Kapitel 2

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Das Studio der Produktionsfirma lag immer schon im Keller und ist nur durch eine alte Betontreppe erreichbar. Auf dem Weg nach oben schreibe ich eine kurze Nachricht an John, dass ich gleich da sein werde. Er hat sie gelesen, antwortet aber nicht. Das ist eben John, mit seiner kalten Seite, wobei ich aber weiß, dass ich immer auf ihn zählen kann, egal, was auch kommen wird.

Durch eine Seitentür im Haupthaus des Studios komme ich zu einem Fahrstuhl, der mich in die Tiefgarage bringt. Mit Marco, Julian und Claas bin ich in den Jahren, wo wir jetzt in Berlin leben, selten zusammen hier rausgegangen. Selten haben wir etwas zusammen unternommen und dabei waren wir die besten Freunde. Das ganze hier hat uns alles aber verändert, da ich in den Männern, die da unten wohl noch mit unseren Manager reden, nichts mehr erkenne, was ich damals in den 20-jährigen Klassenkameraden gesehen habe. Ruhm, Zeit, Geld und äußere Umstände haben uns alle verändert, aber auf unterschiedliche Weisen. Die drei gehen raus, verprassen alles, leben alles aus und ich...

Als ich die Stahltür zur Garage öffne, steht dahinter schon gleich John. Wie immer trägt er dabei seinen schwarzen Anzug, sein schwarzes Hemd und die schwarzen Schuhe. Knappe zwei Meter müsste er große sein und dieser Mann schaut zu mir runter.
John: Guten Abend Anissa. Soll ich dir die Case abnehmen?"
Anissa: Schon gut John, bring mich einfach nur nach Hause bitte."
Ein kurzen nicken und er geht mit mir zum Auto. Ein ebenfalls dunkler SUV. Mit dem komme ich überall hin, wo ich hin muss, und immer ist dabei John an meiner Seite. Als Leibwächter ist das immerhin sein Job. Meinen Bass verstaue ich im Kofferraum, bevor er mir die Tür aufhält, damit ich auf der Rückbank Platz nehmen kann und er hinter dem Steuer. Die hinteren Scheiben sind abgedunkelt, man kann auch kaum nach draußen schauen, aber mir auch egal. Als der Wagen sich in Bewegung setzt, schaue ich auf mein Handy. Auf meinem Konto auf Insta sind wieder einige neue Follower hinzugekommen, wobei sich kaum einer für die Bassistin der Band interessiert. Einige Kommentare und private Nachrichten, die ich zwar lese, weswegen ich aber nicht hier bin. Ich gehe auf die Konten meiner Freude, die in Berlin oder in meiner Heimat leben. Wie sie in Clubs gehen, auf Familienfeiern und wie sie ausgelassen ihr Leben feiern.
John: Hast du heute noch etwas vor Anissa? Soll ich dich zu Freunden fahren?"
Anissa: Einfach nur nach Hause John."
Ich habe hier meine Freunde und sehe die Nachrichten auf WhatsApp, aber gerade passt es einfach nicht in meinen Zeitplan. Das letzte Album vom letzten Jahr, die letzte Tour und jetzt die Single. Ich brauche Zeit für mich.

Wieder geht es in eine Tiefgarage und erst, als das Tor geschlossen ist und als John sich versichert, dass kein anderer hier ist, öffnet er meine Tür, damit ich aussteigen kann.
Anissa: Danke. Morgen zur selben Zeit wie heute wieder zum Studio."
John: Ich werde da sein."
Er öffnet den Kofferraum, damit ich die Case wieder nehmen und danach Richtung Fahrstuhl gehen kann. John schaut mir nach, das weiß ich, aber in den Fahrstuhl kommt man einzig mit dem Schlüssel und auch nur in eine Etage, da sie eben mit dem Schlüssel gesichert ist. Als ich drin stehe und die Türen sich schließen, steht John noch immer vor dem Auto mit verschränkten Armen und achtet auch mich, bis ich ihn nicht mehr sehe. Ich habe eine Penthousewohnung, mit Blick über Berlin und offener Terrasse, die ich allerdings im September seltener nutze. Entweder ist es hier zu heiß oder zu regnerisch. Als sich die Tür oben endlich öffnet, damit ich in meine Wohnung komme, kommt mir mein Kater gleich entgegen und maunzt mich an.
Anissa: Ist ja okay Sylvester, ich bin wieder da."
Ich lächle nur ganz leicht, während ich ihn einen Moment streichle, bevor ich meine Sachen weglegen will. Im Wohnzimmer habe ich eine Soundanlage, wo ich probe. Dort hängen auch einige andere Bässe und den, den ich heute verwendet habe, hänge ich auch wieder an der Wand auf.

