Kapitel 45

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Sicht von Anissa...

Da liegt ein Mann, nackt, in meinem Bett. Da liegt Chris, unter meiner Decke, die so gerade eben über seiner Hüfte liegt. Es ist eigentlich komplett dunkel hier im Zimmer, aber ich habe das Licht gedimmt angeschaltet, damit ich mir Klamotten aus dem Schrank nehmen kann. Es ist vier Uhr morgens, aber ich bin wach, will hier raus und ihn nicht stören.

Die Tür zu meinem Schlafzimmer schließe ich wieder, als ich das Zimmer verlassen hatte. Wir beide sind wieder zusammen im Bett gelandet. Dieses Mal kann ich mich nicht rausreden, von wegen Anissa, du warst betrunken und hattest mit ihm einen guten Abend. Er war nett, höflich, zuvorkommend und hat dich aus dem Alltag gerissen. Nein, du bist dort mit ihm gelandet, weil du es wolltest. Und er selbst hatte gesagt, dass er nichts davon bereut, was wir jemals zusammen getrieben hatten.
Anissa: Ach Sylvester...zumindest bist du dort und machst keine Probleme."
Sylvester läuft mit mir ins Wohnzimmer und zu meinem Flügel, wo ich mich auf die Bank setze. Er springt auf meine Beine und setzt sich dahin, sodass ich mit meiner Hand durch sein Fell gehen kann. Als würde mir Chris Probleme machen, macht er ja nicht! Die Zeit, wo er jetzt hier war, waren mit die besten Tage, die ich seit langem in dieser gottverdammten Stadt hatte. Wenn es alles nur mal klare Signale wären. Er hatte mir gesagt, dass er nicht vertraut, dass ihm sein Privatleben das wichtigste ist, was er hat.
Anissa: Und morgen ist alles nur wieder schwarz-weiß, der Alltag kommt wieder und alles schöne verschwindet wieder."
Vielleicht sollte ich mich damit auch einfach abfinden. Wir sind nichts. Zwischen uns ist nichts. Chris ist schlicht ein Freund, auch wenn wir jetzt schon zwei Mal miteinander geschlafen hatten. Wir leben zwei verschiedene Leben, haben Überschneidungen, aber wir gehören nicht zusammen.

Sylvester streckt sich einen Moment, bevor er über den Deckel des Flügels auf die obere Fläche läuft, damit er sich dort wieder hinlegen kann. Auch für ihn ist es einfach zu früh am Morgen. Vor mir auf dem Notenstativ liegt das Stück, was ich in den letzten Wochen gespielt hatte. Neben der Tour und der Arbeit im Studio ist das immer eine gute Ablenkung. Ich weiß, dass die Wand extra gedämmt ist und dass man den auch nicht durch die geschlossene Tür hören kann. Ich klappe die Abdeckung der Klaviatur auf und schaue da nochmal drauf. Auch kaum zu sehen durch das geringe Licht. Meine Hände lege ich mittig vor mir ab, bevor ich die ersten Tasten drücke. Sylvester schaut zwar einen Moment zu mir auf, aber schnell legt er sein Kopf wieder auf seinen Pfoten ab. Ich muss schmunzeln, schaue auf meine Hände und schließe einen Moment meine Augen. Musik war eben doch etwas, was mich immer vom Alltag, von der Welt und von meinem Leben abgelenkt hatte und das schafft sie auch noch immer.

Ich schaue auf, damit ich wieder zu Sylvester gucken könnte. Um zu wissen, dass er noch immer da ist und dass es ihm auch gut geht. Ja, mein Kater liegt noch immer auf seinem Platz, wo er am Schlafen ist. Am Rand des Flügels lehnt jetzt allerdings auch Chris, der mich mit einem leichten Lächeln beobachtet. Ich nehme die Hände zu mir zurück und schaue ihn schweigend an.
Anissa: Wie lange stehst du hier bitte schon?"
Chris: Ein oder zwei Minuten, nicht sonderlich lange Anni."
Ich nicke still schweigend, er schaut mich ruhig an. Soll es zwischen uns jetzt wieder so seltsam werden, wie auch damals am Morgen im Hotelzimmer? Das war definitiv nicht mein Plan und das will ich auch einfach nicht.
Chris: Ist bei dir alles in Ordnung?"
Anissa: Natürlich."
Ich schaue ihn an und lege meine Hände gefaltet auf meine Beine. Chris hatte sich wieder halbwegs angezogen, wobei seine Jacke noch hinter ihm auf den Boden liegt, auf meinem Pullover schläft Sylvester gerade.
Anissa: Warum sollte nicht alles in Ordnung sein?"
Chris: Mal überlegen...du spielst gegen halb fünf am Morgen in deiner Wohnung allein Klavier, während ich noch in deinem Bett liege?"
Punkt für Chris.

Eine Zeit halte ich meinen Blick bei Chris, aber als ich das nicht mehr kann, schaue ich auf meine Noten, sodass auch er seinen Blick endlich von mir abwendet.
Chris: Was hast du da gespielt, Anni? Das klang schön."
Anissa: Porz Goret von Yann Tiersen. Ich arbeite seit wenigen Wochen wieder daran. Ich hatte es damals für die Prüfungen der Unis gelernt, aber...weißt du ja. Die Band."
Mein Blick geht wieder zu Chris, der mir wieder sein typisches Lächeln zeigt. Danach geht er von seiner Position weg, damit er sich neben mich stellen kann. Er schaut einen Moment auf die Blätter und spielt die Melodie langsam nach.
Anissa: Du kannst Noten lesen?"
Chris: Meine Mutter hatte uns allen Klavierspielen beigebracht. Ich kann es daher ein bisschen, mache das auch in unserer Show. Mein Bruder hatte aber jahrelang Unterricht und kann das viel besser."
Er schaut wieder zu mir runter und nimmt seine Hand von den Tasten weg.
Chris: Wir wurden recht musikalisch aufgezogen, da habe ich einiges gelernt und Notenlesen gehört dazu."
Anissa: Wusste ich noch gar nicht von dir. Ich habe aber auch noch nicht viel mitbekommen, was du mit deinem Bruder alles machst."

Für einen kurzen Moment sehe ich wieder ein schwaches Lächeln auf den Lippen von Chris. Die, die ich vor einigen Stunden noch auf meinen gespürt hatte. Nun geht er vorsichtig mit seiner Hand meinem Arm entlang, bis er wieder nach meiner Hand greifen kann.
Chris: Haben wir mit dem, was wieder zwischen uns war, jetzt das kaputt gemacht, was wir in den Tagen aufgebaut hatten?"
Anissa: Ich denke nicht, Chris. Ich bereue auch nichts, was jemals zwischen uns war."
Und das ist keine Lüge. Als er mich ansieht, merkt auch er, dass ich ihn nicht anlüge, dass ich es so meine und deswegen lächelt er wieder.
Chris: Ich fand die Zeit mit dir wieder wunderschön, Anni."
Meine Hand hatte er die gesamte Zeit festgehalten, sodass er diese jetzt leicht zu sich holt, damit er mir einen Kuss auf den Handrücken geben kann. Kurze Zeit danach muss er schwach lachen, was ich dann auch muss.
Chris: Ich bin so unfassbar schlecht in solchen Sachen."
Anissa: Wir beide stellen uns sehr ungeschickt in derlei Themen an, Chris. Vielleicht funktioniert es deswegen. Auf unsere seltsame Art und Weise."
Chris: Ja...auf unsere eigenartige Art und Weise eben...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now