Kapitel 14

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Meine Decke raschelt, als ich sie am Morgen etwas weiter über mich ziehe. Es ist selbst für meine Verhältnisse zu kalt in diesem Zimmer. Könnte daran liege, dass ich nackt in meinem Bett liege, aber ich hinterfrage die Entscheidungen meines betrunkenen Ichs von gestern Nacht auch nicht. Immerhin bin ich wieder heile in meinem Zimmer angekommen.

Heile, gesund und munter ist relativ gesagt. Mein Kopf tut mir schon ordentlich weh und ich habe das Gefühl, dass ich deutlich zu wenig Schlaf abbekommen habe. Wann war ich denn wieder hier? Gegen Mitternacht...niemals im Leben, es war deutlich später. Auch egal, ich habe noch Zeit, bevor mein Bruder und ich abgeholt werden. Wäre das nicht der Fall, dann würde er an der Tür Klopfen und mich wach bekommen. Oder er hätte mich angerufen. Seine Schlüsselkarte benutzt, wenn er sie nicht verloren, zerbrochen oder abgegeben hat. Vielleicht ist es gerade erst acht am Morgen und ich bin wegen den Kopfschmerzen aufgewacht. Muss ich meine Sachen noch packen, oder habe ich das gestern bereits und habe deswegen keine Sachen an? So viele Fragen, die durch meinen Kopf gehen und die machen es nicht unbedingt besser. Sie machen die Schmerzen nicht gerade erträglicher. Ich kneife meine Augen zusammen, kuschle mich in die Decke ein und wenn es nach mir ginge, dann würde ich noch eine Zeit hier liegen bleiben, die Wärme genießen und mich ausschlafen, soweit es eben geht.

Ich reiße meine Augen allerdings auf, als ich wahrnehme, dass ein Stift auf den Tisch in meinem Zimmer gelegt wird. Mein Blick ist sofort dahin gerichtet und gleich schaue ich auch zu ihr hin. Zu Anissa, die ihre Hose und das Oberteil von gestern wieder trägt, ihre Jacke liegt noch auf dem Boden, wo ich sie gestern habe hinfallen lassen. Ihre Jacke liegt da, weil ich ihr diese ausgezogen habe, weil ich mit ihr im Bett gelandet bin und deswegen liege ich hier auch noch so! Warum hatte ich mit ihr einen One-Night-Stand...oder bezeichnet man das nicht als solches, da sie immerhin noch hier ist? Sie steht vor dem Tisch und schaut zu mir, wie ich wie erstarrt im Bett liege.
Anissa: Hey...morgen Chris..."
Ausatmen. Aufsetzen. Decke richtig hinlegen, obwohl es wohl nichts mehr zu verstecken gibt. Zu ihr schauen. Versuchen die Ruhe zu bewahren.
Chris: Guten Morgen...Anni..."
Sie zeigt mir noch immer das gleiche Lächeln, wenn ich sie derartig nenne. Gut, die Nacht kann nicht das zerstört haben, was gestern Abend so gut zwischen uns lief. Anni greift nach ihrer Jacke und kommt danach mit unsicheren Schritten zu mir, bis sie sich neben mich aufs Bett setzt. Ist das am Morgen danach immer so? Dass man sich derartig angespannt gegenübersitzt? Ich habe davon doch keine Ahnung. Warum musste das gerade hier passieren? Gerade mit ihr? Mit Anni?

Als würde sie spüren, dass ich mich in Gedanken verliere, legt sie wie am Abend zuvor eine Hand an meinen Kopf und schaut mich mit ihren ruhigen Blick an.
Anissa: Ich wollte dich nicht wecken Chris...ich..."
Scheinbar kommen die nächsten Worte ihr auch nicht derartig leicht über die Lippen. Scheinbar ist für uns beide das gerade ein Moment, der vom schlechten Gewissen, der Vernunft und all dem, was gestern gefehlt hatte, bestimmt wird.
Anissa: Ich habe den Abend mit dir gestern beim Event sehr genossen, ehrlich. Ich muss leider gleich los, weil meine Band und ich uns vorher treffen, bevor wir zum Flughafen müssen, aber...ich will mit dir in Kontakt bleiben, wenn du es willst."
Chris: Nichts lieber als das."
Ich muss darüber nicht nachdenken, obwohl mir die Nacht zu denken geben sollte. Das ist aber etwas, worüber ich jetzt und hier nicht mit ihr sprechen sollte.
Anissa: Ich habe dir meine Handynummer auf einen der Zettel geschrieben. Du kannst mir immer gerne schreiben, oder mich anrufen. Auf Instagram könntest du mich auch finden. Mein Name, Unterstrich, Name der Band."
Chris: Ich werde dich da schon finden."
Ein verlegenes und zugleich unsicheres Lächeln von Anni, bevor sich unsere Blicke wieder treffen.

Ihre Hand liegt noch immer an meinem Kopf, womit sie den auch wieder näher zu sich bringt und mir noch einen letzten sanften Kuss zu spüren gibt. Danach steht Anni auf, geht zu ihren Schuhen und greift nur nach dem Riemen, da sie die nicht tragen wird zu ihrem Zimmer. Als sie vor dem Bett nochmal steht, schaut sie wieder zu mir. Dabei sehe ich, dass sie eine leichte Röte im Gesicht hat und dass sie versucht ihr Lächeln vor mir zu verbergen.
Anissa: Ich fand die Nacht mit dir schön, Chris."
Ich will lächeln, schaffe es irgendwie auch, aber spüre in mir drin, dass es irgendwo falsch ist. Nicht von dem her, was ich empfinde oder während dieser Zeit mit ihr empfunden habe, sondern wegen Erinnerungen, vergangenen Gefühlen und zu vielem, was mal war und jetzt nicht mehr ist. Als sie gehen will, setze ich mich an den Rand des Betts und schaue wieder zu ihr hin.
Chris: Und was ist die Wahrheit?"
Anni stoppt und dreht sich wieder zu mir um. Es ist ein leichtes zu sagen, dass die Nacht mit einem schön war. Um die andere Person nicht zu verletzen. Um die Situation nicht noch seltsamer zu machen, als sie sowieso schon ist. Um am Ende da weiterzumachen, wo man zuvor stehengeblieben war. Sie allerdings legt ihren Kopf wieder leicht zur Seite und schaut mich mit einem ehrlichen grinsen an.
Anissa: Ich fand die Nacht mit dir wunderschön und unvergesslich, Chris."

Mit den Worten verlässt sie mein Zimmer und lässt die Tür hinter sich zufallen. Ich hingegen lasse mich wieder in mein Bett fallen, gehe mit meinen Händen über mein Gesicht und im Anschluss durch mein Haar, bevor ich mich dazu bewegen kann aufzustehen und mir zuerst eine Shorts und Hose anzuziehen. Mein Blick wandert sofort und beinahe automatisch auf den Tisch, wo der Zettel mit ihrer Nummer liegt und auch ihre Haarklammer, die ich ihr gestern Nacht abgenommen hatte.
Chris: Mein Gott Fuck..."
Mein Kopf dröhnt und das nicht wegen des Alkohols von gestern. Zu viel ist da gerade los und zu viele Szenarien laufen dort auf und ab, bringe mich in Unruhe, die ich versuche zu beherrschen. Er klopft und zuerst denke ich, es wäre Anni, die mir doch was sagen muss, aber als ich die Tür öffne, ist es mein Bruder, der anfängt mich zu mustern. Als er langsam ins Zimmer kommt, bekomme ich seinen ungläubigen Blick auch mit.
Andreas: Also kam die Frau wirklich aus deinem Zimmer..."
Chris: Scheiße ja!"

Jetzt ist die Ruhe gefallen, meine Mauer eingerissen und alles kommt wieder hervor. Ich laufe im Zimmer umher, während Andreas sich umschaut und dabei meine gesamten Sachen auf den Boden verstreut sieht.
Andreas: Das ist die Musikerin, oder? Die gestern mit der Band diesen Preis gewonnen hatte, mit der du sprechen wolltest?"
Chris: Ja, ich wollte mit ihr sprechen und nicht mit ihr im Bett landen! Wir haben uns unterhalten, sind am Abend zusammen zurückgefahren und ich habe sie noch mit reingebeten! Ich Vollidiot!"
Andreas: Chris, beruhig dich bitte..."
Hat ihm jemand mal gesagt, dass es nicht beruhigend ist, wenn man einem sagt, man solle sich beruhigen? Es bringt rein gar nichts! Es macht mich nur noch wütender oder nervöser!
Chris: Ich habe sieben verdammte Jahre enthaltsam gelebt! Ich bin einen Abend bei einer Veranstaltung und lande mit ihr im Bett! Ich habe noch nie was mit einer Frau gehabt, die ich nicht liebe! Ich kenne sie kaum und habe mit ihr einen One-Night-Stand!"
Andreas: Chris."
Chris: Warum du Idiot! Was soll ich denn bitte machen!? Was ist, wenn sie-"
Andreas: Christian!"

Schweigen meinerseits. Er meint es ernst mit mir und ich will, dass er schnell wieder aufhört mich bei kompletten Namen zu nennen.
Andreas: Sie wird nichts sagen. Ihre gesamte Band ist von Skandalen geplagt. Würde sie das öffentlich machen, würde sie mehr darunter leiden. Beruhig dich bitte Chris, sie wird niemanden irgendwas sagen. Es war eine Nacht und mehr nicht."
Mein Blick schweift zu dem Zettel, wo ihre Handynummer steht. Es war eine Nacht, aber wird dabei nicht bleiben. Vielleicht der einzige Moment, wo wir uns derartig nahe gekommen sind, aber nicht der letzte, wo wir uns sehen werden...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now