Kapitel 84

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Am Morgen sitze ich mit meinem ersten Kaffee schon in der Küche, während Anni noch im Wohnzimmer auf dem Sofa liegt und scheinbar ruhig und friedlich schläft. Wenn ich ein paar Tage aus der Tour raus bin, dann normalisiert sich auch etwas mein Schlafrhythmus und ich muss nicht derartig viel Schlaf aufholen.

Die Tür zwischen Küche und Wohnzimmer habe ich fast immer offen und gestern hatte ich dabei auch vergessen diese zu schließen. Ich hätte es am Morgen machen könne, hatte da aber die Angst, dass ich sie dadurch wecken könnte. Auch wenn ich jetzt das Gefühl habe, dass man Anni so schnell gar nicht wachbekommen würde. Ich trinke meinen Kaffee, lese etwas die Zeitung von gestern, aber immer wieder schweift mein Blick zu ihr ab. Sie sieht so süß aus, wenn sie ruhig schläft. Ich bin ein einziges Mal am Morgen neben ihr aufgewacht, hatte damals aber sofort das Bedürfnis aufstehen zu müssen. Ich konnte keinen Moment länger neben ihr liegen bleiben. Den ganzen Morgen damals habe ich sie nur dürftig angeschaut. Und jetzt liegt sie dort in meinem Wohnzimmer auf meinem Sofa. Ich hatte vor wenigen Tagen gesehen, dass wieder etwas von ihrer Band berichtet wurde. Dieses Mal allerdings von Claas. Sie hatte gestern nur nebenbei darüber gesprochen, dass sie sich deswegen gerade immer wieder streiten, aneinander geraten und dass sie in den nächsten Tagen nicht daran denken will. Den Gefallen will ich ihr tun. Ich werde dieses Thema hier nicht ansprechen und versuchen ihr ein paar normale Tage zu geben.

Ebenfalls im Wohnzimmer steht der Käfig von Tweety. Zwar liegt darüber noch eine Decke, damit es dunkel ist, aber irgendwann am Morgen macht auch er sich bemerkbar. Eigentlich ein Wunder, dass er bis jetzt durchgehalten hat. Zuerst denke ich noch, dass es Anni gar nicht gestört hat, aber kurz darauf schaut sie auf, kurz zu Tweety und danach wendet sie ihren Blick zu mir nach hinten. Sie sieht noch so unfassbar verschlafen aus, ihr Haar liegt irgendwie herum, was vermutlich am Schnitt liegt. Aber trotzdem lächelt sie sanft und setzt sich auf. Während sie sich und ihre Gedanken sortiert, hole ich aus dem Schrank eine Tasse und schenke ihr einen Kaffee ein, mit dem ich danach zu ihr gehe.
Chris: Guten Morgen, Anni."
Ich gebe ihr die Tasse hin, die sie mit einem leichten Grinsen annimmt.
Anissa: Morgen, Chris."
Gerade als ich mich vor ihr setzen will, zeigt sie, dass ich mit aufs Sofa kommen kann und soll, sodass ich neben ihr Platz nehmen kann. Zuerst trinkt sie etwas aus ihrer Tasse, bevor sie ihren Blick zu mir richtet.
Chris: Hoffentlich konntest du halbwegs schlafen."
Anissa: Ich habe hier sehr gut geschlafen, mach dir keine Sorgen."
Einen Moment geht sie mit ihrem Handrücken wieder über ihre Augen, bevor sie zu mir schaut. Anni lächelt sanft und schaut danach in ihre Tasse.
Anissa: Hast du für heute etwas geplant?"
Nochmal nimmt sie einen Schluck aus ihrer Tasse und richtet ihren Blick zu mir.
Chris: Ich kann dir gerne etwas den Ort hier zeigen, auch wenn es in Enger nicht derartig viel geben wird. Heute dachte ich aber, dass wir noch etwas hier bleiben. Zuerst würde ich aber sagen, dass wir etwas frühstücken, okay?"
Anissa: Klingt sehr gut."

Während Anni und ich gemeinsam in der Küche etwas frühstücken, habe ich auch Tweety wieder aus seinem Käfig gelassen. Anni jetzt hier zu haben, wirkt manchmal noch etwas surreal. Ich hatte seit Jahren keinen oder kaum Besuch bei mir. Klar, mal für ein paar Stunden, aber dass tatsächlich jemand für eine Woche bleibt, passiert bei mir einfach nicht. Daher ist meine Wohnung dafür auch gar nicht ausgelegt. Allgemein beginne und beende ich die Tage immer allein bei mir und jetzt sie hier zu haben...ich freue mich, dass ich am Morgen den ersten Kaffee mit ihr trinken und dass ich mich am Frühstückstisch mit ihr unterhalten kann. Das angenehmste ist, dass zwischen uns nicht diese seltsam beklemmende oder peinliche Stimmung entstanden ist, wie es die letzten Male sonst immer der Fall gewesen ist. Ein normaler Morgen, ein guter Tag. Im Anschluss, als wir beide etwas gegessen und getrunken hatten, haben wir beide uns wieder umgezogen. Anni habe ich dieses Mal eine meiner Caps geliehen, damit sie darunter ihre Haare verstecken kann. Irgendwie freue ich mich immer, wenn ich ihr sowas leihen kann, da ich sie zu süß darin finde. Außerdem lässt sie es auch jedes Mal zu, dass ich mich darum kümmere.

Wir beide verlassen am frühen Nachmittag meine Wohnung und gehen auf die Straße. Von meiner Wohnung aus kann man alles relativ gut erreichen. Immer wieder schaue ich zu Anni hin, für die das hier alles eine andere Welt ist. Alles kleiner, schlechter zu erreichen, ruhiger. Mein 20.000 Seelen Ort kann mit der 3,6 Millionen Einwohner Hauptstadt auch nicht ansatzweise mithalten.
Chris: Für dich als Stadtmensch alles wohl ungewohnt, oder?"
Anissa: Ja. Ich meine, selbst meine Heimatstadt Lingen ist größer als das hier."
Chris: Findest du es schlecht?"
Anissa: So würde ich es nicht sagen. Ich kenne die Vorteile der Großstadt, allerdings auch ihre Nachteile. Und ich kann mir auch denken, warum du hier wohnst und in keiner größeren Stadt. Ich finde, dass der Ort was hat."
Gerade, als sie zu einer der Gebäude raufschaut, kommt von der einen Seite ein Fahrradfahrer. Daher greife ich schnell nur nach ihrer Hand und ziehe sie zurück zu mir.
Chris: Du musst aufpassen!"
Anni bleibt bei mir stehen, hat eine ihrer Hände noch auf meiner Schulter liegen, bevor sie mich wieder anschaut. Ich muss etwas grinsen.
Chris: Solltest du aus der Stadt doch auch kennen. Du kannst nicht einfach über Straßen laufen."
Anissa: Das ist nicht mal eine richtige Straße."
Chris: Fahrradstraße."

Wir gehen weiter, ich ziehe sie an der Hand mit mir mit und als ich sie wieder loslassen will, lässt Anni das nicht zu. Mein Blick schweift kurz darauf ab, aber danach belasse ich es einfach und gehe mit ihr weiter.
Anissa: Seltsam altes Gebäude hier."
Chris: Das ist ein alter Club. Wenn ich mal in Enger feiern gehe, dann hier. Aber eigentlich bin ich fast immer in Herford oder Münster unterwegs."
Anissa: Klingt so, als wärst du es jedes Wochenende."
Ich muss über ihre Aussagen lachen. Wenn es nach meinen Freunden ginge, dann würden sie das vermutlich mit mir machen.
Chris: Vielleicht alle paar Monate, aber vor allem, wenn wir die große Sommerpause haben. Da hat man dann auch mal einen Kopf für andere Dinge. Für Freunde, Familie, sowas eben."
Anni schaut wieder zu mir, wo ich dieses Mal auch ihr sanftes Lächeln sehen kann. Vielleicht ist das etwas, was sie in ihrer Winterpause einbauen will.
Anissa: Verstehe ich zu gut. Wenn ich ein paar Tage zwischen den ganzen Konzerten frei habe, dann will ich eigentlich nur mit mir selbst klarkommen, etwas Schlaf nachholen oder meine Wohnung ordentlich halten. Da will ich auch nicht raus, wenn ich die Arbeit immer im Hinterkopf habe."

Gegen 16 Uhr gehen wir beide in ein kleines Café, was ich schon kenne, seitdem ich hier in der Gegend wohne. Mit meiner Mutter war ich ab und an auch mal hier, aber ihr gefällt der Kaffee hier überhaupt nicht. Ich habe daran nichts auszusetzen. Wir beide trinken eine Tasse, essen ein Stück Kuchen, reden wieder etwas.
Anissa: Du bist hier in der Gegend groß geworden, aber nicht in dem Ort, richtig?"
Chris: In Bünde."
Anissa: Stimmt, hattest du mal gesagt."
Ich trinke etwas aus meiner Tasse, während sie ihre Gabel zur Seite legt. Danach lässt Anni ihren Blick nach draußen hin abschweifen.
Chris: Bünde ist etwas größer als das hier. Zur Schule ging ich allerdings auch wieder in Herford. Dort lebte ich auch vorher, bevor ich umziehen musste."
Anissa: Und warum dann Enger?"
Am liebsten würde ich mit den Schultern zucken, aber ich weiß, dass das gelogen wäre und auch weiß ich, dass sie das wissen würde. Also bleibt nur die Wahrheit über.
Chris: In Herford fühlte ich mich nicht sicher. Ich wollte in einen kleinen Ort und die Wohnung, die es in Enger gab, war so abgelegen und weg von dem, wo und wie ich vorher lebte. Ich musste von dem wegkommen, was ich vorher erlebt hatte."
Anni nickt verständlich, trinkt etwas und schaut danach wieder raus.

In den letzten Stunden, seitdem sie gestern bei mir anwesend ist, kommt sie mir immer wieder etwas seltsam rüber. Auch wenn ich noch etwas zögere, vorsichtig lege ich meine Hand auf ihre, sodass sie kurz stockt, bevor Anni ihren Blick wieder zu mir richtet.
Anissa: Wenn ich könnte, würde ich auch gerne aus meinem Leben ab und an wieder fliehen. Eine Wunschvorstellung, wie ich immer dachte, dass ich glücklich sein würde. Wie gesagt, es war nur eine Phantasie, ein Traum und eigentlich nur eine Illusion."
Chris: Wenn ich etwas tun könnte..."
Anissa: Das machst du."
Jetzt, nachdem sie das gesagt hatte, hält sie meine Hand fest und geht mit ihrem Daumen vorsichtig über meinen Handrücken. Auch wenn ich sie anschaue, ihren Blick hat sie auf unsere Hände gerichtet.
Anissa: Ich bin gerne hier, ich bin sehr gerne bei dir. Du zeigst mir, wie ich leben könnte und vielleicht...komme ich meinem Traum dann etwas näher."
Chris: Dabei mache ich nichts Besonderes."
Anissa: Du bist aber etwas Besonderes für mich, Chris."
Ich weiß nicht, ob sie versteht, was sie mit diesem Satz eben gesagt oder ausgedrückt hat, aber während ich versuche nicht rot zu werden, sehe ich bei ihr nur ein glückliches und ehrliches Lächeln...

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