Kapitel 76

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Gemeinsam mit John stehe ich im Fahrstuhl, schaue mich im Spiegel an und zupfe nochmal an meinem Netzoberteil rum, damit das richtig sitzen würde. Für wen? Ich will gar nicht lange hier sein, wäre am liebsten gar nicht hergekommen. Aber was muss, das muss.

Als sich die Türen des Fahrstuhls in der Wohnung von Julian öffnen, geht John vor mir und geht auch den ersten Schritt in die Wohnung. Ich gehe ihm nach und lasse den Fahrstuhl daher hinter mir. Das letzte Mal, dass ich in der Wohnung von Julian war, ist auch wieder lange her. Jetzt ist es hier drinnen dunkel, stickig und allgemein kann ich kaum etwas erkennen oder sehen.
Julian: Anissa!"
Durch die Menge zwängt sich Julian zu mir vor. In der einen Hand hält er dabei schon ein halb leeres Glas, von irgendeiner Mische und in der anderen eine angezündete Zigarette. Partyraucher. Mehr oder weniger sicher bleibt er vor mir stehen, lächelt und legt dabei noch die Hand mit der Zigarette auf meine Schulter.
Julian: Endlich bist auch du hier."
Sein Blick geht einmal über mich rüber. Bei ihm habe ich sogleich ein unwohles Gefühl bei der Sache und würde gerne meine Arme vor mir verschränken.
Julian: Heiß siehst du aus. In der Küche kannst du dir was zu trinken besorgen. Leb dich aus! Genieße den Abend!"
Im Hintergrund konnte ich die gesamte Zeit schon eine Blondine sehen, zu der sich Julian jetzt auch umdreht. Er winkt kurz und schaut danach noch ein letztes Mal zu mir.
Julian: Genieße die Party!"

Ein Nicken später ist er zum Glück auch wieder weg und ich atme erstmals wieder entspannt aus. John steht die ganze Zeit an meiner Seite, schaut sich im Raum um, bleibt aber auch bei mir, als ich mich in die Küche vorwage. Um den Abend zu überleben, brauche ich was zu trinken. Dringend! Dort steht eine Dame, die sich um die Getränke kümmert. Ich sage ihr, dass ich irgendwas mit Alkohol brauche, sie lacht und bereitet mir was zu. Als ich nach dem Glas gegriffen habe, dränge ich mich weiter durch die Menschen. Zwischendrin kann ich Marco und Claas mal erspähen, aber mich auch dahin vorzukämpfen, liegt gerade nicht in meinem Interesse. Für die Dachterrasse bin ich falsch angezogen, daher suche ich mir einen Platz bei seinem Billiardtisch, wo gerade ein paar Typen eine Runde spielen. Ihre Blicke bekomme ich sehr wohl mit, aber als sie John neben mir sehen, ist das Spiel wieder interessanter. Ich trinke mein Glas, beobachte die Leute und versuche etwas Zeit rumzubekommen.

Mein viertes Glas habe ich gegen Mitternacht geleert. Mehr oder weniger sicher laufe ich mittlerweile durch die Wohnung, werde in kürzere Gespräche verwickelt, aber komme immer wieder an den gleichen Punkt an. Für mich reicht der Abend, ich will gehen und lasse John das auch wissen. Vorher will ich noch auf Toilette gehen, wobei er den Flur noch mit runterläuft. Als ich die Tür gerade öffne, sie war immerhin nicht abgeschlossen, erwische ich Julian und besagte Blondine von vorhin, wie die beiden dort rummachen. Zum Glück bin ich scheinbar zu früh gekommen, um mehr mitzubekommen. Meinen leicht angewiderten Blick muss er auch mitbekommen.
Julian: Kannst dich gerne dazu gesellen, Anissa"
Anissa: Danke, ich will mir aber nichts einfangen bei deinen Nächten und Bekanntschaften. Du müsstest ja mindestens die halbe Gesellschaft hier kennen."
Julian: Unterstelle mir doch nicht so eine schlechte Quote, Anissa."
Seine Hand legt er wieder an den Kopf der Blondine und schaut sie eindringlich an. Ich könnte mich auch nie daran erinnern, dass mich Chris derartig angeschaut hat. Nein, auch wenn zwischen uns nie etwas ernsthaftes entstanden ist, trotzdem hatte er mich immer so angeschaut, als wäre ich, die Zeit und der Moment zwischen uns, gerade alles, was er immer haben wollte.

Scheinbar ist es ihm auch komplett egal, dass ich noch im Raum stehe, denn Julians Hand finden seinen Weg unter den Rock der Frau, was ihr auch komplett egal zu sein scheint.
Julian: Hab dich nicht so Anissa...schau dich mal an..."
Ich finde sein Grinsen so unfassbar widerlich, dass ich am liebsten würgen würde. Daher schnipse ich nur ein paar Mal, damit er seine Aufmerksamkeit in mein Gesicht wieder lenkt, was ihn scheinbar sehr stört.
Anissa: Nichts an mir gibt irgendjemanden die Erlaubnis, auch nur irgendwas zu tun."
Ich gehe ein paar Schritte zurück, da ich darauf verzichten kann, diese Frau oder Julian ohne irgendwas vor mir zu sehen.
Anissa: Ich lasse euch beide wohl mal besser allein. Schließt bitte die Tür ab."
Jetzt ist Julian nicht mehr so glücklich oder übermütig. Sein Blick verfinstert sich und sein Kiefer spannt sich an. Ja, der ist sauer auf mich.
Julian: Gerne. Wenn du nur störst, dann verpiss dich endlich."
Er greift selbst nach der Tür und knallt die vor meinen Augen zu. Ich stehe einen Moment wie angewurzelt dort, bevor ich zu John schaue.
Anissa: Fahr mich nach Hause. Passt schon."
John: Sehr gerne, Anissa."
Ich denke, dass ich die erste bin, die diese Party wieder durch den Fahrstuhl allein verlässt. Aber nichts hält mich auch nur einen Moment länger hier.

John ist erleichtert, als wir wieder im ruhigen Auto sitzen. Im Auto, wo seine ruhige Musik läuft, wo wir atmen können und wo nicht in jeder Ecke irgendjemand raucht, trinkt, kifft oder mit jemanden rummacht. Er steuert das Auto zu meiner Wohnung zurück und ich zücke mein Handy und schicke noch eine Nachricht weg.
Anissa: Schrecklich! Ich hätte einfach zu Hause bei Sylvester bleiben sollen!
Ich dachte, dass er schlafen würde, dass er fertig vom Tag ist, aber nach wenigen Sekunden steht in der Leiste, dass er online ist und dass er etwas schreibt.
Chris: Auf einer Skala von 1 – für mich Berghain schlimm, wie war es?
Anissa: Ich habe alles erlebt, was im Berghain passiert ist und dann nochmal ne Schippe obendrauf. Ich habe noch immer den Geruch von Zigaretten, Alkohol, Gras und Sex in der Nase. Der Typ hat mich angewidert.
Chris: Okay, das ist krass. Ist etwas passiert?
Anissa: Viel zu viel, Chris.
Danach gibt er einen Moment keine Antwort. Ich denke, dass es keine Antwort darauf gibt, aber dann kommt noch eine letzte Nachricht von ihm, die ich im Auto erhalte.
Chris: Wollen wir gleich nochmal über Facetime sprechen? Du musst dich ja noch fürs Bett fertig machen, richtig?
Ich muss lächeln, als er das vorschlägt. Ich halte ihn dabei aber vom Schlaf ab, aber ich bin froh, dass er das vorschlägt.
Anissa: Sehr gerne. Danke dir. Ich sollte in 10 Minuten zu Hause sein und rufe dich dann an...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now