Kapitel 58

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Zu Hause. Stille. Ruhe. Einsamkeit. Die normalen Dinge, die zu Hause bei mir in der Wohnung eben aufkommen. Zu Weihnachten teils schlimmer, da alle bei ihren Familien sind und ich nur mittags und abends bei meinem Bruder, meiner Schwester und unserer Mutter. Man gewöhnt sich dran und morgen beginnt sowieso wieder die Arbeit und der Alltag für uns beide.

Schuhe und Jacke bleiben im Flur liegen und hängen und aus der Küche hole ich mir einen Kaffee, den ich vorher noch durchlaufen lassen muss. In der Zwischenzeit lasse ich Tweety wieder aus dem Käfig und ziehe mich um, damit ich danach mit der Tasse ins Wohnzimmer gehen kann. Auf meinem iPad suche ich danach bei Facetime den Kontakt von Anissa. Es ist kurz nach 15 Uhr, also sollte sie auch fertig sein, oder? Sie meinte, dass ihre Familie immer zu dieser Zeit rausgeht, daher sollte ich wohl einfach anrufen. Ich stelle das iPad auf dem Tisch vor mir ab, sitze auf dem Sofa, trinke etwas und warte darauf, dass sie den Anruf annimmt. Gerade, als ich den beenden will, da ihr etwas dazwischen gekommen sein könnte, nimmt sie den Anruf doch an.
Anissa: Entschuldige. Ich war gerade mit Sylvester im Garten und musste den erstmal wieder reinbekommen, damit ich ihn nicht aus den Augen verliere."
Anni lässt sich aufs Sofa fallen, stellt ihr Handy vor sich auf dem Tisch, lehnt es irgendwo gegen und geht sich danach mit den Händen erstmal durchs Haar.
Chris: Bei euch auch so windig?"
Anissa: Das ist wirklich schrecklich hier! Ich weiß auch nicht, warum meine Familie sich unbedingt denkt, dass sie bei dem Wetter raus müssen. Obwohl, es ist halt typische für meine Eltern, die aus Ostfriesland kommen."
Chris: Sind sie erst später nach Lingen gezogen?"
Anissa: Johanna ist noch in Emden geboren und als unsere Mutter sich von ihrem ersten Mann getrennt hatte, hat sie meinen Vater kennengelernt, mit dem sie vor meiner Geburt hergezogen ist."

Oft habe ich das Gefühl, dass ich andere Parts, Lebensarten und Dinge von Anissa kenne und weiß, als das typische. Was sie in ihrem Leben gemacht hat, wie sie zur Musik kam, wo sie geboren ist, was ihre Eltern machen, ihre Geschwister. Wir wissen andere Dinge übereinander, haben andere Momente miteinander geteilt und sowas gehört irgendwie nicht dazu, obwohl ich gerne mehr von ihr wissen will. Ich wollte sie beim Event damals kennenlernen und wissen, wer sie ist.

Anni schaut einen Moment zur Seite und für einen kleinen Moment kann ich Sylvester auch sehen, der danach aber vom Sofa springt und wohl weggeht.
Chris: Du hast ihn mitgenommen?"
Anissa: Ich kann ihn so lange ja nicht allein in Berlin lassen. Außerdem scheint er es hier zu lieben. Endlich kann er die Wohnung verlassen und draußen spielen, liegen und laufen."
Chris: Dabei ist deine Wohnung auch schon echt groß, Anni."
Anni muss etwas schmunzeln und schaut unsicher vom Handy weg. Danach entschuldigt sie sich einen Moment und kommt nach wenigen Minuten mit einer Tasse in der Hand wieder zurück und setzt sich etwas bequemer aufs Sofa.
Chris: Auch ein Kaffee?"
Ich zeige ihr, dass ich gerade auch eine Tasse in der Hand halte und trinke in diesem Zug auch nochmal etwas.
Anissa: Eine Tasse Tee. Meine Familie trinkt wenig Kaffee und daher kochen sie kaum welchen. Hier muss ich also auf Tee umsteigen, wenn ich etwas Warmes trinken will."
Chris: Wenn deine Eltern Ostfriesen sind, dann trinkst du deinen Tee aber bitte nicht so seltsam, oder Anni?"
Sie fängt an zu lachen und lässt sich weiter ins Sofa fallen. Mich bringt diese Reaktion zum Schmunzeln. Man merkt, wie gut ihr diese Auszeit und dieser Besuch zu Hause tut.
Anissa: Meinst du mit klassischen Ostfriesentee, dann einen Kluntje und dazu etwas Sahne? Nur wenn meine Eltern mit uns Tee trinken, aber die sind gerade ja weg. Daher ein ganz normaler Tee und kein "so seltsamer Tee", Chris."

Ich trinke meinen Kaffee, sie ihren Tee. Sylvester läuft nochmal bei ihr vorbei, damit er noch etwas Aufmerksamkeit abbekommt und ich schaue mich kurz um, damit ich sichergehen kann, dass Tweety auch nichts anstellt. Der sitzt aber ruhig auf seinem Ast über dem Käfig, Putzt sich oder schaut sich selbst um.
Chris: Arbeiten deine Eltern noch? Sind sie wegen der Arbeit aus Ostfriesland weggezogen? Oder einzig wegen euch beiden?"
Einen Moment legt Anni ihren Kopf schräg hin. Vielleicht kommt es ihr seltsam vor, dass ich sie das frage. Ich will diesen Menschen einfach besser kennenlernen. Gerade als ich denke, ich sollte es zurückziehen, lächelt sie leicht und überlegt einen Moment.
Anissa: Meine Mutter ist 58 Jahre alt und mein Vater 52 Jahre. Mein Vater arbeitet als Heizungsmonteur hier in Lingen im Außendienst. Und meine Mutter arbeitet als Schulbegleiterin für ein Kind mit Autismus. Darf ich auch fragen, was deine..."
Anni spricht es wohl nicht aus, aufgrund meines Vaters. Allerdings nicke ich, damit sie weiß, dass sie fragen darf.
Chris: Mein Vater ist 2013 im alter von 65 Jahren verstorben und arbeitete ebenfalls im handwerklichen Bereich. Daher hatte er uns auch immer viel bei unseren Illusionen geholfen. Meine Mutter war in erster Hand zu Hause und hatte sich um uns Kinder gekümmert. Später arbeitete sie allerdings noch in einer Tagesstätte. Heute ist sie mit ihren 72 Jahren in Rente."
Anissa: Deine Eltern sind so viel älter als meine."
Chris: Immerhin bin ich auch zehn Jahre älter als du und bin ihr jüngstes Kind."

Auch wenn das eines der ersten Dinge war, die wir bei Event voneinander erfahren hatten, ich vergesse immer wieder, dass Anissa zehn Jahre jünger ist. Dass sie im kommenden Jahr erst 30 Jahre alt wird und ich eben schon 40. Spielt alles aber auch keine große Rolle. Es ist einfach nur eine Zahl. Ihre Eltern sind früh Eltern geworden. Ich als jüngstes Kind, da war meine Mutter auch schon 33 Jahre alt.

Meine Tasse Kaffee ist leer und daher stelle ich sie auf den Tisch vor mir, schaue einen Moment auf die Uhrzeit und danach wieder zu Anni hin.
Chris: Steht bei dir schon was in den kommenden Zeit an? Wie verbringt ihr Silvester?"
Anissa: Ich bleibe noch bis Januar zu Hause. Ich wollte mit meiner Schwester Johanna und meinen Neffen nach Emden fahren für einen Tage. Silvester und Neujahr wird ihre Familie auch wieder hier sein. Wenn ich wieder in Berlin bin, muss ich wieder ins Studio. Und am 15. Januar bin ich dann bei einer Veranstaltung anwesend."
Chris: Welche das nur sein könnte?"
Anni muss leicht schmunzeln, zeigt mir daher ihr verlegenes und zugleich leichtes Lächeln. Diese Art von Lächeln, was man bei ihr zu selten sieht, was sie mir aber immer wieder zeigt.
Anissa: Und bei dir?"
Chris: Für mich geht es morgen Abend wieder auf Tour. Zuerst steht Frankfurt an, bevor wir für Silvester kurz nach Hause kommen, damit es danach gleich wieder weitergeht."
Anissa: Ich bin froh, dass wir immer für drei Monate im Sommer unterwegs sind und dass wir uns danach keine Gedanken mehr um die Tour machen müssen."
Chris: Für uns käme es nicht in Frage, so lange von zu Hause weg zu sein. Mein Bruder hat hier Familie, unsere Mutter ist hier...wir sind beide einfach familienbezogenen Menschen."
Anissa: Das habe ich zu spüren bekommen, Chris. Ich finde das auch sehr schön."

Als Anni sich gemütlicher hinsetzt und ihre Beine mit aufs Sofa legt, springt Sylvester zu ihr aufs Sofa und legt sich dazu. Wieder bekomme ich ihr süßes Lächeln zu sehen, während sie durch das Fell von ihrem Kater geht.
Anissa: Ich freue mich schon darauf, eure Show zu sehen."
Chris: Ich auch. Ich freue mich, dass ich dich dann wiedersehen kann."
Zuerst lässt sie ihren Blick auf Sylvester liegen, bevor sie doch wieder zum Handy und somit zu mir schaut. Den Blick, den sie mir gerade zeigt, habe ich das letzte Mal in dieser Art in Berlin gesehen, an unserem letzten Abend gemeinsam.
Anissa: Ich freue mich auch darauf Chris. Ich vermisse dich."
Diese kleine Aussage, dieses "Ich vermisse dich" macht mich glücklich, bringt mich zum Lächeln, wobei ich meinen Blick leicht von ihr abwenden muss, damit sie das nicht im kompletten Ausmaß mitbekommen kann.
Chris: Ich dich auch Anni. Ich vermisse die Zeit mit dir und freue mich drauf, dass wir dort wieder etwas Zeit zusammen haben...

Two Sides of Our LifeWhere stories live. Discover now