Kapitel 85

2.9K 179 32
                                    


1. November 1996

Der Weg zum Schloss kommt mir kürzer vor als sonst. Vielleicht werde ich von meiner guten Laune angetrieben oder die Zeit vergeht dadurch schneller. Leise summe und singe ich die Lieder mit, die mir in den Ohren hallen und stapfe den Weg zum Schloss, beleuchtet durch die Spitze meines Zauberstabes und das helle Licht des Halbmondes, hinauf. Als ich die Schlossmauern sehen kann, halte ich inne und ziehe die Karte des Rumtreibers aus meinem Rucksack. „Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin", flüstere ich und stupse die Karte vorsichtig an. Linien erscheinen aus dem Nichts und füllen das Papier mit den Umrissen des Schlosses. Ich suche nach meinem Namen und kann ihn schnell auf den Ländereien des Schlosses finden. „Tonks, wo bist du?", murmle ich vor mich hin. Ich hatte alles auf sie gesetzt. Ich fahre die Schlossmauern auf der Karte mit meinem Zeigefinger nach und suche die Tore ab. Und tatsächlich: über dem Tor auf der anderen Seite des Schlosses schwebt in geschwungenen Lettern der Name „Nymphadora Tonks". Ich wäge mich schon in Sicherheit, als mir ein anderer Name ins Auge springt. „Remus Lupin?", flüstere ich und kann meinen Augen kaum glauben, als ich den Namen meines Vaters neben dem des Schulleiters entdecke. „Oh nein.", seufze ich. Er ist doch nicht etwa für meinen Geburtstag gekommen? Wenn ja, dann habe ich ein großes Problem. Wie soll ich nur erklären, dass ich den ganzen Tag weder im Unterricht noch sonst wo auf dem Geländer aufzufinden war? Na klasse.

Ich atme tief durch und seufze, als ich mir die Ohrstöpsel aus den Ohren ziehe, sie zusammenknülle und in der Seitentasche meines Umhangs verschwinden lasse. Ich kaue auf meiner Unterlippe herum, als würde mir das dabei helfen, eine Lösung für dieses Dilemma zu finden. Aber vielleicht hat es ja auch gar nichts mit mir zu tun, dass mein Vater um – ich blicke auf meine Armbanduhr – 3 Uhr morgens im Büro des Schulleiters sitzt. Aber gut, wer so dumm für die Liebe die Regeln bricht, der hat verdient, dass das Karma ihn einholt.

Einen kleinen Tobsuchtsanfall unterdrückend lösche ich das Licht meines Zauberstabes mit einem leisen „Nox" und gehe weiter in Richtung des Schlosses. Ich halte möglichst viel Abstand zu den Schlossmauern, als ich diese Umrunde, um bloß kein Aufsehen zu erregen. Immer wieder schaue ich auf der Karte des Rumtreibers nach, wo ich mich befinde und wer sich in meiner Nähe aufhält. Mein Vater und Dumbledore befinden sich immernoch in dessen Büro. Der Name meines Vaters bewegt sich dabei in dem kleinen Raum hin und her.

Als ich fast am nächsten Tor angekommen bin, vernehme ich gottseidank noch rechtzeitig die Stimme meines geliebten Zaubertränke, ach nein, inzwischen Verteidigungslehrers Severus Snape und halte inne. Ein eiskalter Schauder läuft mir über den Rücken. Snape wäre der letzte, von dem ich mitten in der Nacht außerhalb des Schulgebäudes erwischt werden wollte. Ich kann nicht erkennen, worüber er spricht, oder mit wem er spricht und nehme mir die Karte zur Hilfe. Sein Name tänzelt um den von Tonks herum und mein Herz rutscht mir in die Hose. Wie kann es sein, dass so ein perfekter Tag so schrecklich endet? Karma, bist du das? Haben Fred und George sich auch immer so gefühlt, wenn sie irgendetwas angestellt haben, was sich außerhalb der Regeln befunden hat? Oder war ihnen einfach alles egal? Ich habe sie tatsächlich nie näher zu ihren Missetaten befragt, sondern sie einfach hingenommen und mit ihnen darüber gelacht. „Wenn die Göre hier auftauchen sollte, schickst du sie sofort zum Schulleiter. Hast du verstanden?", höre ich Snape in seinem schmierigen Akzent säuseln. Ich kann Tonks Antwort nicht hören, stelle aber erleichtert fest, dass sich der Hauslehrer von Slytherin vom Tor entfernt und wieder ins Schloss eilt. Erleichtert atme ich auf. Tonks wird mich sicher verschonen und dann kann ich mich unbemerkt zurück in den Schlafsaal schleichen und so tun, als hätte ich diesen nie verlassen – oder hätte einfach einen Spaziergang über die Schlossgründe gemacht, darum hatte man mich nicht finden können. Genau, so einfach wird es sein! Rede ich mir zumindest ein. Mein Herz rast vor Aufregung und ich halte meinen Zauberstab fest umklammert. Leise spreche ich die Worte, die die Karte des Rumtreibers wieder erlischen lassen und lasse das Stück Pergament dann in meinem Umhang verschwinden.

𝕝𝕠𝕤𝕥 𝕒𝕟𝕕 𝕗𝕠𝕦𝕟𝕕 - die Tochter des letzten Rumtreibers ➵ Fred WeasleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt