Kapitel 67

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Eine Zeit lang liege ich stumm auf dem Sofa und starre an die Decke. Denke nach. Über mich. Über Chris. Über uns. Die Zeit. Über alles, was zwischen uns jetzt bereits passiert ist. Über Lösungen. Fragen. Und alles, was zu lange bereits in meinem Kopf kreist.

Kurz vor 17 Uhr laufe ich etwas durch seine Kabine, bis ich nach meinem Handy greife und gerade gehen will. Erst dann läuft er durch die Tür zu mir und mich dabei auch beinahe um. Chris steht zuerst starr vor mir, bevor er schwach lachen muss.
Chris: Entschuldige...sowohl, dass ich gehen musste als auch, dass ich dich fast wieder umgelaufen habe."
Anissa: Alles gut, Chris. Ich weiß, wie stressig sowas sein kann. Ich würde mal zur Band schauen, wenn du hier beschäftigt bist."
Chris: Ich wünschte, wir hätten noch etwas mehr Zeit gehabt"
Anissa: Schon. Ich komme nach der Show nochmal vorbei, versprochen."
Chris: Danke...ich möchte dich gerne nochmal einen Moment sehen, bevor das wieder nicht möglich sein wird. Ich sage dir nochmal, wo du die vier finden wirst."
Ich lächle ihn an, nicke und gehe danach aus seiner Kabine raus. Zuvor hatte er mir noch gezeigt, wo ich hinlaufen muss und ich hoffe einfach, dass ich mich nicht verlaufe. Ansonsten werde ich hier jemanden fragen müssen. Am Ende folge ich aber einfach den Gitarrenklängen und komme so auch zur Kabine, wo die Tür offen steht.

Einen Moment bleibe ich im Türrahmen stehen, bevor ich an diesen Klopfe, sodass mich alle anschauen und gleich zu lächeln beginnen.
Anissa: Ich hoffe, dass ich nicht störe."
Alina: Niemals. Komm gerne rein. Wir haben noch Zeit bis zur Show."
Was teils gelogen ist. Ich sehe, dass Anni sich bereits fertig macht, sich um ihre Haare kümmert und dass Mirijam auch schaut, was sie am Abend tragen wird. Nur Silvana sitzt noch mit ihrer Gitarre auf dem Sofa und spielt ein wenig, während Alina etwas daneben sitzt. Ich gehe rein, schaue mich kurz um, bevor ich mich auf die Armlehne des Sofas setze.
Alina: Du bist also mit Chris zusammen?"
Anissa: Befreundet. Wir sind einfach nur Freunde."
Silvana: Dafür benimmt er sich in deiner Gegend schon etwas sehr...seltsam."
Mirijam: Was ist an Chris denn nicht seltsam?"
Anni: Dass er die Hand von jemanden hält und sich freiwillig jemanden öffnet? Jemanden zu sich einlädt? Zeit mit ihr verbringt?"
Alina: Gut, ich lasse das Thema einfach sein. Wir hast du ihn kennengelernt?"
Anissa: Bei einem Event. Ich war mit der Band dort. Wurden für unser Album ausgezeichnet."
Silvana: Vollkommen verdient auch einfach. Mega gutes Album."
Anissa: Danke..."

Zum Glück bemerken sie, dass mir diese Anmerkung unangenehm ist. Dass ich nicht sehr gerne darüber spreche. Vielleicht eine Sache von introvertierten Künstlern.
Anissa: Müsst ihr euch einspielen oder einsingen?"
Mirijam: Silvana ist ja gerade dabei. Alina und ich würden das auch gleich machen."
Anissa: Störe ich euch dabei?"
Alina: Wenn du willst, kannst du uns etwas Gesellschaft leisten."
Anni: Ja, wir würden gerne mit dir eine kleine Jam-Session machen, um uns einzuspielen und Zeit zu haben."
Anissa: Sage ich nicht "nein" zu."
Silvana: Wäre es für dich in Ordnung, wenn wir das für unsere Instagramkanäle aufnehmen? Wenn nicht, auch vollkommen okay und verständlich, aber...diese Möglichkeit bekommen wir nie wieder."
Anissa: Kein Problem, wenn ihr mich markiert. Ich will das auch sehr gerne haben."
Alle stimmen zu und somit war das Thema geklärt. Hauptberuflich bin und werde ich niemals Sängerin werden, aber durch die Ausbildung in der Musikschule und in einem Band Programm, habe ich auch das einige Jahre semi professionell gelernt. Und mit den vier Frauen dort zusammen Musik zu machen, hat mir mehr Freude bereitet als in den letzten Monaten mit meiner Band.

Zehn Minuten bevor die Show beginnt, sucht John mich auf. Er war die meiste Zeit in der Stadt unterwegs und ist erst jetzt hergekommen. Ich verabschiede mich von den vieren, mit denen ich auch in Kontakt bleibe. Wozu gibt es heute denn Instagram. John leitet mich durch die Flure in den Innenbereich der Arena und dort auch sehr strickt zu den Plätzen. Auch wenn mich zuerst einige anschauen, als die die Blicke von John mitbekommen, habe ich Ruhe, werde nicht angesprochen und kann entspannen.

