Kapitel 66

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Sicht von Anissa...

Seitdem ich mich mehr mit dem Leben von Chris und seinem Bruder auseinandergesetzt hatte, habe ich immer schon gedacht, dass sie viel mehr erreicht haben als ich mit meiner Band. Weil sie einfach etwas viel besseres erreicht und sich nie verloren haben. So wie ich verloren irgendwo liege und versuche mich selbst wiederzufinden.

Chris lehnt wieder gegen dem Tisch, worauf seine Sachen für später liegen. Ich habe noch nie gesehen, wie er auf der Bühne aussieht, da er selbst bei dem Event einfach eine Cap getragen hatte. Nur auf Bildern konnte ich es bisher wahrnehmen. Ich weiß nicht, was der Abend mit sich bringen wird.
Chris: Hast du keinem, bei dem es dir so vorkommt, als wäre er oder sie immer für dich da?"
Anissa: In meiner Band? Julian und Claas benehmen sich seit einigen Jahren so eigenartig, dass ich keine Ahnung habe, warum sie so sind. Und Marco ist zwar für mich da, aber immer sehr distanziert. Kann daran liegen, dass er kaum mal nüchtern bei den Proben auftaucht. Er wirkt immer etwas neben der Spur. Und unsere Arbeiter wechseln in jeder Arena, in jeder Stadt, in jedem Land..."
Chris: Viele denken immer, dass man, wenn man berühmt geworden ist, nicht mehr allein ist. Immerhin hat man doch viele um sich herum. Aber es ist verdammt einsam. Jemanden zu finden, der einzig bei einem ist, weil er dich als Menschen schätzt, wird immer schwieriger und das Vertrauen wird auch immer geringer."
Anissa: Danke."
Ich bekomme seinen mehr als verwirrten Blick sehr gut mit, auch wenn ich gerade nicht wirklich in der Lage bin, ihn genauer anzuschauen. Dieser Blick wirkt oft so unbeholfen bei ihm, dass er mich zum Lachen bringt.

Dann lässt Chris auch endlich den Tisch hinter sich und kommt etwas näher zu mir, bis es sich vor das Sofa kniet, sodass wir auf Augenhöhe sind.
Chris: Wofür bedankst du dich, Anni?"
Anissa: Für zwei Sachen. Ich weiß, dass du wenigen Menschen vertrauen wirst und die Art und Weise, wie du mir vertraust, bedeutet mir dann sehr viel. Danke, dass ich ein Teil von all dem hier und von dir sein darf."
Jetzt bekomme ich das zufriedene Lächeln von Chris zu sehen, was ich immer schon recht süß gefunden habe. Vielleicht kann er es nicht an sich leiden, weil man immerhin dann seine leichten Falten an den Augen erkennen kann, aber ich genieße es sehr.
Chris: Und wofür dann noch?"
Anissa: Dass du für mich dieser eine Mensch bist, auf den ich mich verlassen kann."
Nachdem ich das ausgesprochen habe, schaut er zuerst noch unbeholfen und regungslos in den Raum, auf den Fleck, wo er die gesamte Zeit schon hinschaut. Dann aber greift er wieder nach meiner Hand und schaut mich an.
Anissa: Dass ich dir immer schreiben darf. Immer mit dir reden kann. Dass ich herkommen und auch zu dir im April kommen darf. Dass ich dich kennenlernen konnte...dass ich dich auf so verschiedenen Weisen kennenlernen durfte."
Chris: Du bist auch die einzige, die es immer wieder dürfte...bei der ich nichts bereue, was jemals passiert ist..."

Wenn er es sagt, fühlt es sich niemals nach einer Lüge an. Nach etwas, was er sagen müsste, weil es angebracht wäre. Er sagt es, weil er es so empfindet. Und das ist das, was mich besonders glücklich macht, was mich besonders daran freut.
Anissa: Du hältst immer meine Hand, wenn ich mir in gewissen Sachen unsicher bin, oder? So ist es mir zumindest aufgefallen."
Er muss etwas lachen und streicht danach mit seinen Daumen über meinen Handrücken. Ich hatte es damals beim Event schon spüren können, dass seine Hände deutlich sanfter sind als meine. Wenn man Musikerin ist, werden sie irgendwann einfach rau, egal, was ich dagegen unternehmen würde.
Chris: Deine Hände sind immer so unfassbar rau..."

Chris dreht meine Hand um, damit er mir vorsichtig durch die Innenfläche gehen kann. Ich weiß auch selbst, dass meine Hände nicht sonderlich gut aussehen. Ich arbeite mit ihnen teils viele Stunden am Tag. Zupfe, halte oder schlage Saiten. Diese Spuren sieht man ihnen auch einfach an.
Chris: Ich konnte das damals im Hotel schon sehr genau spüren."
Anissa: Wie meinst du das, Chris?"
Chris setzt sich etwas auf, damit er seine Hand an meinen Kopf legen kann. So, wie ich meine damals wohl bei ihn liegen hatte. Ich kann mich an den Abend kaum erinnern, nur an die Zeit, die ich mit ihm hatte.
Chris: Ich konnte sie schon sehr genau an meinem Kopf spüren."
Danach wandert seine Hand meinem Körper hinab, bis er diese an meiner Taille liegen hat.
Chris: Es fiel mir am Ende aber deutlich schwerer darauf keinen Kommentar zu geben, wenn du mit denen über meine Brust, meinen Rücken oder meine Hüfte gegangen bist..."
Meine rechte Hand lege ich unter sein Kinn und richte seinen Blick so zu mir, dass wir einander wieder in die Augen schauen müssen. Dabei ziehe ich seinen Kopf weiter zu meinem Rauf, sodass er sich weiter aufsetzen muss, bis er schlussendlich mit bei mir auf dem Sofa ist, über mir kniet.
Chris: Aber am schwersten fiel es mir wohl, als du sie damals in meine Shorts geschoben hattest, bis ich sie klar an mir spüren konnte..."
Für einen kurzen Moment schaue ich an ihn herab, denke an den Moment zurück, als wir uns auf seinem Bett gegenübergesessen hatten. Ich wende den Blick erst von dort wieder ab, als er eine Hand unter meinen Kopf legt und den wieder zu sich richtet. Meine Hand wandert nun in seinen Nacken. Vor einem Monat waren wir uns zuletzt so nahe und es wäre eine Lüge, würde ich sagen, ich hätte es nicht genossen, hätte es nicht vermisst.

Gerade, als unsere Lippen fast wieder aufeinander liegen würden, klopft es an der Tür seiner Kabine. Wir beide erschrecken uns innerlich. Ich ziehe meine Hände wieder zu mir zurück und er zieht zurück, setzt sich auf meine Beine.
Chris: ...es tut mir leid..."
Kein "tut mir leid", dass er gehen muss, sondern dass wir dort wieder zusammen gelandet sind, obwohl niemals klar ist, was es ist, was wir sind und warum wir dort sind. Er steht auf, geht sich mit der Hand nochmal durchs Haar und verlässt im Anschluss seine Kabine.
Anissa: Was soll das alles nur werden, Anissa..."
Wirke ich so verzweifelt? Hat meine Schwester am Ende einfach recht? Wir beide sind wirklich schlicht ein Rätsel, wofür es keine richtige Lösung gibt, aber ich würde diese gerne mit ihm zusammen finden...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now