Kapitel 87

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Dezember 1996

Ich war kaum eingeschlafen, da hatte mein Wecker mich auch schon wieder aus dem Schlaf gerissen. Die Tage nach meinem Geburtstag waren hart gewesen, denn selbstverständlich wunderten sich erst einmal alle, wo ich am Tag zuvor gewesen war und warum unserem Haus plötzlich so viele Punkte fehlten. Aber ich hatte mir die Misere ja selbst eingebrockt, darum musste ich wohl oder Übel auch dazu stehen.

Das Nachsitzen bei Professor Sprout stelle sich hingegen als ein angenehmer Zeitvertreib heraus. Die Hauslehrerin der Hufflepuffs war eine freundliche, ältere Dame, die gerne redete und mit der die Stunde jedes mal sehr schnell vorbei ging. Es kam sogar vor, dass ich die Zeit so vergaß, dass ich ihr bis in den späten Abend hinein dabei half, die Pflanzen umzutopfen oder Setzlinge zu ziehen. Tatsächlich lernte ich sogar das ein oder andere bei meiner Arbeit im Gewächshaus, wodurch ich zumindest die verlorene Zeit, die ich zum Lernen hätte aufbringen sollen, etwas einholen konnte.

Die Worte meines Vaters gingen mir seit unserem Treffen nicht mehr aus dem Kopf. Tagelang grübelte ich darüber, was er gesagt hatte, über sich, über mich und sein Leben. Er war noch so jung, aber schon so verbittert. Ich versuchte mir vorzustellen, wie er sich fühlen musste. Wie er sich sein ganzes Leben lang gefühlt hatte. Als Kind gebissen, zum Werwolf gemacht wegen eines Fehlers seines Vaters, seitdem eine Kreatur, die Angst und Schrecken verbreitet, vor der auch er selbst sich fürchtete. Er fühlte sich wie es Monster, ging davon aus, dass niemand ihn lieben könne und ließ nur wenige an sich heran, aus der Angst heraus sie zu verletzen. Und dann... fand er endlich Freunde, die ihn nicht nur so akzeptierten wie er war, sondern für ihn einiges riskierten und stets für ihn da waren. Freunde, die besser nicht hätten sein können und denen er wahrscheinlich nicht nur einmal sein Leben verdankte. Und die wurden ihm plötzlich alle auf einmal aus dem Leben gerissen. Darüber hinaus entpuppte sich die Frau, die er zu lieben gelernt hatte, auch noch als Todesserin und auch sie wurde ihm genommen. Zwölf Jahre lang hatte es gebraucht, bis er schließlich aus dem Loch der Einsamkeit herausgefunden hatte. Bis er neue Hoffnung schöpfte. Er bekam seinen besten Freund zurück, er fand seine Tochter und auch im Sohn seiner toten Freunde fand er Halt. Und von jetzt auf gleich wurde Sirius ihm auch schon wieder genommen. So wie alles andere in seinem Leben auch. Es ist schwer sich vorzustellen, was mein Vater fühlen muss, aber verständlich, dass er sich solche Sorgen um mich macht.

Ich liege hellwach in meinem Bett und denke darüber nach, wie es wohl gewesen wäre, wenn mein Vater von Anfang an gewusst hätte, dass ich tatsächlich existiere. Hätte er mich überhaupt zu sich genommen? Hätte er mich verstoßen, aus Angst mich zu verletzten? Ein kleines Baby alleine bei einem Werwolf ist sicher nicht die vernünftigste Kindheit, die man sich vorstellen kann. Als ich geboren wurde, waren alle seine Freunde noch am Leben. Hätten sie ihm gut zugesprochen? Ihm versprochen, ihn zu unterstützen? Wenn alles anders gekommen wäre, hätte ich dann jeden Monat zu Vollmond vielleicht bei meinem Onkel Sirius verbracht? Hätte mit ihm Verstecken gespielt, wäre zusammen mit den beiden im Winter Schlittschuh gefahren und im Sommer im Meer baden gewesen. Ob ich dann heute die wäre, die ich jetzt bin? Ich hätte definitiv nicht so viel Ahnung von Muggeln. Die Weasleys hätten mir aber auch nicht die Winkelgasse gezeigt. Wäre ich dann überhaupt mit ihnen befreundet? Hätte ich Fred so gut kennengelernt? So viele Fragen. Natürlich weiß ich nicht, wie es anders gewesen wäre. Aber ich würde es auch nicht rückwirkend ändern wollen – denn, egal wie viel Leid die letzten Monate und Jahre mit sich gebracht haben, bin ich glücklich darüber, wo ich mich aktuell befinde. Und ich hoffe dass auch mein Vater schon bald wieder das Leben und die Menschen zu schätzen lernt, die ihn aktuell umgeben.

Am nächsten Morgen fühle ich mich wie gerädert. Ich habe wenig geschlafen und die Gedanken an meinen Vater plagen mich auch noch beim Frühstück.

𝕝𝕠𝕤𝕥 𝕒𝕟𝕕 𝕗𝕠𝕦𝕟𝕕 - die Tochter des letzten Rumtreibers ➵ Fred WeasleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt