann die Oberhand und hielt mich zurück.

„Wirst du Ärger kriegen? Nicht dass deine mickrigen Minister meinen sie müssen dir Vorhaltungen machen."

Meine Königin lachte und streichelte meine Wangen.

„Du süßer Drache. Ich bekomme nie Ärger. Vielleicht werden sie eher versuchen dich zu schimpfen als mich. Aber das lass ich nicht zu."

Mich konnten sie gerne schimpfen. Dann bekam ich die Gelegenheit, einem dieser hochnäsigen Widerlinge eins auf die Nase zu geben.

Hastig schob ich Juna von mir herunter, um loszustürmen und zu packen, bevor sie es sich anders überlegte. Doch meine Liebste klammerte sich an mich.

„Erst ein Kuss. Dann packen wir.", verlangte sie und spitzte ihre Lippen.

Ich schmuste sie nieder, dass ihr die Luft wegblieb. Früher hatte ich mich nicht getraut, mich so an ihr zu vergehen. In den letzten Monaten traute ich mich immer mehr.

Atemlos lachte sie gegen meine Lippen und ließ mich los.

Ich stürmte davon und räumte einen großen Beutel aus dem Wandschrank im Schlafgemach, um einen Berg Kleidung hineinzustopfen.


Drache und SilberWhere stories live. Discover now