Kapitel 75

4.6K 245 37
                                    

____

26./27. Juni 1996

„Das wird schon wieder." Ich sitze auf dem Ohrensessel in unserem Wohnzimmer. Inzwischen sind auch die letzten Gäste angetrunken und die Stimmung ist feuchtfröhlich. Genau so, wie Sirius es sich gewünscht hätte. Ich drücke mir das Kissen fest ins Gesicht und lasse einen Schrei los. Hermine sitzt auf der Armlehne und seufzt. „Hör zu. Dir macht keiner Vorwürfe. Du kannst da doch echt nichts für und das denkt auch niemand. Auch Fred nicht. Er ist nur verletzt, weil du ihm nichts gesagt hast. Oder Ron?" -„Hä?", macht er und schreckt im Sessel neben mir auf. „Ja.. Ja, genau...", murmelt er und sackt dann wieder in sich zusammen, ein Stück Kuchen in der einen Hand, die andere um ein Kissen geschlungen. Es dauert nicht lange, bis aus seiner Richtung wieder ein leises Schnarchen zu hören ist. Hermine schüttelt den Kopf, doch ich muss grinsen und schniefe. „Ich hätte es ihm einfach direkt erzählen sollen. Ich bin so dumm.", seufze ich und wünschte, ich hätte einen Zeitumkehrer zur Hand - aber leider wurden die ja alle zerstört.

Langsam beruhigte ich mich. Alles würde schon wieder gut werden. Morgen würde ich zu Fred apparieren und mit ihm Reden und dann würde sicher alles wieder anders aussehen. Hoffte ich. Bevor alle Gäste sich verabschiedet hatten war ich, sobald Hermine gegangen war, ohne noch einmal mit meinem Vater oder einem der anderen Gäste gesprochen zu haben, schon in mein Zimmer verschwunden.

