Kapitel 61

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Das Restaurant in Lingen hatte uns einen Tisch gestellt, wo nur wir als Familie sitzen konnten. Kein anderer im Raum und die Kellner haben mich nicht angesprochen. Kann daran liegen, dass mein Dad für sie arbeitet und dass er sie vorgewarnt hatte, dass sie nicht zu mir sprechen sollen und dürfen.

Um 22 Uhr hat das Lokal geschlossen und so haben wir uns auch wieder auf den Weg nach Hause gemacht. Wir sind schon hin gegangen und zurück laufen wir auch wieder. Dabei hält mein Dad die Hand meiner Mom und Jo läuft mit ihrem Mann und passt dabei auf, dass sie Max nicht aus den Augen verlieren. Das erinnert mich an die Moment in Berlin, wo ich mit Chris zusammen durch die Straßen gelaufen bin. Die Momente, wo er meine Hand gehalten hatte, weil er es einfach wollte. Weil es für ihn wohl einfach richtig war. Macht man das, wenn man einfach nur befreundet ist? Ist es einfach seine Art? Bereits am ersten Abend habe ich ihn als einen sehr herzlichen Menschen wahrgenommen. Vermutlich ist das einfach seine Art, sein Charakter, seine Art der Zuneigung. Immerhin hatte er es auch in der kleinen Bar gemacht, an unserem letzten gemeinsamen Abend. Es ist für ihn nichts besonderes, denn die besonderen Momente zu zweit teilen wir nur im privaten, im geschlossenen Raum. Aber das war auch einfach niemals mein Leben. Meine Schwester hat früh ihren Mann kennengelernt, sie haben geheiratet und ihren Sohn bekommen. Mein Leben spielt in der Großstadt, auf der Bühne, inmitten meiner Musik. Mein Leben verläuft anders als ihres. Ich beneide sie nicht darum. Familie? Hochzeit? Kinder? Ich würde mich nicht als Mutter sehen. Nein, in meinem Leben habe ich andere Ziele.

Zu Hause bei unseren Eltern sitzen wir gemütlich im Wohnzimmer am Tisch. Wir unterhalten uns, trinken und essen ein paar Snacks. Mein Glas Wein steht vor mir und daneben liegt immer mein Handy. Das, auf welchem ich kaum Nachrichten bekomme, da kaum einer diese Nummer hat. Nur meine Familie und Chris. Daher ist auch klar, auf was für Nachrichten ich warten würde.
Bernd: Du bist viel am Handy in letzter Zeit, Anissa."
Anissa: Findest du?"
Vielleicht fällt er mir gar nicht auf, da ich während der Proben, Konzerte und Aufnahmen sowieso immer am Handy bin und etwas auf meinem Profil poste. Allerdings habe ich das auch noch nicht derartig lange und bei meinen Eltern war ich lange nicht zu Besuch.
Johanna: Sie schreibt mit einem Freund."
Bernd: Mit wem denn? Du machst mich ja neugierig."
Mein Vater lächelt mich an und Jo trinkt etwas aus ihrem Glas, während ich sie kurz von der Seite anschaue. Sie hätte das nicht erwähnen müssen und sollen.
Anna: Lass deine Tochter doch in Ruhe, Bernd. Es ist einfach nur ein Freund, mit dem sie in Kontakt geblieben ist."
Bernd: Ich wollte nur nachfragen."
Meine Eltern müssen lachen und ich weiß, dass Dad es nicht so meint. Mimisch bedanke ich mich bei meiner Mom, was sie lächelnd erwidert.

Etwa fünf Minuten bevor das alte Jahr zu Ende ist, nehmen wir uns alle ein Glas Sekt und gehen zusammen raus in den Garten. Ich hatte mir noch eine Jacke übergezogen, stehe auf der Terrasse und habe Sylvester neben mir sitzen. Von meinem Handy aus zählen wir die letzten Sekunden runter, bis wir einander ein schönes neues Jahr wünschen können. Jo steht in den Armen ihres Mannes, mein Dad legt einen Arm um meine Mom und Max steht vor seinen Eltern. Ich stehe allein hinter ihnen und schaue mir das Feuerwerk der Nachbarn an. Ich schaue in den Nachthimmel, bis mein Handy vibriert, sodass ich das aus meiner Jackentasche hole und entsperre, woraufhin ich gleich auf den Chat von Chris und mir geleitet werde. Dabei hat er mir ein Selfie geschickt, wie er selbst ein Glas Sekt trinkt und mir entgegenhält.
Chris: Frohes neues Jahr, Anni.
Ich muss verlegen lächeln, gucke, ob genug Licht hier vorhanden ist und schicke ihm ein ähnliches Bild wieder zurück.
Anissa: Danke. Dir auch ein frohes neues Jahr, Chris.
Chris: Nur weil ich meine Jacke bei dir hab liegen lassen, musst du sie nicht tragen.
Chris: Aber du siehst süß darin aus, Anni.
Wieder lasse ich meinen Blick in den Nachthimmel schweifen und schaue mir dieses Mal die Lichter mit einem Lächeln auf den Lippen an. Natürlich haben die anderen recht. Diese Mann macht mich gerade sehr glücklich mit den kleinsten Momenten.

Vorsichtig setze ich mich auf eine der Holzstufen, die von der Terrasse in den Garten führt, stelle neben mir das Glas ab und bleibe am Handy.
Anissa: Störe ich dich?
Chris: Du doch niemals. Hattet ihr einen schönen Abend?
Anissa: Er war sehr schön und angenehm. Die letzten Jahre hatte ich den Abend immer allein in der Wohnung verbracht, eine Sendung geschaut, bis es endlich Mitternacht war. Dann habe ich zu Hause angerufen und mich später mit Sylvester hingelegt.
Chris: Wie geht es ihm eigentlich? Katzen und Silvester sind vermutlich nicht die beste Kombination, oder?
Anissa: Eigentlich nicht, aber...
Ich muss mich nur kurz um schauen, bis ich Sylvester gefunden habe. Danach schieße ich von ihm schnell ein Foto, was ich wieder an Chris sende.
Anissa: Mein Kater muss auch der einzige sein, der Silvester, Feuerwerk und all das voll interessant findet. Er sitzt hier auf der Terrasse und schaut es sich seelenruhig an.
Chris: Dein Kater ist wirklich seltsam, Anni.
Anissa: Wenn ich dann bei dir bin, werde ich dann Tweety kennenlernen?
Chris: Natürlich! Er wird sich tendenziell auch gerne mal auf Schulter oder Kopf setzen. Damit musst du leider leben.
Anissa: Du hast meinen Kater ja auch herzlich angenommen.
Chris: Ihn muss man ja auch gern haben, genauso wie die Besitzerin. Er schleimt sich ja bei einen ein.
Anissa: Da kenne ich noch jemanden, der sich versucht einzuschleimen.

Ich muss lachen, als Chris einzig einen Smiley schickt, der meine letzte Nachricht kommentiert. Danach lasse ich meinen Blick wieder zu meiner Familie schweifen. Wie glücklich sie dort stehen, beisammen, bei den Menschen, die sie lieben. Und ich sitze hier mit meinem Kater, hänge am Handy und schreibe mit jemanden, der nicht ansatzweise irgendwas für mich sein kann, wird oder will. Und trotzdem bin ich glücklich.
Anissa: Ich freue mich, dass ich das neue Jahr mit dir anfangen kann, Chris.
Chris: Ich mich auch. Du machst mich in letzter Zeit ziemlich glücklich...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now