Bevor ich Sylvester füttern würde, nehme ich mein Handy und setze mich auf das Sofa im Wohnzimmer und schaue auf den Kamin, den ich im Winter wieder anmachen würde. Darüber hängt mein Fernseher und für Filmabende ist der ideal. Für Filmabende...mit mir allein, aber er ist dafür perfekt. Auf meinem Handy kann ich die Nummer in den Kontakten suchen und kurz darauf auch zu Hause anrufen.
Anna: Anna Sanders?"
Anissa: Hey Mom...ich bin es."
Anna: Anissa, wie geht es dir, alles gut bei dir?"
Anissa: Du weißt schon, der übliche Stress eben, was soll ich sagen. Aber was ist bei euch so los. Habe ich etwas zu Hauser verpasst?"
Anna: Naja, das Emsland ist jetzt nicht so spektakulär Süße. Da erlebst du in Berlin sicherlich mehr."
Schön wäre es Mama, aber das würde ich ihr nicht sagen, da sie denkt, ich hätte hier das ausgefallenste Leben der Welt, aber wohl eher weniger. Es reicht. So würde ich es sagen.
Anissa: Wie geht es dir? Was macht die Chemo?"
Anna: Es muss, würde ich sagen. In einigen Monaten habe ich wieder eine Kontrolle, da wir jetzt erst angefangen hatten Süße. Es wird schon alles gut werden."
Als ob Eltern sagen würde, wenn etwas mit ihnen ist. Sie haben sich beide so gefreut, als ich hergehen konnte, damit ich meinen Traum leben kann. Musik machen und es anderen zeigen und da würde sie niemals etwas sagen, dass dazu führen könnte, dass ich wieder zurück ins Emsland kommen würde.

Sylvester meldet sich im Hintergrund, er maunzt mich an und selbst meine Mutter hört das, weswegen wir das Gespräch beenden, uns verabschieden und danach ist mein Handy wieder leise.
Anissa: Du kannst ein ganz anstrengender Kater sein."
Was hatte ich bei einer norwegischen Waldkatze auch erwartet? Du hattest ihn dir ausgesucht Anissa, jetzt musst du damit auch leben. Das Futter steht in meiner Küche, die offen zum Wohnzimmer ist, sodass der Kater nach kurzer Zeit auch glücklich vor seinem Napf sitzt, während ich durch den Flur zu meinem Schlafzimmer gehe. Daran anschließt mein Badezimmer, wovor ich mir erstmal andere Sachen anziehe, bevor ich mir im Badezimmer die Haare kämme und zum Dutt stecke, damit sie aus dem Weg sind, wobei der längere Pony mir natürlich im Gesicht hängt.

Aus dem Wohnzimmer hole ich eine Flasche Wein und schenke mir ein Glas ein und während im Hintergrund ein Song aus meiner Playlist über meine Anlage erklingt, stehe ich vor dem Panoramafenster, schaue auf die Skyline von Berlin und denke an den Tag im Studio zurück. Ich habe meinen Traum zum Beruf gemacht und habe einen engagierten Manger und meine Bandmitglieder sind meine besten Freunde, die ich seit der Schulzeit kenne. Ich hätte abends immer Zeit für Freunde und in den Pausen zwischen Sendungen, Tour und Studio wohl auch mal ein paar Tage für meine Familie, wobei ich wohl immer auf John angewiesen wäre, was die letzte Zeit mir bewiesen hatte, aber irgendwas ist ja immer. Am Abend komme ich immer nach Hause in mein Penthouse, wo ich Platz für eine Party mit 100 Mann hätte. Dazu mein Kater Sylvester, der mir abends immer um die Beine schlängelt und bei mir im Bett schläft und es hier so viel gemütlicher macht. Katzen sind für mich der Innbegriff von zu Hause und Gemütlichkeit. Ich habe alles erreicht, was ich immer wollte und trotzdem hasse ich mein Leben abgrundtief, wie es ist...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now