Kapitel 51

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Es ist halb sieben, als ich die Tür zu meiner Wohnung hinter mir zufallen lasse. Ich habe bereits alles in der Halle weggeschickt, danach nur noch meine Sachen gepackt und bin froh, dass ich jetzt Zeit für mich habe und nicht noch zwangsmäßig etwas für die kommende Tour vorbereiten muss.

Das erste, was ich mache, ist, dass ich den Käfig von Tweety öffne, damit er auch noch etwas in der Wohnung sein kann, bevor ich später schlafen gehe. Das Abendessen fällt bei mir sehr unspektakulär aus, da ich einfach nur meine Ruhe haben will, ohne, dass ich noch lange in der Küche stehen müsste. Ich esse dort schnell, packe danach alles in die Spüle und lege mich zuerst aufs Sofa, bevor ich mir entscheide, dass ich heute Abend eine Film laufen lassen würde. Ich hatte gestern einen angefangen und schaue den zu Ende. Ich brauche eigentlich nur etwas, was im Hintergrund laufen kann, während ich mit ihr schreiben würde.
Chris: Also ich bin jetzt wieder zu Hause angekommen. Hoffentlich störe ich dich nicht bei irgendwas, du kannst mir das auch immer sagen.
Mein Handy behalte ich in der Hand, doch ich gehe auf Instagram und schaue, ob ich dort irgendwas verpasst hätte. Anni hatte in den letzten Tagen allerdings auch nichts hochgeladen und auch meine Freunde sind nicht aktiv. Weihnachten steht vor der Tür und jeder hat irgendwas zu tun. Einen Moment schaue ich mich in meiner Wohnung um. Sonderlich weihnachtlich sieht es hier nicht aus, aber über die Feiertage bin ich sowieso immer bei meiner Familie. Bei meinem Bruder, meiner Schwester oder unserer Mutter. Danach sind wir auch wieder weg, also lohnt es sich einfach nicht.

Mein Handy leuchtet auf, ihr Name steht neben der Nachricht, die sie geschrieben hat und ab dann weiß ich, dass ich nichts vom Film mitbekommen werde.
Anissa: Ich würde es dir schon sagen, Chris.
Chris: Ich meine es ja nur. Ich weiß überhaupt nicht, wann ihr im Studio arbeitet oder wann du bei anderen Terminen sitzen musst.
Anissa: Zum Ende des Jahres immer selten.
Chris: Verständlich. Auch bei uns stehen kaum noch Termine an, da wir bald aber auch wieder auf Tour gehen. Ist bei euch wieder etwas geplant? Müsst ihr euch auf etwas vorbereiten?
Anissa: Wir haben im Sommer wieder Konzerte.
Anissa: Und wir arbeiten an dem Album.
Chris: Davon hattest du was erzählt. Ich habe das einmal hinter mir und weiß, wie viel Arbeit das sein kann. Habt ihr eine Deadline, bis wann das Album stehen muss?
Anissa: Haben wir nicht.
Chris: Immerhin etwas. Aber wie du auch bereits sagtest, zum Ende des Jahres hin wird man vermutlich weniger daran arbeiten, da man sowieso an andere Dinge denkt.
Anissa: Ja.

Habe ich irgendwas getan? Anni antwortet so kurz und nur dürftig. Normal antwortet sie auf die Sachen, die wir schreiben, nicht so neutral. Es ist her, dass ich bei ihr war, dass wir die Zeit zusammen hatten und in den letzten Tagen schien es eigentlich so, dass alles wie zuvor ist. Dass uns die Nacht nicht alles genommen hatte, was zuvor so gut zwischen und lief. Sie selbst hatte es doch zu mir gesagt, dass sie nichts von dem, was zwischen uns war, je bereut hatte. Und warum ist sie so komisch dann? Sollte ich sie einfach stumpf fragen?
Chris: Habe ich irgendwas getan Anni?
Anissa: Was? Warum fragst du?
Chris: Weil du so knapp und dürftig antwortest. So schreibst du normal einfach nicht mit mir. Ist wirklich alles gut?
Dann kommt nichts von ihr. Ich sehe, dass sie weiterhin online ist und dass sie meine letzte Nachricht auch gesehen hatte. Ich starre auf mein Handy, als oben in der Leiste "schreibt..." erscheint.
Anissa: Hast du Facetime Chris?
Was? Will sie mir etwas sagen, was sie mir nicht schreiben kann? Weil etwas war, was sie mir erklären muss? Denk nicht immer alles kaputt Christian.
Chris: Klar. Müsstest mich dort doch haben, wenn du meine Nummer eingespeichert hast.

Bevor der Anruf kommt, setze ich mich halbwegs ordentlich auf das Sofa und stelle den Film im Hintergrund etwas leiser, damit sie mich und ich sie verstehen kann. Es dauert auch nicht lange, bis der Anruf kommt, den ich auch etwas unsicher annehme. Als ich Anni dann allerdings in ihrem Badezimmer stehen sehe, muss ich mir das Lachen verkneifen.
Anissa: Ich muss wirklich dringend meine Haare nachfärben und mir Farbe an den Händen lässt es sich nicht so leicht schreiben."
Chris: Konnte ich von zu Hause aus nicht sehen, was in deinem Badezimmer gerade so abgeht. Das Pink wird also wieder aufgefrischt?"
Anissa: Das sieht ja auch einfach nur noch schlimm aus. Mit dem Lila bin ich Gott sei Dank schon durch und jetzt nur noch der Rest in die Haare."
Anni muss das Handy vor sich, unter dem Spiegel, an die Wand gestellt haben. Auch wenn sie ab und an zu mir schaut, sie ist darauf konzentriert, dass die Farbe auf ihrem Haar und nicht auf den Fliesen oder ähnliches landet. Auf dem alten Shirt, was sie gerade trägt, sind auch einige Farbflecken. Das muss sie wohl immer tragen, wenn sie ihre Haar färbt.
Anissa: Denkst du immer so viel über die Sachen nach? Über Worte. Taten. Momente."
Chris: Leider ja. Ich denke viele Dinge gerne kaputt...deswegen hatte ich auch am Morgen, als du Klavier gespielt hattest, gefragt, ob alles in Ordnung ist."
Anissa: Was? Warum genau? Du hattest doch gesagt, weil ich um vier allein dort sitze, während du noch im Bett lagst."

Anni kümmert sich weiterhin seelenruhig und konzentriert um ihre Haare. Es überrascht mich, dass sie das selbst macht und nicht jemand anderes. Ich würde mich niemals trauen, mir selbst meine Strähne zu blondieren.
Chris: Ja, weil das auch seltsam war, aber...als wir beide in deinem Bett lagen, hattest du mich gefragt, ob wir das morgen wieder bereuen werden..."
Jetzt unterbricht sie einen Moment ihre Arbeit und schaut zu mir hin. Das ist der Moment, wo ich von ihr wegschaue.
Anissa: Weil ich gefragt hatte, ob wir es WIEDER bereuen werden...Chris..."
Chris: Du musst dich nicht erklären. Ich denke zu viel über alles nach."
Anissa: Es kam mir einfach so vor, als hättest du das erste Mal bereut. Zumindest hast du dich am Morgen so benommen."
Chris: Weil ich halt Angst habe...du hast mich von einer andere Seite gesehen, warst morgens vor mir wach..."
Anissa: Dachtest du, ich hätte Fotos oder so von dir gemacht, wie du da nackt auf deinem Bett liegst?"
Kann sie aufhören, es so vorwurfsvoll klingen zu lassen? Als wäre ich der seltsame? Mich hat die Sache damals verändert und...ich will nicht, dass es nochmal passiert.
Anissa: Ich verspreche dir, dass ich so einen Scheiß niemals im Leben machen würde. Ich selbst bekomme doch zu oft zu spüren, was das alles mit sich bringen kann. Du kannst mir vertrauen Chris."

Ich schaue auf und sehe Anni, die mich anlächelt. Aber ich kann mich nicht zurückhalten und muss anfangen zu lachen. Vermutlich war das auch ihr Ziel.
Chris: Bist du endlich mit deinen Haaren fertig? Ich kann dich so nicht ernst nehmen."
Anissa: Es ist recht leicht dich abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen."
Chris: Du hattest das immer schon hinbekommen."
Anissa: Kann ich nur zurückgeben, Chris."
Meinen verlegenen Blick wende ich von ihr ab und schaue einen Moment zu Tweety, der über dem Fernseher auf einem Regal sitzt und mich die ganze Zeit beobachtet.
Chris: Danke für die Worte, Anni. Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann."
Wegen dieser Worte muss sich anfangen zu grinsen. Danach schaut sie sich im Spiegel an und legt endlich diesen Pinsel weg und zieht sich danach auch die Handschuhe aus.
Anissa: Endlich fertig. Jetzt eine halbe Stunde warten. Was machst du in den nächsten Tagen? Warst du mal auf einem Weihnachtsmarkt in deiner Nähe?"
Chris: Ich bin da noch gar nicht zu gekommen. Aber in den nächsten Tagen muss ich ja nicht in die Halle, also vielleicht schaue ich dann mal nach Herford. Und? Bist du in Weihnachtsstimmung?"

Anni wird nochmals ruhiger. Mist...ich hatte sie auf etwas angesprochen, worüber sie nicht gerne nachdenkt. Allein in ihrer Wohnung wird sie vermutlich nicht das beste Weihnachten haben. Ich habe bei ihr auch keine Vorfreude oder Vorbereitung zu Weihnachten gesehen.
Chris: Ich hätte das nicht fragen sollen, tut mir leid Anni. Ich bin halt gar nicht in der Stimmung für Weihnachten, weil..."
Spricht jetzt nicht noch deinen Vater an! Ihrer Mutter geht es nicht gut, sie kann nicht weg und feiert die Tage allein! Du Idiot!
Anissa: Ich fahre für die Feiertage in meine Heimat."
Der Gedankenfluss wird unterbrochen, als sie das ausgesprochen hat. Gut, nicht alles verbockt Christian. Als ich bei ihr war, meinte sie noch, dass sie seit Jahren nicht da war und dass sie es eigentlich auch nicht vorhatte.
Anissa: Ich muss meine Eltern noch anrufen und sie fragen oder wohl eher Bescheid geben. Dieses Weihnachten bin ich nicht allein in Berlin, sondern verbringe sie hoffentlich in Lingen. Bin lange nicht mehr da gewesen..."
Chris: Warum jetzt so plötzlich, Anni? Du hattest mir vor einiger Zeit noch gesagt, dass du nicht fahren willst und dass du einige Jahre schon nicht mehr zu Hause warst. Dass es dir einfach nicht passt."

Ihr verlegenes Lächeln ist zu niedlich, als dass ich ernst bleiben könnte. Sie zeigt diesen Blick einen so selten, dass er dann umso schöner ist. Anni hat ein schönes Lächeln, süße Grübchen...ich sehe sie so einfach sehr gerne.
Anissa: Weil ich nie weiß, wann es dafür zu spät sein könnte...

Two Sides of Our LifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt