Kapitel 82

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Auch wenn ich irgendwie eine Ahnung habe, wo Enger liegt, trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich heute Abend irgendwo sein werde und keiner wird wissen, wo dieser Ort bitte liegen soll. Aus Berlin raus, in eine fremde Stadt und dann bin ich wieder allein bei ihm.

Vor allem denke ich aber daran, dass ich dann eine Auszeit von dem ganzen hier bekomme, was ich gerade hier erlebe und durchleben muss. Vor etwas über einer Woche hatten wir den kleinen Auftritt in dem privaten Club. Von den paar Leuten, die mir danach privat auf Instagram etwas geschrieben hatten, habe ich auch nur positive Rückmeldungen bekommen. Gutes Zeichen. Aber seitdem sind wir als Band auch nicht mehr zusammengekommen. James meinte, es liegt einfach daran, dass wir gerade so viel aufeinander sitzen und dass wir immer mal wieder eine Auszeit brauchen werden. Gut, ich war immer im Studio, Marco auch nur Julian und Claas waren dürftig anwesend. Immerhin konnten wir die Videos analysieren, ein paar Dinge aufschreiben, die wir verbessern würden, wenn ich wieder hier bin, und haben etwas an den Instrumentalparts bei den Songs gearbeitet. Wir haben das gemacht, was uns möglich war mit der kleinen Besetzung.

Am Montag bin ich normal gegen 10 Uhr aufgestanden. Sylvester hat von mir etwas zum Fressen bekommen und ich ging noch ein letztes Mal hier duschen. Die letzten Sachen habe ich danach in meine Tasche gepackt, sodass diese dann im Flur vor dem Fahrstuhl warten konnte. In der einen Woche, wo ich abwesend sein werde, wird sich John um Sylvester kümmern. Ich lasse ihn ungerne allein, aber wenn ich auf Tour bin, übersteht er es auch. Dann ist zwar meist jemand permanent in der Wohnung, aber die fünf Tage wird er auch überstehen. Bevor es allerdings zum Flughafen geht, muss ich nochmal ins Studio fahren. Letztes Gespräch mit James und dort hatte ich noch ein paar Sachen liegen, die ich mitnehmen will oder sollte. Ich verabschiede mich von Sylvester, der dort gerade entspannt auf seinem Kratzbaum liegt und halb am Schlafen ist und danach gehe ich mit meiner Tasche in den Fahrstuhl. Unten wartet John auf mich, der mir dort mit meinen Sachen kurzerhand hilft. Wir beide steigen ein und er fährt mich zum Studio hin.
John: Wenn du in Hannover landest, wird dich eine Kollegin Empfangen. Clara Norren. Sie trägt die gleiche Uniform wie ich und hat eine Karte um den Hals hängen."
Anissa: Danke, John."
Ich wollte mich auf keinen verlassen, den James angeheuert hätte. Bei John weiß ich immer, dass ich sicher bin und daher hatte ich ihn darum gebeten. Seine Agentur hat bundesweit einige Stellen und so hat er mir scheinbar Clara besorgt.

John fährt in die Tiefgarage des Studios und parkt auf einen der Plätze. Ich meine noch zu ihm, dass es nicht lange dauern wird und dass er hier daher warten kann. Er geht daher an sein Handy, während ich aussteige und durch die ersten Türen gehe. Als ich im oberen Foyer ankomme, kommt mir James auch entgegen.
James: Morgen, Anissa! Du willst die letzten Sachen wohl noch abholen, was?"
Anissa: Das habe ich vor. Danach muss ich auch schon los. Zum BER zu kommen ist ja wirklich eine Qual."
James: Und dann noch das richtige Terminal finden, das richtige Flugzeug...schrecklich. Ich wollte gerade sowieso ins Studio. Die Jungs sind da und wollten heute etwas arbeiten."
Anissa: Dann wären wir fast mal vollständig und dann muss ich gehen."
James: Wir haben in den letzten Wochen so viel geschafft, da tut uns allen eine Auszeit gut und auch, dass wir nicht mehr derartig unter Stress stehen."
Anissa: Recht hast du da wohl."
James hält mir die letzte Tür auf und lächelt mich etwas an. Ich bedanke mich und gehe an ihm vorbei.
James: Ich weiß jetzt aber schon, dass das Album der Hit sein wird. Die paar negativen Kommentare, die ich gelesen oder gehört habe, ist nicht gegen die positive Resonanz."
Anissa: Dann hoffen wir mal, dass du recht behalten wirst."

Meinen Blick wende ich das erste Mal von James ab, als wir beide zum Stehen kommen. Im Studio sitzt Marco wieder auf dem Sofa und trinkt gerade irgendwas aus seinem Glas. Julian lehnt gegen der Tür und schaut dabei zuerst noch zu Claas hin. Dieser steht nämlich vor ihm und knüllt eine Zeitschrift zusammen, als er mich zu Gesicht bekommt. Ich traue mich nicht irgendwas zu sagen und die anderen schweigen auch einzig. Der erste, der sich wieder bewegt, ist Claas. Dieser kommt mit wütenden und enttäuschten Blick auf mich zu und drückt mir diese Zeitschrift gegen die Brust, die ich mehr oder weniger geschickt annehme. Seinen Kiefer spannt er an und dabei versucht er auch nicht zu weinen.
Claas: Hoffentlich bist du jetzt glücklich..."
Mit den Worten lässt er mich dort stehen, geht zur Tür, öffnet diese, damit er sie hinter sich zuwerfen kann, sodass ich erstmal einen Moment zusammenzucke.
James: Was ist mit ihm jetzt wieder los? Als ich euch heute morgen geschrieben hatte, meinte er noch, dass er bock hätte, wieder an den Songs zu arbeiten."
Marco und Julian antworten auf die Frage von James nicht, der diese nur mit einer hektischen Handbewegung untermahlt. Das einzige, was Julian danach macht, ist, dass er auf die Zeitschrift guckt, die ich noch immer in der Hand halte. Leicht zögernd nehme ich sie vor mich und schaue auf die aufgeschlagene Seite.

Im Darkroom geht's zur Sache – Claas Noth händchenhaltend auf dem Weg zu Beate Uwe gesichtet!
Lack und Leder haben es dem Frontsänger der Band Public Therapy schon lange angetan, aber scheinbar auch die intimen und experimentellen Erfahrungen eines Darkrooms – Mit wem sich der 32-jährige dort vergnügt, hier im Bericht.

Ich selbst raufe die Zeitschrift wieder zusammen, als ich die Überschrift gelesen habe. Mehr kann und will ich einfach nicht lesen.
Julian: Hast du schön wieder etwas angerichtet."
Dieser Satz ist ausgesprochen, da werfe ich die Zeitschrift auf den Boden und gehe auf Julian zu, der dieses Mal vor mir ausweicht.
Anissa: Ich habe nichts mit diesem scheiß zu tun! Ich würde euch sowas niemals antun!"
Julian: Nur seltsam, dass sowas immer nur dann passiert, wenn du anwesend bist!"
Anissa: Ich bin nicht daran schuld, dass ihr sowas immer durchziehen müsst!"
Julian: Weil "Miss Perfect" ja auch nichts in ihrem Leben anstellt! Wer ist aber damals mit diesem Möchtegern-Zauberer in die Kiste gestiegen!"
Anissa: Halt deine Fresse Julian! Du solltest ganz ruhig bleiben!"
James: Es reicht jetzt!"
Er zieht mich von Julian weg und hält den davon ab, wieder zu mir zu kommen. Wir beide sind aufgebracht, würden kein ordentliche Gespräch mehr zustande bekommen.
James: Hört auf einander zu beschuldigen! Ihr braucht alle eine Auszeit voneinander! Von der Öffentlichkeit! Kommt wieder auf dem Boden an!"
Julian: Passt ja, dass unsere kleine Dramaqueen die Stadt für ein paar Tage verlässt."
James. Julian! Wirklich! Es reicht jetzt!"

Unter den Blicken von Julian, der nicht darauf hört, was James gerade zu ihm sagt, packe ich die Sachen zusammen, die ich hier noch brauchen würde und verlasse danach ohne ein weiteres Wort das Studio und das Gebäude. Schneller, als es mir lieb war und ist, bin ich wieder in der Tiefgarage und somit kurz darauf auch im Auto bei John.
John: Alles gut bei dir, Anissa?"
Anissa: Fahr mich einfach nur hier weg, John. Einfach nur weg von hier."
Kein Wort, ein stummes Nicken und dann startet der den Motor wieder. Raus aus der Tiefgarage, raus aus Berlin, weg von dem, was gerade vor meinen Augen zerbricht...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now