Kapitel 111

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Wieder ist ein Monat rum. Der Juli hätte uns durch Spanien, Frankreich, Portugal und England geführt. Jetzt sind wir den ganzen Monat nur in Lingen gewesen, bei unseren Familien und haben uns ausgesprochen, überlegt, wie es mit uns als Band weitergehen soll und wie wir diese Krise gemeinsam überstehen können.

Heute sind die drei zu mir gekommen, ins Haus meiner Eltern und man merkt, dass uns dieser Umbruch auch irgendwo gut getan hat. Marco konnte sich endlich mit seinen Dad aussprechen und ist dabei endlich vom Alkohol loszukommen. Vermutlich muss er nochmal in professionelle Hände gehen, aber immerhin hat er den ersten Schritt gemacht. Julian war einzig bei seinen Eltern. Die beiden haben ein eigenes kleines Lokal, wo er in der Küche helfen konnte. Vielleicht hat es ihn wieder etwas geerdet und ihn die Bodenständigkeit gegeben, die er in den Jahren verloren hat. Seine Eltern stehen immer hinter ihm, aber bei dem, was er in den Jahren verprasst hat, haben auch sie ihren Sohn nicht mehr wiedererkannt. Claas hat viel Zeit mit seinen Brüdern verbracht. Er hatte sich damals erst richtig geoutet, als er in Berlin wohnte und hatte immer Angst nach Hause zu kommen. Er ist der jüngste von vier Söhnen. Alle mit einer Frau verheiratet, haben Haus und Kinder. Er hatte Angst, dabei ist er für seine Neffen und Nichten der coole Onkel, der jetzt so schnell nicht mehr davon wegkommen wird. Na ja...und ich versuche mein Leben wieder zusammen zu puzzeln und die Reste zu verstehen, die ich selbst übrig gelassen habe. Meine Schwester hat mir schon sehr geholfen, aber mich zugleich in eine unabwendbare Krise geschmissen. Danke Johanna.

Denn während die anderen im Garten sitzen, von Julian auf seiner alten Akustikgitarre begleitet werden, und Marco auf einer alten Kiste sitzt und darauf einen Rhythmus spielt, sitze ich am Rand und starre auf mein Handy, was ich noch immer nicht eingeschaltet habe. Noch immer zeigt es nur den schwarzen Bildschirm und es wäre nur einen Knopfdruck entfernt, dass ich sehe, was dort vor sich geht.
Marco: Schalte es ein."
Meinen mehr als verwirrten Blick, nachdem er meine Gedanken ausgesprochen und zugleich beantwortet hatte, bekommen alle zugleich mit.
Julian: Du sitzt den ganzen Nachmittag schon davor und hast nichts damit angestellt. Wenn du es nur anstarrst, geht es auch nicht an."
Anissa: Vielleicht will ich gar nicht, dass es angeht."
Claas: Doch, willst du. Du hast nur Angst vor dem, was nicht da sein könnte."
Ja, ich habe nur Angst, dass er mich vergessen konnte und dass sein Leben ohne mich weiterlaufen könnte, als hätte all das, was zwischen uns war, nie existiert. Ich habe Angst, dass er mich vergessen hat, weil ich es nicht kann. Ich kann Christian nicht einfach vergessen und so tun, als wäre es nie gewesen, was er mit mir angestellt hat.
Anissa: Wenn er mich einfach vergessen hat, wie ich es wollte? Wenn sein Leben jetzt einfach weitergeht ohne mich? Vielleicht habe ich dort bereits keinen Platz mehr..."

Auch wenn ich meinen Kopf auf meine Knie stütze, ich bekomme mit, dass Marco, Claas und Julian Blicke austauschen. Daher beobachte ich die drei und mir kommt es so vor, als würden sie nonverbal darüber abstimmen, wer es mir sagen muss.
Anissa: Was habe ich bitte verpasst?"
Marco: Warst du in den letzten Tagen auch nicht mal auf Instagram unterwegs? Wenn du nur im Bett gelegen hast, hättest du genug Zeit gehabt."
Anissa: Falls es euch nicht aufgefallen ist, mein Handy ist komplett ausgestellt. Also nein, ich war nicht auf Instagram unterwegs."
Claas: Naja, dein kleiner Liebhaber hat uns drei aber die ganze Zeit sehr im Auge gehabt."
Anissa: Bitte was?"
Ich werde es Claas nicht mehr abgewöhnen können, Christian irgendwelche seltsamen Namen zu geben und irgendwann gewöhnt man sich daran auch. Das tut aber gerade auch nicht zur Sache. Sie reden über was komplett anderes.
Julian: Ich glaube, dass er auf allen unseren Profilen in den letzten Wochen unterwegs gewesen ist. Auch auf der Seite unserer Band und die ist nun wirklich nicht sehr aktiv."
Marco: Und die Beiträge, die er gesehen hat, gingen meist um dich."
Anissa: Warum sollte er sowas bitte machen?"
Claas: Weil er sich Sorgen macht, du kleiner Trottel. Und darauf wartet, von dir irgendein Lebenszeichen zu sehen. Meine Storys hatte er vor der Sache mit James sehr aktiv verfolgt."

Two Sides of Our LifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt