Kapitel 40

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Die Musik wechselt zwischen den Titeln, wobei es immer das gleiche Genre ist. Ruf des Clubs vermutlich. Anni sitzt entspannt auf dem Sofa, schaut zu mir oder runter auf die anderen Menschen, die ihre Zeit hier genießen.

Irgendwann, als sie ihren Blick wieder zu mir richtet, lächelt sie sanft und legt ihren Kopf leicht zur Seite.
Chris: Bist du oft hier?"
Sie schüttelt mit dem Kopf. Nicht oft, aber ich kann mir denken, warum gerade hier. Sie hat Angst, dass ihr sowas passiert, wie ihren Freunden und hier kann niemand Fotos machen.
Anissa: Das letzte Mal im Juli, mit ein paar Freunden. Ich gehe nicht gerne mit denen weg. Sind nicht wirklich...gute Freunde. Sie wissen halt, was sie mit mir haben."
Privilegien, die sie anderweitig wohl nicht haben werden und weniger Sorgen um die Bezahlung. Klar, ich musste damals auch ein paar meiner Freunde aussortieren, aber meine jetzigen...ich weiß, dass ich für sie noch immer der alte Schulfreund von damals bin.
Chris: Wenn dann aber hier oben, oder?"
Anissa: Beste Sicht auf all die Dinge und da man über den Boxen sitzt, kann man sich mehr oder weniger unterhalten."
Gut, ich muss ihr noch immer sehr nahe kommen, damit ich Anni verstehen kann, aber unten an der Bar war das fast unmöglich, ohne zu schreien oder mindestens sehr laut zu reden. Aber ist das der Sinn eines Besuches im Club? Hier sitzen und reden? Das kann ich auch zu Hause und muss dafür nicht herkommen.

Als mein Glas zur Hälfte ausgetrunken ist, habe ich mich kurz entschuldigt, damit ich zur Toilette gehen kann. Erstmal durch die ganzen Menschen wieder kommen und den richtigen Gang finden. Als ich den endlich gefunden hatte, leuchtet ja auch Neon grün, gehe ich runter und öffne die Tür. Es gibt zwar zwei Räume, aber die sind nicht nach Männer und Frauen getrennt. Mir so egal. Als ich reingehe und zu einer Kabine gehen will, lenken zwei Männer in der Ecke meine Aufmerksamkeit zu sich, da sie gerade miteinander...und ich dachte bis eben, dass ich eigentlich nicht prüde bin...ich versuche so wenig Zeit wir möglich hier zu verbringen, aber als ich mir die Hände wasche, sind mir die beiden auch egal. Aber warum auf der Toilette? Der Club hat einen Darkroom, habe ich auf einem Schild bei einer der Treppen gesehen. Es gibt wirklich bessere Orte, um Sex zu haben, als auf der Toilette. Egal, nicht meine Angelegenheit und es interessiert sie auch überhaupt nicht, dass ich hier anwesend bin oder war.

Um zu Anni zu gelangen, muss ich wieder über die Tanzfläche laufe. Techno ist nicht unbedingt das, was zu Hause in den Clubs ununterbrochen läuft, aber tanzbar ist es auf jeden Fall. Ich laufe die Treppe rauf, werde von dem Mann durchgelassen und gehe zu Anni, sie steht am Geländer und lächelt, als sie mich wieder sieht.
Chris: Ich habe gerade Körperteile von Menschen gesehen, die ich nicht sehen wollte und habe mit denen Momente geteilt, die ich nicht mit denen teilen wollte."
Anni fängt an zu lachen und lehnt sich dann mit dem Rücken gegen die Stange, damit sie mich genauer anschauen kann. Irgendwie passt sie so perfekt in die gesamte Umgebung hier rein. Ihr Leben und eben nicht meines, aber ein bisschen was muss ich ihr an den Abend wohl auch noch beibringen. Ich gehe noch näher zu ihr hin und greife nach ihrer Hand, ziehe sie vom Geländer weg.
Anissa: Was hast du bitte vor, Chris?"
Chris: Runter auf die Fläche gehen und verdammt nochmal tanzen, was man im Club halt macht. Warum sollte ich sonst bitte hier sein?"
Anissa: Du weißt, dass da auch das gleiche passieren kann, was du eben gesehen hast?"
Chris: Dann bin ich ja bereits bestens vorbereitet."
Ich lächle sie nur an und ziehe sie hinter mir her, damit sie mir nachgeht. Wir laufen zusammen die Treppe runter und stehen zuerst am Rand von allen. Allerdings manövriere ich uns durch die Massen, bis wir in der Mitte eine etwas freiere Fläche finden.