Mit sieben Minuten Verspätung fängt die Show an. Musik im Hintergrund, definitiv von Rammstein und Alina auf der Bühne. Die leere Bühne wird präsentiert, bis die Crew ein paar Leinentücher aufspannt. Ein kurzer Effekt später, landen die beiden mit einem Helikopter auf der Bühne. Beide in Anzug gekleidet.
Chris: Hallo Berlin!"
Er sieht im Anzug so anders aus, als ich ihn kenne. Die Frisur sieht auch fremd an ihn aus, alles andere würde passen. Die Anzüge kommentieren sie selbst bereits, stellen sich in einen kleinen Rahmen, der mit Stoff überzogen ist, halten diese einen Moment über ihre Köpfe und als diese wieder fallen, haben sie komplett andere Klamotten an. Die Show geht vielleicht drei Minuten und sie haben mich bereits jetzt vollkommen in ihren Bann gezogen. Kleine Sticheleien zwischen den Geschwistern, klare Verteilung der Bühnenfiguren, die zu gut zum Konzept passen. Jeder Trick, sei er noch so klein, hat eine Geschichte, die einen immer mitnimmt. Mal lustig, gefühlvoll, romantisch oder emotionale melancholisch. Die Band dazu im Einklang und die gesamte Gestaltung mit Licht, Musik und Pyrotechnik ist bis zum letzten Punkt so durchgeplant, dass es fast schon zu perfekt wirken will. Aber dazwischen diese beiden Männer zu sehen, die es so nahbar erscheinen lassen, runden alles vollkommen ab. Über zwei Stunden mit der Pause lasse ich mich verzaubern und wünschte mir, dass es niemals enden würde. Aber gegen neun Uhr ist es vorbei. Und ich weiß, was ich nächstes Jahr machen werde.

John läuft bei mir die gesamte Zeit, als wir wieder hinter die Bühne gehen. Und ich habe noch immer ein Lächeln auf den Lippen und nicht genug gesehen.
Anissa: Du musst sagen John, das war wirklich unglaublich."
John: Das war es, Anissa. Eine sehr gelungene Show."
Er hatte nicht die Wahl, er musste halt mitkommen. Vielleicht kann ich irgendwann wieder allein zu solchen Events gehen. Das wäre mein Traum, an dem ich festhalten will. Einige Arbeiter räumen die Sachen wieder zusammen. Ich will nicht wissen, wie kompliziert diese Show aufgebaut ist, wie kompliziert diese Bühne ist. Aber zwischen den ganzen Arbeitern kann ich zum Glück auch ihn finden.
Anissa: Chris!
Auch wenn er neben seinen Bruder geht und mit dem noch bis gerade eben gesprochen hatte, als er mich hört, bleibt er sofort stehen und dreht sich um.
Chris: Anni!"
Andreas lacht und geht den Flur weiter runter, während Chris zu mir gelaufen kommt. Er sieht John und bleibt danach vor mir stehen, lächelt aber weiterhin.
Chris: Hoffentlich hat es dir gefallen."
Anissa: Sie war wunderschön, Chris. Ich habe noch nie eine Show gesehen, die so perfekt geplant war, wie eure hier. Die mich von Anfang an mitgenommen und durch einen Abend geführt hatte."

Chris muss verlegen lächeln und schaut kurz zum Boden, wobei er auch wieder seine Hände in die Tasche steckt. Ich schaue einen Moment hinter mir, wo John mit etwas Abstand steht. Er wartet. Auf mich.
Anissa: Ich sollte wohl gehen..."
Jetzt schaut er wieder auf. Als ich ausgesprochen habe, dass ich ihn verlassen sollte, schaut Chris mich wieder an und sein Lächeln ist auch nicht mehr zu sehen.
Anissa: Es ist spät geworden...John wartet auf mich...du willst wohl auch weg..."
Ein stummes Nicken von ihm, wobei er seinen Blick nicht einen Moment von mir abwendet. Ich atme durch und versuche ihn anzulächeln, was sich wie eine Lüge anfühlt.
Anissa: Danke für den Abend Chris. Wir sehen uns bald schon wieder. Ich hätte gerne etwas mehr Zeit mit dir gehabt."
Keine Reaktion von ihm, ich zeige ihn nochmal ein aufgesetztes Lächeln und drehe mich zum Gehen um. Dann packt er aber nach meinem Arm und zieht mich zu sich zurück, wobei wir einander etwas zu nahe gekommen sind, was aber keinem von uns beiden in den Moment zu stören scheint.
Chris: Bleib bitte bei mir heute Nacht..."
Ich weiß, dass ich das zu ihm gesagt hatte. Ich weiß, was damals war. Warum er bleiben sollte. Und jetzt will er, dass ich bei ihm bleibe. Morgen ist er wieder aus Berlin weg, uns bleibt nur dieser eine Abend.

Ich drehe mich zu John um, der ruhig am Ende des Flures steht und auf mich wartet. Worauf sollte er auch sonst warten? Er ist wegen mir hier.
Anissa: Du kannst gehen John! Ich bleibe bei Chris!"
Zuerst sehe ich bei ihm keine Reaktion, als würde er darüber nachdenken, ob er das machen kann und will. Dann aber nickt er und macht sich auf den Weg zu gehen. Ich muss anfangen zu lächeln und schaue wieder zu Chris hin, der mir nun auch wieder das gleiche süße Lächeln zeigt, was ich vorhin bei ihm sehen konnte.
Anissa: Also...was musst du noch machen?"
Chris: Schnell unter die Dusche, damit ich wieder normale Haare habe und dann können wir zum Hotel gehen."
Anissa: Gerne Chris. Ich freue mich auf die gemeinsame Zeit."
Er lächelt, nickt und geht mit mir zu seiner Kabine. Ja, ich freue mich auf unsere gemeinsame Zeit, wie auch immer die aussehen wird...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now