Kapitel 47

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Ich laufe am Straßenrand entlang und schaue zu Chris, der neben mir herläuft. Eine Stunde sind wir hier schon unterwegs, wir beide waren beim Brandenburger Tor und gerade laufen wir die letzte Straße runter, damit wir endlich an den Platz ankommen, wo ich mit ihm hingehen will.

Einige Dinge fallen mir in Berlin nicht mehr auf, da ich so oft schon über die Straßen hier gelaufen bin, dass es für mich schon normal geworden ist. Es gehört zu meinem Alltag, zu den Dingen, die ich immer wieder sehe. Aber durch die Reaktionen von Chris bekomme ich mit, wann wir an etwas vorbeilaufen, was nicht zu alltäglich für ihn ist. Auch wenn ich seine Hand nicht mehr halte, ich bekomme mit, wann er langsamer wird oder komplett stehenbleibt. Das macht er auch jetzt, sodass auch ich zum Stehen komme und zur Seite schaue, wo sein Blick gerade haftet.
Anissa: Das Denkmal für die ermordeten Juden."
Chris: Wie viele..."
Er zeigt auf die Beton-Stelen, wobei ich auch sehe, dass sein Blick immer wieder über das gesamte Feld schweift.
Anissa: Über 2.500 Stück stehen hier. Ich finde allerdings im jüdischen Museum den Raum Memory Void deutlich bedrückender."
Chris schaut wieder zu mir, als ich näher an ihn rangehe, damit ich nun doch wieder seine Hand nehmen und mit ihm weitergehen kann.
Anissa: Du gehst dort über 10.000 Metallfratzen und es ist nicht möglich diesen Raum leise zu durchqueren. Nur durch die Decke kommt Licht in den über zwanzig Meter hohen Raum, der komplett aus Beton besteht."

Chris schaut nochmal zurück, bevor er sich wieder auf die Straße fokussiert und das Gesehene abspeichert, aber wieder in den Moment hier ankommt. Wir gehen zusammen ein paar Straßen noch weiter, bis wir endlich beim Platz ankommen, wo ich noch unbedingt mit ihm hinwollte. Da lasse ich Chris wieder gehen, da er etwas vorläuft, sich mittiger hinstellt und versucht die Umgebung komplett aufzugreifen.
Anissa: Der Gendarmenmarkt sieht im Dunklen schon sehr beeindruckend aus. Vor Jahren hatten wir hier mal gespielt."
Chris: Finden hier öfters solche Sachen statt?"
Anissa: In den Sommermonaten fast jedes Wochenende. Die Kulisse und die Lage sind dafür auch einfach perfekt."
Ich setze mich auf eine der gebauten Vorsprünge und schaue Chris eine lange Zeit an und verliere mich dabei selbst in den Anblick. Ich war lange nicht hier. Ich habe die Wohnung immer nur mit John verlassen und definitiv will ich ihn nicht zu irgendwelchen unnötigen Dingen überreden oder beanspruchen. Das ist nicht sein Job. Nur wegen Chris bin ich wieder rausgegangen und ich werde es vermissen, wenn er später wieder weg muss. Dann werde ich wieder allein in meiner Wohnung die Abende verbringen und nur Sylvester wird mich von allem ablenken und die Tage erträglich machen.

Bevor ich weiter darauf reagieren kann, kommt Chris wieder zu mir und nimmt meine Hand, damit ich wieder von meinem Platz aufstehen würde. Ich gehe mit ihm mit, bis wir beinahe mitten auf diesem Platz stehen. Auch ich lenke mich immer wieder mit dem Anblick ab, aber als er eine Hand an meinen Kopf legt, muss ich wieder zu ihm schauen.
Chris: Danke, dass du für mich deine Komfortzone verlassen hast. Ich habe dir angesehen, dass es dir schon einiges abverlangt hat."
Ich muss peinlich berührt lachen und würde gerne wegschauen, was Chris aber gerade nicht zulässt. Dadurch kann ich allerdings die ganze Zeit sein ehrliches Lächeln sehen, was es mir nicht leichter macht, ihn später wieder gehen zu lassen.
Anissa: Für dich würde ich es wohl auch immer wieder machen, Chris. Du bist immer wieder herzlich bei mir eingeladen."
Chris: Dann versteht es sich aber hoffentlich auch, dass ich möchte, dass du auch mal zu mir kommst, oder?"
Anissa: Wenn du mich einlädst, werde ich das mal einrichten müssen. Aber zuerst geht es bei euch doch bald wieder auf Tour, oder?"
Er nickt. Ich habe nur halbwegs mitbekommen, dass sie bis nach Weihnachten noch zu Hause sind und danach geht es für sie wieder los.
Chris: Zu Ostern haben wir eine lange Pause. Ich schreibe dir das aber nochmal, damit wir das nicht vergessen würden."
Ich würde das nie vergessen, Chris.

Bevor der Alltag in Berlin beginnt, bevor alle zur Arbeit oder zu den Unis müssen, machen wir uns wieder auf den Weg zu meiner Wohnung. Die nächste U-Bahnstation wird genommen, damit wir wieder nach Hause kommen. Als wir dort auch ankommen und aus dem Fahrstuhl in meine Wohnung gehen, kommt uns Sylvester entgegen. Ich glaube auch, dass Sylvester Chris vermissen wird. Immerhin ist er auch mit der einzige, den er scheinbar leiden kann. Chris und ich frühstücken noch gemeinsam, aber im Anschluss packt er seine Sachen zusammen, damit er bald wieder nach Hause fahren kann.

Ich lehne gegen der Wand vor dem Fahrstuhl und warte, dass er zu mir kommt. Er wollte nur noch seine Tasche holen und danach wieder zu mir kommen. Ich schaue auf, als die Tür zufällt und als er mit im Flur steht.
Anissa: Hast du auch nichts vergessen?"
Chris: Ich hoffe, dass ich alles habe. Aus der Welt ist es ja aber nicht, sondern einfach bei dir, Anni."
Wir beide schweigen. Wir beide schauen uns an. Keiner will etwas sagen. Ich will ihn nicht wieder gehen lassen. Nachdem Chris noch einen Moment zu mir geschaut hat, nimmt er seine Tasche kurz ab, damit er daraus etwas holen und mir geben kann.
Chris: Falls du mich mal auf Arbeit besuchen willst."
Ich muss lachen und nehme den Pass entgegen, den Chris mir mitgebracht hat. So, wie er einen für unsere Konzerte hat, so habe ich jetzt auch einen für seine Shows.
Anissa: Danke. Ich muss mal schauen, wann ihr in der Nähe seid."
Chris geht an mir vorbei Richtung Fahrstuhl, als er mich etwas frech von der Seite aus anschaut, sodass auch ich selbst leicht lächeln muss.
Chris: Im Januar wären wir in Berlin, falls du es einrichten kannst."
Ich muss daraufhin lachen und gehe ihm nach, damit wir beide mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage fahren können.

Wir kommen unten an und Chris geht zu seinem Auto, damit er seine Tasche dort auf den Rücksitzt stellen kann. Seinen Rucksack hatte er auf den Rücken und auch der liegt kurz darauf im Auto, sodass er sich dann zu mir wendet.
Anissa: Komm gut zu Hause an und schreib kurz, wenn du wieder da bist."
Er schmunzelt und ich finde diese Art seines Lächelns unfassbar süß.
Chris: Werde ich machen Anni, versprochen."
Dieses Mal gehe ich auf ihn zu und nehme ihn in Arm, wo ich seine Hände kurz darauf auch auf meinen Rücken spüren kann.
Chris: Ich erwarte jetzt schon, dass ich dich im Januar bei unserer Show sehen werde, Anni. Das ist dir klar, oder?"
Ich lache, lasse ihn los, sodass wir uns wieder anschauen können.
Anissa: Ich werde da sein und auch zu Ostern werde ich irgendwie kommen, versprochen."

Chris lächelt noch ein letztes Mal, bevor er zur Fahrertür geht und diese öffnet, wonach er noch ein letztes Mal zu mir zurückschaut.
Anissa: Danke für die letzten Tage Chris...ich habe die Zeit sehr genossen."
Chris: Ich auch Anni. Danke, dass ich herkommen durfte. Danke, für die schönen Momente. Danke...für alles einfach."
Ein letztes Lächeln von mir, bevor er schlussendlich einsteigt. Ich muss ihm das Tor noch öffnen, sodass er danach die Tiefgarage verlassen kann. Ich schaue ihn eine Zeit noch nach, bis er komplett weg ist...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now