In der Nacht bekomme ich jedoch kein Auge zu. Was wenn Fred es mir doch übelnimmt? So habe ich ihn noch nie erlebt. Er hat mich noch nie weggestoßen. Es muss ihn wirklich verletzt haben. Ich starre an die Decke und lasse den Abend revue passieren. Sirius tot, Dad am Ende, Fred sauer auf mich. Läuft gerade bei mir. Ich seufze und setze mich auf meiner Bettkante auf. Ich richte meinen Blick aus dem Fenster und kann Siriuis' Baum in der Ferne im Sternenlicht leuchten sehen. Leise stehe ich auf, ziehe mir eine Strickjacke über und schleiche aus dem Haus, in Richtung Waldrand. Vorsichtig lasse ich mich vor Sirius' Grabstein nieder und seufze. „Ach Sirius...", mache ich und betrachte die Inschrift auf dem hellgrauen Stein. „Ist doch alles scheiße.", murmle ich und lasse mich neben dem Stein ins Gras fallen. Mit den Armen unterm Kopf verschränkt blicke ich hoch in die Sterne, auf der Suche nach dem hellsten Stern am Himmel. Es dauert nicht lange, bis ich ihn finde und muss schmunzeln. Der hellste Stern am Himmel, so hätte man Sirius auch beschreiben können. Trotz seiner Situation war er immer guter Laune und hat das beste daraus gemacht. Irgendwie ist es tröstlich, Sirius' Stern im Himmel zu betrachten und zu wissen, dass er immer da oben sein wird und uns im Blick hat. „Was würdest du mir jetzt raten, hm?", frage ich den Sternenhimmel hoffnungsvoll. Ich seufze und schließe die Augen. Ich erzähle ihm alles, was heute passiert ist und weihe ihn in meine Misere mit Fred und meiner Mutter ein. Das Gespräch ist natürlich sehr einseitig, aber dennoch beruhigt es mich, alles einmal von meiner Seele reden zu können. „Ich wünschte du wärst jetzt hier. Du wusstest immer, was zu tun war. Und du hast alles so einfach hingenommen. Als hätte es dir nie was ausgemacht, wie deine Familie war. WER deine Familie war..." - „Das liegt daran, dass Sirius schon lange mit seiner leiblichen Familie abgeschlossen hatte. Für ihn waren seine Freunde seine Familie." Ich schrecke auf und öffne die Augen. Mein Vater steht im Morgenmantel vor mir und lächelt traurig. „Dad..." - „Kannst du auch nicht schlafen?" Ich schüttle den Kopf. „Tut mir leid, was da vorhin mit Ignatius vorgefallen ist." Er setzt sich neben mich ins Gras und ich setze mich ebenfalls auf. „Mir tut es leid.", murmle ich und blicke auf meine Hände. „Nein... Ich hätte nicht so aus meiner Haut fahren dürfen... Ich..." - „Nein... Du hast mich nur beschützt." Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter und er legt seinen Arm um mich. „Danke.", murmle ich und er seufzt. „Und trotzdem hat das den Abend zerstört. Dabei hast du dir so viel Mühe gegeben. Wir hätten ihn einfach nicht einladen sollen." - „Quatsch... Ich glaub Sirius hat sich da oben köstlich über das Drama amüsiert - ihm hat wahrscheinlich noch gefehlt, dass ihr euch wirklich duelliert habt, seien wir mal ehrlich..." Mein Vater lacht auf. „Da wirst du wohl Recht haben." - „Außerdem musste das wahrscheinlich einfach mal raus. Eine andere Situation wäre vielleicht angenehmer gewesen... Ich hätte früher... Ach..." Meine Stimme bricht ein. „Ich hätte dich nicht bitten sollen, es für dich zu behalten. Soll ich mit Fred reden?" - „Ne, das mach ich schon. Aber danke. Und mach dir keine Vorwürfe. Ich hab's über die Jahre auch einfach vergessen... Keine Ahnung... Es fühlt sich auch nicht wirklich an, als wäre sie meine Mutter, weißt du? Ich höre immer nur Geschichten... Es ist irgendwie wie bei Sirius... Für mich ist sie nicht meine Familie... Sondern du, und er, und Fred... und die Weasleys. Umso schlimmer, dass ich sie jetzt alle so verletzt habe..." Auf einmal trifft es mich. „Dad, was wenn ich ihn deswegen verliere?" Meine Augen füllen sich mit Tränen. „Fred ist verletzt. Das ist nachvollziehbar. Aber er wird dir verzeihen. Er liebt dich, von ganzem Herzen. Das weiß ich. Und eine solche Liebe zerbricht nicht an einem kleinen Streit. Sie wächst daran." - „Du sagst immer so poetische Sachen...", murmle ich und schniefe. „Ich hatte viel Zeit zu lesen in meinem Leben.", lacht er auf und drückt mich an sich. „Danke..." Eine Weile herrscht Stille zwischen uns. „Ich frage mich manchmal, was gewesen wäre, wenn ich deiner Mutter verziehen hätte. Wenn ich sie nicht verlassen hätte." - „Ich bin froh, dass du es nicht hast. Wer weiß, wie lange das noch gehalten hätte, ob sie sich hätte ändern können... Wer weiß, ob wir uns jetzt so gut verstehen würden... und ob Fred und ich jemals Freunde geworden wären. Vielleicht hätte ich die Weasleys niemals getroffen. Um auch mal etwas Poetisches zu sagen: es bringt nichts zurück zu gucken mit einem was wäre wenn - wenn das hier und jetzt perfekt ist, so wie es ist." - „Was für eine kluge Tochter ich doch habe." - „Ich vermisse ihn. So sehr." Ich spüre, wie der Atem meines Vaters stockender wird. „Ich auch", flüstert er. „Ich auch..." Er weiß, dass ich von Sirius spreche.

𝕝𝕠𝕤𝕥 𝕒𝕟𝕕 𝕗𝕠𝕦𝕟𝕕 - die Tochter des letzten Rumtreibers ➵ Fred WeasleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt