Kapitel 108

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Mein Bruder kam zu mir, nachdem ich ihn angerufen hatte. Ich hatte darum gebeten und sitze ihm nun in meinem Wohnzimmer gegenüber, während er die Zeitschrift in der Hand hält und gerade den Artikel liest, den ich bereits mehrfach überflogen habe, damit ich begreifen kann, was dort geschrieben steht.

Dieser wird auch von Andreas wieder auf den Tisch geschmissen, als er den durch hat und sich gegen die Lehne des Sofas fallenlässt. Wir beide schauen uns an, sind beide still und denken vermutlich über die gleichen Sachen nach, die mir seit einigen Stunden schon durch den Kopf gehen.
Andreas: Das sieht für die Band wirklich übel aus. Ich dachte immer, dass dieser James so gut zu ihnen ist."
Chris: War er eigentlich auch."
Andreas: Hattest du ihn mal gesehen oder kennengelernt?"
Ich schüttle mit dem Kopf. Ich war nur ein einziges Mal eine längere Zeit bei Anissa in Berlin und dort waren wir nicht einen Moment bei ihr auf Arbeit. Und als ich sie beim Konzert besucht hatte, war ihr Manager gar nicht anwesend, was ich später rausgefunden hatte.
Chris: Soweit ich das mitbekommen hatte, ist er kaum älter als sie. Auch er hatte die Band früh übernommen und sie zu dem Erfolg gebracht, die sie in den letzten Jahren hatten. Aber anscheinend war das für ihn nie genug."
Andreas: Ich frage mich, wo sie gerade sind und was sie machen. Ich würde nicht mal wissen, was ich machen würde, wäre ich an deren Stelle jetzt in dieser Situation."
Chris: Ich weiß es auch nicht...ich konnte nichts rausfinden. Ich habe keine Ahnung, was sie machen und wo sie sind..."
Dabei mache ich mir Sorgen. Jetzt, wo ich weiß, was der Grund ist, möchte ich einfach mit Anissa sprechen und alles klären. Ich möchte sie einfach wiedersehen.

Tweety fliegt durch das Wohnzimmer und setzt sich auf einen der Äste wieder ab. Das ist der Moment, wo Andreas auch wegschaut und mich dazu bringt, wieder auf den Artikel zu schauen. Sollte ich versuche, wieder mit ihr in Kontakt zu treten oder sollte ich mich damit abfinden, dass sie den Kontakt abgebrochen hat und dass das vielleicht auch ihre Entscheidung war, die ich respektieren sollte? Ich stehe wieder am Anfang. So, wie ich mich gefühlt hatte, als sie am Morgen in meinem Zimmer stand und ihre Nummer mir aufgeschrieben hatte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, konnte keine Entscheidungen treffen und bin wieder überfordert mit der richtigen oder falschen Entscheidung.

Bevor Andreas wieder zu mir schauen würde, stehe ich auf und gehe in die Küche. Ich habe noch mitbekommen, dass er mich leicht verwirrt angeschaut hat, aber ich muss für einen kurzen Moment aufstehen und aus der Situation raus.
Chris: Kaffee?"
Vermutlich bemerkt er, dass ich für einen Moment ablenken will, daher fragt er nicht weiter nach und sagt einfach nur, dass er auch eine Tasse haben will. Andreas bleibt sitzen und lässt mich kurz allein in der Küche. Während ich die erste Tasse einschenke, schaue ich nochmal ins Wohnzimmer zurück und sehe, dass Tweety sich auf seine Schulter gesetzt hat. Dieser Vogel ist auch einfach zu menschenbezogen. In meine Tasse muss ich zuerst etwas Milch geben, bevor ich auch meinen Kaffee einschenke und im Anschluss wieder mit beiden Tassen ins Wohnzimmer gehe. Andreas reiche ich eine davon und setze mich im Anschluss auch wieder hin. Dann sind wir beide stille, schweigen und schauen uns lange nicht an. Vermutlich, weil er auf das wartet, was ich sagen will.
Chris: Ich will nicht aufgeben, wieder Kontakt zu ihr zu haben. Ich vermisse sie, die Zeit, die wir hatten und einfach die Nachrichten, die wir uns geschrieben haben. Ich kann mich nicht damit abfinden, dass ich das jetzt einfach sein lassen soll."
Andreas: Und was hält dich davon ab?"
Chris: Dass sie mir gesagt hat, dass wir es lassen sollte. Vielleicht will sie das auch weiterhin noch. Vielleicht will sie mich einfach nicht wiedersehen."

Auch wenn es mir schwerfallen würde, das zu glauben. Dass es zwischen uns vorher endlich gut lief und dass da endlich etwas zwischen uns war und sich entwickeln konnte. Und dann soll es vorbei sein, bevor es beginnen konnte? Auf der einen Seite will ich das nicht wahrhaben und auf der andern will ich das respektieren, was sie für sich entschieden hat, auch wenn ich mit reingezogen bin. Ich weiß es doch auch nicht!

Andreas stellt seine Tasse vor sich auf den Tisch und reißt meine Aufmerksamkeit dadurch zu sich. Er steht auf, ich schaue ihm nach und bleibe dabei schweigend auf meinem Platz sitzen. Auch Tweety setzt sich wieder von seiner Schulter weg, sodass er gleich wohl gehen kann. Das wird er vermutlich auch vorhaben.
Andreas: Innerlich weißt du doch, was du willst, oder?"
Chris: Ja, ich weiß, was ich will, aber was ist, wenn sie einfach nicht möchte? Wenn sie einfach ihre Ruhe braucht und ich störe sie dann?"
Andreas: Du musst dich nicht aufdrängen, aber zeige ihr, dass du für sie da bist."
Zögernd schaue ich runter auf meine Hände, die ich wie immer gefaltet auf meinen Beinen liegen habe. Andreas steht noch immer an Ort und Stelle und schaut zu mir.
Andreas: Wann immer bei uns nicht alles gut lief, hatte ich meine Frau an meiner Seite. Sie war da, hat zu mir gesprochen und mir gezeigt, dass ich nicht allein bin. Ich konnte zu ihr kommen, wenn ich sie brauche. Und ich denke, dass sie das gerade auch gebrauchen könnte. Dass sie sieht, dass du da bist, wenn sie dich braucht."
Chris: Und wenn es nicht funktioniert?"
Andreas: Was, wenn es doch klappt? Du hast es zumindest versucht und sitzt nicht tatenlos hier herum. Zeig ihr, was sie für dich ist, Bruder."
Ich schaue noch immer auf meine Hände, während er zum Zwischenflur geht.
Chris: Danke..."
Andreas: Dafür nicht. Sollte was sein, dann sag mir Bescheid."

Die Tür meiner Wohnung fällt hinter ihm ins Schloss und ich starre noch eine ganze Weile auf meine Hände. In meinem Kopf ist gerade alles leergefegt und meine Gefühle gehen auf und ab. Ich sitze und denke irgendwann darüber nach. Ich warte und überlege, bis ich irgendwann entscheide, dass ich doch irgendwas machen muss. Hier sitzen und hoffen, dass sie sich melden wird, bringt mich nicht weiter. Und auch wenn sie sich nicht meldet, auf meine Nachrichten nicht antworten oder meine Anrufe annehmen wird, vielleicht sieht sie es, wenn sie es braucht und merkt dann, was sie will und was sie braucht. Und bis dahin kann ich ihr zeigen, dass ich auf sie warten werde.

»Moin, hier ist die Mailbox von Anissa. Ich bin gerade leider nicht zu erreichen. Ich stehe entweder auf einer Bühne, bin im Studio oder Sylvester liegt auf mir. Hinterlass mir aber gerne eine Nachricht, ich melde mich, wenn ich den Bass aus der Hand lege.«

Wie beim ersten Mal, als ich dort eine Nachricht hinterlassen hatte, gehe ich nervös durchs Wohnzimmer. Liegt daran, dass ich es hasse zu telefonieren und dass ich noch immer nicht weiß, was das hier wird und wie sie darauf reagieren wird, sollte sie das jemals hören.
Chris: Hey, Anni...ich weiß, dass du meintest, dass es das Beste für mich wäre, wenn wir keinen Kontakt mehr zueinander haben...

Two Sides of Our LifeHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin