Kapitel 64

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Auch wenn ich meinen Wecker gleich beim ersten Mal wahrgenommen habe, ich würde ihn gerne nochmal ausstellen und mich einfach nochmal umdrehen, noch ein paar Minuten weiterschlafen. Aber ich weiß, dass wir die Proben heute anders gelegt haben, da Anni später zu Besuch sein wird. Und wenn ich hier noch länger liegen bleibe, verzögert sich alles wegen mir.

Motivation gesucht, sie bei Anni gefunden und dann setze ich mich auch wieder in meinem Bett auf. Nur noch eine Nacht hier in Berlin und morgen geht es wieder zurück nach Hause. Ein paar Tage Auszeit, bevor der nächste Block beginnt. Wie jeden Morgen stehe ich auf, suche mir neue Sachen zusammen und verschwinde mit denen im Badezimmer. Duschen gehen, anderweitig fertig machen, die neuen Klamotten anziehen und im Anschluss nur noch die alten wieder weglegen. Meine Jacke hängt über dem Stuhl und die Mütze liegt auf dem Tisch. Damit sich der Zimmerservice später nicht drum kümmern muss, mache ich noch schnell das Bett und bin dann bereit für den Tag. Zum Schluss wieder nur Handy und Zimmerkarte einstecken und losgehen zur Arena, die nur einen kurzen Fußweg entfernt ist. Ich erinnere mich, dass das Berghain hier in der Nähe ist. Dass ich damals mit Anni hier langgegangen bin und dass ich vor wenigen Wochen hier eine gute Zeit mit ihr hatte. Heute besucht sie mich auf Arbeit. Für wenige Stunden ist sie wieder bei mir. Dann sehen wir uns auch erst im April wieder. Wenn sie zu mir nach Hause kommt. Ich hatte länger niemanden mehr längerfristig zu mir nach Hause eingeladen. Sie wird die erste sein.

Bei der Arena werde ich von einigen Arbeitern abgefangen, die gleich ein paar Fragen haben. Zuerst besorge ich mir noch einen Kaffee, damit ich irgendwie wach werde und bleibe und gehe danach mit ihnen zur Bühne. Andreas ist natürlich auch schon dort, lächelt einen kurzen Moment, doch ich muss mit zum Technikpult gehen. Ein paar Dinge werden geklärt und neu im Plan aufgenommen, es verzögert sich, sodass wir den Soundcheck der Band nach hinten verschieben. Für die vier auch keine Katastrophe, habe sie Zeit für andere Dinge. Nebenbei frühstücke ich etwas, da wir mit den Proben anfangen wollen und die Techniker wollen die letzte Sachen für uns beide einstellen. Zum Mittag etwa eine Stunde Pause, dann der Rest, bis alles erledigt ist.

Die Probe mit Alina ist die letzte des Tages für mich. Mikrophon und Sender bekomme ich für später bereits mit und die Band macht sich langsam für die Probe bereit. Mit meinen fast kalten Kaffee mache ich mich auf dem Weg zu meiner Kabine. Gerade als ich nach meinem Handy greifen will, wird mir auf die Schulter getippt, sodass ich zuerst nur nebenbei nach hinten schaue, bevor ich komplett stehenbleibe.
Anissa: Hallo Chris."
Chris: Anni!"
Ich kann meinen freien Arm um sie legen, da ich ansonsten meinen Kaffee verschütten würde. Das will ich ihr wirklich nicht antun. Ich bekomme ihre Lache mit, dass sie danach auch ihre Arme um mich legt, bis wir einander wieder anschauen.
Chris: Ist es schon so spät wieder?"
Anissa: Es ist etwas nach drei. Bin ich zu früh und störe euch?"
Chris: Nein! Ich vergesse nur immer die Zeit, wenn wir proben."
Meine eine Hand stecke ich wieder in meine Hosentasche, in der anderen halte ich noch immer meine Tasse. So kann ich etwas meine Unsicherheit verstecken.
Anissa: Kaffee?"
Chris: Ja, aber mittlerweile auch schon mehr als kalt. Soll ich dir zeigen, wo du die Sachen ablegen kannst?"
Anissa: Das wäre sehr gut. Hier in der Arena war ich bisher noch nie."

Weil du halt auch in einer anderen Liga spielst, wollte ich zuerst noch zu ihr sagen, lasse es dann aber doch. Ja, sie spielt nicht vor 10.000 Menschen, sondern vor 100.000. Kein Wunder, dass sie sich in dieser Arena hier nicht auskennt. Zwei verschiedene Leben, die nicht zusammengehören, die kaum Überschneidungen haben. Mit einer kurzen Kopfbewegung zeige ich ihr, dass sie mir nachlaufen soll, was Anni auch macht. Meine Kabine liegt den Flur runter und daher kommen wir beide dort auch schnell an. Die Tür lasse ich offen stehen, da ich ihr gleich sowieso noch den Rest zeigen werde.

Meine Tasse stelle ich auf den Tisch ab, lehne mich dagegen und lasse meinen Blick wieder zu Anni schweifen. Sie zieht sich gerade noch die Jacke und den Schal aus, bevor sie zu mir schaut. Einen etwas zu langen Moment, schaue ich schweigend zu ihr, bevor ich reagiere.
Chris: Die Sachen kannst du mir eben geben."
Anni lächelt und bedankt sich schweigend. Ich nehme die Sachen ihr ab und hänge sie über einen der anderen Stühle, bevor ich wieder zu ihr schaue. Anni nimmt sich gerade ihr Handy, sodass ich sie einen Moment genauer anschauen kann, ohne dass sie das bemerkt. Die Jeans fällt wie jedes Mal locker an ihr herab und ist an den Knien eingerissen. Ausnahmsweise trägt sie heute flache Sneaker. Ihr Oberteil ist etwas kürzer geschnitten, sieht von vorne allerdings normal aus. Als sie sich einen kurzen Moment umdreht, bekomme ich aber auch mit, dass es auf der Rückseite geschnürt ist, sodass man ihren kompletten Rücken einsehen kann.
Anissa: Kleine und gemütliche Kabine. Die sehen vermutlich überall auch gleich aus."
Chris: Die, die ich bisher sehen konnte, sahen wirklich fast alle so aus."
Wieder lächelt Anni einen Moment, bevor sie mich dieses Mal etwas genauer anschaut.
Anissa: Du musst dich später wohl noch für die Show fertig machen, richtig?"
Chris: Gegen 17 Uhr kommt meine Stylistin vorbei. Um 18 Uhr geht die Show dann los. Soll ich dir aber erstmal zeigen, wo hier was ist, wenn du die Arena nicht kennst?"
Anissa: Sehr gerne Chris, danke."

Mit einer Handbewegung zeige ich ihr, dass sie als erste die Kabine verlassen soll, sodass ich danach kurz die Tür wieder schließen kann. Während wir beide die ersten Flure runterlaufen, bekomme ich mit, dass einige aus der Crew Anni kennen müssen und sichtlich verunsichert sie das etwas. Einen Moment zögere ich, überlege, ob ich es tun sollte, greife dann aber einfach nach ihrer Hand und bringe sie dann dazu, dass sie neben mir laufen muss. Dann wenden die meisten ihre Blicke ab.
Anissa: Danke..."
Chris: Nicht dafür. Ich verstehe, wie sich sowas anfühlen kann."
Ihren Blick, den sie mir danach zeigt, halte ich nicht lange aus, ohne dass ich selbst lächeln muss. Annis zurückhaltendes, ehrliches und zugleich schüchternes Lächeln, bringt mich jedes einzelne Mal in Verlegenheit.
Chris: Vor uns liegt unsere Bühne."
Bevor wir durch den Seitenvorhang gehen, lasse ich ihre Hand wieder los. Auf der Bühne ist gerade nur mein Bruder, der nach hinten gehen will, damit er mit Steffi reden kann.
Andreas: Anissa? Ich bin der Bruder von ihm hier. Andreas."
Anissa: Ja, Anissa. Schön, dass ich auch dich endlich mal kennenlernen kann."
Andreas: Ich habe schon ein bisschen was von dir gehört."
Anissa: Ich hoffe nur positives."
Andreas: Auf jeden Fall."
Mein Blick zeigt Andreas, dass er weitergehen soll. Er muss nur lachen und geht danach auch weiter und von der Bühne runter...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now