Techno und all das gehört nicht zu den Songs und Genres, auf die ich in Herford oder Münster mehr oder weniger begabt tanze, aber wen interessiert das hier schon? Niemand interessiert sich hier für uns, sondern ist mit sich oder jemand anderen beschäftigt. Einen Moment schaue ich mich um, schaue die andern Besucher um uns herum an, bevor ich einfach irgendwelche Bewegungen von denen nachmache und Anni zum Lachen bringe. Aber nicht, weil ich lächerlich aussehe, was aber definitiv auch der Fall ist, sondern weil es etwas ist, was sie sonst nicht macht. Anni macht mir danach nach und genießt einfach diese Zeit, die sie hier hat. Dafür hätte sie mich nicht gebraucht, aber vielleicht musste man ihr das nur mal zeigen. Ein kleiner Teil meiner Welt in ihrer.

Zu viele Menschen. Zu wenig Platz. Es ist unfassbar laut. Die stickige Luft hat sich nicht verbessert. Dazu ist es unfassbar warm unter meiner Jacke, da hat Anni einen Vorteil. Ihre pinken Haare leuchten auch in diesen dunkeln Raum noch immer, sodass ich immer bei ihr in der Nähe bleibe. Einen kurzen Moment schaue ich zurück, zur Treppe, da wir vielleicht nochmal hoch wollten, etwas trinken, kurze Pause von den ganzen hier, da werde ich von irgendjemanden unabsichtlich angerempelt, stolpere zwei Schritte oder so nach vorne und pralle natürlich gegen Anni. Wir schauen uns an. Wir sind still. Um uns rum ist es laut, aber nicht bei uns gerade. Wir beide fangen an zu lachen. Danach legt sie ihre Arme um meinen Nacken und lässt sich nicht von dem Rhythmus abbringen, der gerade durch ihren Körper geht. Meine Arme lege ich um sie, über ihre Hüfte und wir machen einfach da weiter, wo wir mehr oder weniger unterbrochen wurden. Wir sind uns näher als zuvor. Unsere Körper spüren einander. Ich fühle ihren Atem auf meinen Hals. Um uns herum sind hunderte andere Menschen. Der Song läuft und wechselt zum nächsten. Die Stimmen der anderen Gäste übertönen viele andere Nebengeräusche. Aber gerade in den Moment gibt es nur uns beide hier im Berghain.

Ich würde nicht von hier weggehen, oder von ihr weg. Aber Anni löst langsam ihre Arme und geht mit ihren Händen über meine Brust, bis sie nach meinen Händen greifen kann, da ich meine Arme auch wieder von ihr weggenommen hatte.
Anissa: Kurze Pause? Was trinken?"
Ich nicke und gehe ihr nach. Meinen Blick halte ich die ganze Zeit bei ihr. Es ist knapp drei am Morgen und was die anderen Gäste hier treiben, muss ich nicht mitbekommen. Ich muss auch nicht sehen, wie manche hier mittlerweile gekleidet sind und wie sie sich ausleben. Gerade zählt hier einfach nur Anni.
Anissa: Wir müssen dringend nochmal runtergehen, Chris."
Sie lässt sich als erste auf das Sofa fallen, lacht und atmet durch. Etwas besser hier als da unten zwischen den Menschen.
Chris: Sehr gerne. Außerdem ist mein Glas auch wieder leer."
Anissa: Zwei Dinge, die wir dringend lösen müssen. Aber beim Getränk schließe ich mich an. Zu wenig zu trinken hier gerade."

Wir gingen wieder runter, mischten uns wieder unter die Menschen, blieben eine lange Zeit da, wobei wir uns wieder näher kamen als zuvor und gingen danach uns was zu trinken besorgen. Erst gegen halb fünf am Morgen schrieb Anni John, dass er uns wieder abholen soll, sodass wir das Berghain verlassen haben...

Two Sides of Our LifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt