Kapitel 112

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Sicht von Chris...

Früher Abend und ich stehe bereits mit meinen Freunden vor dem Club in Enger. Ich hatte keine Lust mich weiter aus meinem Ort zu bewegen, Manu war damit auch okay und Mike musste sich daran anpassen. Vielleicht dauert das ganze hier dann auch nicht so lange, falls er seinen Bus oder Zug bekommen will.

Mit verschränkten Armen stehe ich etwas vor dem Eingang, wo zu dieser Zeit nur wenige andere Gäste bereits stehen. Es ist eigentlich noch etwas zu früh dafür, aber anders konnten mich die beiden nicht dazu motivieren rauszugehen.
Chris: Haben wir es dann endlich?"
Mike hängt noch an seinem Handy und checkt seine Nachrichten, macht eine Story auf Instagram oder sowas eben. Manu hingegen steht auch bei mir und schaut mit demselben Ausdruck zu Mike hin, der hier gerade alles aufhält. Dieser lässt sich von uns nicht stressen und schaltet erst, als er wirklich alles beendet hat, sein Handy wieder aus und schaut zu uns hin.
Mike: Ihr müsst doch nicht stressen, der Abend ist noch jung, wir haben alle Zeit der Welt, Jungs. Oder wollt ihr in einer Stunde schon wieder nach Hause?"
Wenn es nach mir ginge, dann wäre ich in einer Stunde wieder zu Hause. Warum hatte ich mich vor einem Monat auch dazu überreden lassen, dass ich mit meinen Freunden jetzt hier etwas unternehmen will? Weil ich dachte, dass ich bis dahin über sie hinweg sein würde. Falsch gedacht, ich hänge genauso daran, wie an jeden anderen Tag auch.
Manu: Wir sollten es nicht herauszögern. Später ist es wieder voller hier und die ganzen Jugendlichen kommen dann auch noch hinzu."
Mike: Und wir waren auch mal jung, Manu. Die werden uns schon nicht stören. Aber ich sollte hier fertig sein. Lasst uns endlich reingehen."
Chris: Wurde aber auch Zeit."

Wir drei machen uns auf den Weg zum Eingang. Zumindest würden wir das machen, bis Mike wieder stehenbleibt und auf sein Handy schaut. Dieses Mal aber deutlich verwundert über das, was dort stehen muss. Er klickt auf die Benachrichtigung, tippt etwas.
Chris: Was ist denn los?"
Beinahe erschreck er sich, als ich ihn auf diese Benachrichtigung anspreche und hält sein Handy etwas zur Seite weg. Dann schaut er zu mir, versucht die Worte zu finden.
Mike: Nichts besonderes. So ein seltsamer Bot hat auf meine Story auf Instagram geantwortet. Ich blockiere den mal schnell."
Manu: Ist wirklich schrecklich mit denen."
Chris: Musst du mir nicht sagen. Ich weiß nicht, wie viele Konten ich bei den Account von Andreas und mir bereits blockiert habe und wie wenig das gebracht hat."
Es dauert nicht lange, dann kommt Mike ohne sein Handy wieder zu uns und wir gehen endlich Richtung Eingang. Je schneller der Abend vorbei ist, desto besser ist es für mich. Zugleich sollte mich dieser Abend ablenken, das war mein Ziel vor einem Monat.
Mike: Wenn wir drinnen sind, geht die erste Runde auf mich. Immerhin musstet ihr auch wegen mir jetzt so lange warten."
Manu: Ist auch das mindeste, was du für uns tun kannst."
Manu lacht, nachdem Mike ihm einen kleinen Stoß in die Seite gegeben hat. Mike war schon immer so drauf und mittlerweile kaum von seinem Handy wegzudenken.

