Kapitel 106

24 5 1
                                    

Sicht von Chris...

Anfang Juli ist es in Herford auch schon recht warm. In den letzten Tagen hat es immer geregnet, da ist das Wetter hier jetzt eine gute Abwechslung. Und trotzdem sitze ich in meinem Büro und arbeite an den letzten Dingen, die mein Bruder und ich noch brauchen werden in den nächsten Wochen und Monaten.

Im September haben wir noch eine kleine Produktion bei uns in der Zauberhalle. Dafür brauchen wir noch ein paar Pläne, die ich zusammengestellt habe über den Tag verteilt. Andreas war eine sehr lange Zeit unten in der Halle und hat dort etwas mit den Arbeitern vorbereitet. Einige Illusionen laufen nicht so, wie wir es wollen und dort hat er den besseren Überblick von uns beiden. Im Hintergrund läuft bei mir wieder die Playlist, die ich mit Anissa erstellt hatte. Ich habe nichts von ihr gehört, bis heute. Auch auf Instagram ist nichts passiert. Ich dachte, dass sie etwas posten wird, wenn die Band wieder auf Tour ist, aber scheinbar lag ich dort falsch. Kein einziger Beitrag aus einen der Stadien wurde von ihr veröffentlicht. Vielleicht sind andere Dinge auch wichtiger. Und eventuell sollte ich nicht immer wieder auf ihre Accounts schauen, wenn ich versuche das zu vergessen, was es zwischen uns gegeben hat. Wenn es nur so einfach wäre. Die Arbeit hier in der Halle lenkt mich auch nicht ab. Immer wieder schleichen sich Fehler ein und ich lasse mich immer wieder ablenken. Und als ich zum wiederholten Mal die Kosten falsch ausgerechnet habe, gebe ich für den Tag auch einfach auf. Es soll nicht sein und damit komme ich klar. Der Computer wird runtergefahren, die Sachen werden wieder einsortiert und zuletzt nehme ich mein Handy, wo ich die Musik auch wieder stoppe.

Während ich das Zimmer verlasse, checke ich die Nachrichten. Ein paar kommen aus der Gruppe meiner Freunde, mit denen ich sonst in Münster unterwegs bin.
Mike: Wollen wir uns mal wieder treffen?
Manu: Wäre dafür. Gerade haben wir ja Sommerpause, richtig Chef?
Paul: Du musst ChrisChros jetzt auch nicht so hoch ansiedeln, Manu. Ich müsste für die nächste Zeit passen. Mein gebrochenes Bein macht es nicht gerade sehr leicht, Jungs.
Mike: Voll vergessen. Alles Gute!
Paul: Wird schon werden.
Manu: Dann nur wir drei? Warum kommst du dann nicht mal zu uns Mike? Jetzt sind wir zwei gegen eins.
Mike: Aber Münster hat mehr zu bieten.
Chris: Ich will aber nicht nach Münster.
Aus offensichtlichen Gründen will ich da nicht hin. Es war das letzte Mal, dass ich mit ihr etwas unternommen hatte. Dass wir beide eine unbeschwerte Zeit zusammen hatten. Ich bin dafür einfach nicht bereit. Soll er, wenn, dann herkommen.
Manu: Und ich auch nicht. Also Mike, da musst du wohl zu uns nach Ostwestfalen kommen.
Mike: Meinetwegen. Ihr könnt auch sehr stur sein. Wäre Anfang August okay?
Chris: Klingt gut.
Manu: Bin dabei. Und unser Paul kuriert sich schön aus.

Ein Monat noch. In der Zeit sollte ich hoffentlich über sie hinweg sein und wieder halbwegs in der Lage ein normales Leben zu führen. Das Handy stecke ich weg, auch wenn immer wieder noch Nachrichten reinkommen. Die Jungs wissen, dass ich nicht mehr mit ihr rede und daher sprechen sie es nicht an. Sie wissen, wie mir sowas zusetzen kann. Vermutlich sind sie froh darüber, dass ich überhaupt meine Wohnung verlassen will. Jetzt will ich einfach nur wieder dahin, weiß aber, dass ich vorher nochmal zu meinem Bruder schauen muss. Durch die letzte Tür geht es also nicht nach draußen, sondern in die Halle. Und dort kann ich anhand der Stimmen erkennen, wo ich hinlaufen muss. Andreas hört man immer ziemlich klar heraus.

Andreas, Miles und Yuna stehen dort noch zusammen, besprechen sich ein wenig und trinken einen Kaffee. Ich fühle mich, als würde ich sie unterbrechen. Aber Andreas bekommt mich früh genug zu sehen, lächelt und zeigt danach auf die Illusion, die so große Probleme noch gemacht hat.
Andreas: Alles wieder in Ordnung!"
Chris: Klingt sehr gut."
Ich schaue sie mir an und stelle mich neben meinen Bruder. Sein Blick liegt auf mir und das merke ich. Äußerlich habe ich mich zwar nicht verändert, aber er weiß, dass ich kämpfe. Mit dem, was in mir los ist und was diese Frau mit mir angestellt hat.
Chris: Die Pläne sind alle geschrieben und für die Finanzen hatte ich zuletzt keinen Kopf mehr. Ich will nach Hause, wenn es geht."
Andreas: Klar! Wir machen hier auch gleich Schluss."
Yuna und Miles nicken und bringen mich zu einem schwachen Lächeln. Bevor ich zum Gehen ansetzen kann, hält Andreas mich auf und hält mir eine Zeitschrift hin.
Andreas: Silvana wollte, dass ich dir das gebe."
Eine Zeitschrift, die sie abonniert hatte. Darin stehen aktuelle Informationen zu bekannten und großen Musiker:innen und Bands. Vermutlich eine print Ausgabe zu dem Artikel von Anissa und mir, den ich nur aus Höflichkeit annehme.
Chris: Danke...ich bin los..."

Der Weg nach Hause wurde in den letzten Wochen immer unbeschwerter, da ich die Angst liegen lassen konnte, dass mir wieder etwas zustoßen wird. Ich habe Ruhe bekommen und lebe normal weiter. Der Alltag kommt langsam wieder in mein Leben, wobei ich den nicht haben will. Ich werde alles schon hinter mir lassen, auch wenn ich es nicht will. Ich will nicht wahrhaben, dass ich sie hinter mir lassen soll.

Die Tür meiner Wohnung fällt ins Schloss. Schuhe lasse ich einen Moment an und gehe damit ins Wohnzimmer. Die Zeitschrift von Silvana schmeiße ich auf den Tisch, wobei sie gleich wieder auf den Boden rutscht. Bevor ich mich darum kümmern will, öffne ich den Käfig von Tweety, damit er wieder raus kann. Danach möchte ich in den Flur, werde aber von dem Titelbild der Zeitschrift aufgehalten.
Chris: Was..."
Ich zögere. Ich stocke. Ich will diese Zeitschrift im ersten Moment gar nicht aufheben. Eine Zeit schaue ich auf die Zeitschrift am Boden, bis ich mich langsam nach dieser bücke und sie aufhebe. Auf der Titelseite ist ein Bild von Public Therapy zu sehen. Die vier Mitglieder, ein etwas älteres Bild vom letzten Album. Darunter ein kleineres rundes Bild ihres Managers. James schaut in die Kamera mit einem so kalten Blick, dass er einen damit schon beinahe Angst machen könnte. Daneben steht die Schlagzeile, die mich auch dazu bringt, dass ich mich aufs Sofa setzen muss, damit ich dem, was ich dort lese, standhalten kann, ohne die Fassung zu verlieren.

Alles Aus! – Public Therapy sagt Tour ab und trennt sich unverzüglich von Manager und Plattenfirma!
Die internationale Rockband »Public Therapy« stand in den letzten Jahren unter keinem guten Stern. Die Alben und Tickets verkauften sich gut, aber unter dem Druck der medialen Aufmerksamkeit, brach die Band nach und nach auseinander. Jetzt kam raus, dass der langjährige Manager hinter allen Artikeln steckt. Die Band zieht die Reißleine, beendet die Zusammenarbeit und sagt alle Termine ab! Wie geht es jetzt weiter?

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now