Wir brauchten keine lange Zeit, bis wir endlich drinnen waren. Die schlechte Sicht, die stickige Luft und die schlimme Hitze habe ich eigentlich nicht wirklich vermisst. Als ich das letzte Mal feiern war, da war Anissa noch bei mir. Es war damals der Abend, wo ich dachte, dass jetzt alles besser werden wird. Dass wir jetzt endlich etwas Klarheit zwischen uns schaffen konnten. Am Ende waren es die letzten Momente, die wir zusammen geteilt haben, bevor die Katastrophe eintreffen musste. Aber daran sollte ich heute nicht denken.

Das kontrollierte Abschalten von Sorgen, Problemen und Gedanken war allerdings noch nie meine Stärke. Auch wenn Mike mir nach etwa zwanzig Minuten, die wir im Club waren, mein erstes Glas in die Hand drücken konnte, mir war eigentlich gar nicht danach. Nach dem ersten Glas wollte ich mich auch verabschieden, da war es etwa 21 Uhr, aber da war Manu schon unterwegs für unsere zweite Runde. Gut, dann blieb ich deswegen auch noch hier stehen. Ich wusste, dass ich als nächstes an der Reihe bin und dass das der Moment ist, wo ich mich ausklinken kann.
Chris: Ich würde dann gehen, Jungs."
Zuerst schauen sie mich an, danach sich untereinander und im Anschluss wieder mich. Für mich war das die seltsamste Reaktion, die die beiden jemals von sich gegeben haben.
Mike: Ach ChrisChros, du kannst noch nicht gehen. Es ist nicht mal elf Uhr."
Chris: Ein guter Moment, um sich ein Taxi zu rufen, da die immerhin nicht überbucht sind."
Manu: Mike hat recht, so früh bist du noch nie gegangen."
Chris: Ja, aber meine Entscheidung steht fest."
Mike: Das können wir beide allerdings nicht befürworten. Wir lassen unseren Freund hier nicht einfach gehen, ohne, dass wir eine gute Nacht zusammen-"
Chris: Ich will gehen! Okay? Es ist mir wirklich zu viel, sorry. Vielleicht in ein paar Wochen und dann eventuell in Münster, aber ich bringe jetzt das Glas weg und gehe dann."
Manu: Aber Chris-"

Den angebrochenen Satz von Manu bekomme ich nicht mal mehr mit. Ich dränge mich durch die Enge der Menschenmenge und versuche an die Bar zu kommen, damit ich das Glas wieder abgeben kann. Was mir zum Glück gelingt. Viel zu laut hier. Viel zu eng. Viel zu stickig. Ich will hier einfach nur wieder raus und nach Hause. »Chris«. Ich stocke. Nein. Das kann nicht sein. Ich habe seit einer zu langen Zeit nicht mehr gehört, wie mein Name auf diese Art und Weise ausgesprochen wurde. In dem Tonfall. Mit der Betonung. Und mit dieser Stimme. Vielleicht ist es die Hoffnung oder Verzweiflung, die mich dazu bringt zu stoppen und mich umzudrehen, aber ich bin froh, dass ich nicht auf meine Sturheit gehört habe, die einfach gehen wollte. Denn zwischen den ganzen Menschen, die feiern, trinken und reden, sehe ich sie. Anni. Hier in Enger. Ihr Haar sticht noch immer hervor, dabei ist es nicht mehr ansatzweise so pink wie sonst und auch ihr blonder Ansatz ist stark zu sehen. Sie trägt keine Cap, eine normale Jeans, weißes Shirt und...darüber meine Jacke, die ich ihr damals in Berlin überlassen hatte. Und dann steht sie vor mir. Wir schauen einander an, sie lächelt und ich versuche zu verarbeiten, dass sie jetzt wirklich hier ist und vor mir steht. Dass sie wieder da ist. Dass sie wieder bei mir ist.
Anissa: Ich...hatte vergessen dir etwas am Telefon zu sagen."

Ich stoße ein leichtes Lachen hervor. Deswegen ist sie hier? Weil sie mir noch irgendwas sagen wollte? Meine Hände stecke ich in meine Hosentaschen, schaue zu ihr.
Chris: Okay...was wolltest du mir denn noch sagen?"
Anissa: Ich liebe dich...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now