Kapitel 54

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Der Morgen des 24. Dezember. Mein Koffer steht gepackt im Flur und warte darauf, dass John ihn gleich mitnimmt. Ich habe alles in Ordnung hier gebracht, sollte nichts vergessen haben und habe mich zudem von allen hier abgemeldet, damit sie nicht mit mir bei irgendwas rechnen. John lasse ich einfach nur raufkommen, indem ich ihn Fahrstuhl und Schlüssel runterschicke, denn ich habe gerade andere Prioritäten.

Sylvester hat mich noch nie derartig beleidigt und wütend angeschaut. Er liegt in seiner Transportbox, schaut mich verschlafen und alles andere als begeistert an und miaut die ganze Zeit schon. Alles unter dem Motto "Was hast du mich bitte in diese dämliche Box gesteckt! Wenn ich hier rauskomme, kriegst du das schon noch zu spüren! Dann bin ich jetzt erstmal beleidigt! Hast du halt davon." und ich muss versuchen ihn etwas zu beruhigen. Also stehe ich mit seiner Box auch schon im Flur und warte ungeduldig, dass sich endlich die Türen vom Fahrstuhl wieder öffnen und dass John somit hier ist. Das passiert zum Glück einen Moment später und endlich steht er bei mir im Flur.
John: Guten Morgen, Anissa."
Anissa: Morgen John."
In der Zeit, wo ich die Box von Sylvester vorsichtig aufhebe, nimmt er meinen Koffer und geht wieder in den Fahrstuhl. Ich schaue nochmal zurück, um mich zu vergewissern, dass alles okay ist und gehe ihm dann nach. Während wir runterfahren, nehme ich den Schlüssel wieder entgegen und stecke den Weg.
John: Ich habe mit dem Unternehmen vorhin telefoniert und dem Flug steht nichts im Weg. Beste Bedingungen heute."
Anissa: Sehr gut. Danke dir."
Die Türen gehen in der Tiefgarage wieder auf, sodass wir zum Auto gehen, den Koffer in den Kofferraum legen und Sylvester bleibt bei mir hinten. Danach steigen wir beide ein und es geht los zum Flughafen.

Auf dem Weg dahin schaue ich zuerst verträumt aus dem Fenster. Es geht nach Hause. Nach so vielen Jahren geht es endlich wieder nach Hause in meine Heimat, zu meiner Familie. In meine kleine Stadt, in das ländliche Haus, in die ruhige Umgebung mit den altbekannten Nachbarn. Ob meine Schwestern kommen werden? Da ich es Mom versprochen hatte, gehe ich an mein Handy und schreibe ihr eine Nachricht.
Anissa: Hey Mom. Wir sind auf dem Weg zum Flughafen und ich werde auch pünktlich um 13 Uhr starten können. Dad sollte mich dann gegen 14 Uhr vom Flughafen Münster abholen.
Anissa: Kommen Johanna und Liana für die Tage?
Als hätte sie den ganzen Morgen schon darauf gewartet, erscheint bei meiner Mom nach kurzer Zeit oben die Schrift, dass sie online ist und kurz darauf, dass sie schreibt.
Mom: Morgen Süße. Ich werde es deinem Vater sagen, damit er pünktlich da sein wird. Johanna will kommen, aber Liana wusste nicht, ob das mit ihrem Dienst passen wird. Ich freue mich, dass du wieder herkommst.
Anissa: Ich freue mich auch, Mom. Wir sehen uns später, hab dich lieb.
Mom: Ich dich auch Süße. Hab einen guten Flug!
Mein Handy lege ich wieder weg, da Sylvester wieder etwas mehr Aufmerksamkeit haben will. Lange dauert es danach auch nicht mehr und wir sind endlich beim Flughafen.

Der alltägliche Stress, dass alle gerade in Urlaub oder zur Familie wollen. John hat es etwas leichter, da jeder mit sich beschäftigt ist, aber trotzdem sind dort immer ein paar Menschen, die meine Privatsphäre und persönlichen Platz nicht respektieren wollen. Aus diesem Grund habe ich ihn ja aber auch dabei. Der Koffer wird von einem der Arbeiter John abgenommen, damit dieser verstaut werden kann. Wir fahren hingegen mit einen der anderen in einem kleinen Auto zum Flugzeug. Das ist auch der Moment, wo ich mich von John trennen muss. Ich verabschiede mich von ihn und steige danach mit Sylvester aus und gehe durch die Treppe ins Flugzeug. Ich sitze auf meinem Platz bekomme alles mögliche angeboten, was ich für den Flug nicht benötige und Sylvester schläft tief und fest und macht somit keine Probleme mehr. Eine Stunde, länger dauert dieser Flug nicht. Kurz bevor wir landen, suche ich mir meine Mütze aus meiner Jackentasche, damit ich meine Haare wieder verstecken kann. Hier habe ich keinen John mehr und muss erstmal meinen Vater finden. Wir landen sicher in Münster, ich verabschiede und bedanke mich beim Team und werde von demselben Arbeiter wieder vom Flugzeug in die Halle gebracht, wo ich meinen Koffer wieder ausgehändigt bekomme.

Von dem privaten Bereich muss ich wieder in den öffentlichen Bereich des Flughafens gehen. Ich schaue mich um und entdecke meinen Dad, der vor den Anzeigen der Flüge steht. Ich gehe mit schnellen Schritten auf ihn zu, sodass er mich dann auch bemerkt und als wir uns gegenüberstehen, nehmen wir einander fest in Arm.
Bernd: Schön, dass du wieder zu Hause bist."
Anissa: Ich habe dich vermisst, Dad. Ich habe euch so vermisst."
Mein Traum wurde in den letzten Jahren immer mehr zum Albtraum und ich dachte immer, ich hätte alles erreicht, was ich immer haben wollte. Aber offensichtlich habe ich rein gar nichts erreicht, was mich irgendwie glücklich machen würde. Mein Dad lässt mich los, schaut mich einen Moment genauer an, lächelt die gesamte Zeit und macht mich glücklich und zufrieden.
Bernd: Wollen wir nach Hause?"
Anissa: Ja. Lass uns endlich nach Hause fahren."
Mein Vater nimmt gerade meinen Koffer, als er auch das erste Mal meinen Kater sieht. Er muss lächeln, da er weiß, dass ich eine solche Katze immer haben wollte.
Bernd: Er sieht süß aus. Ihm wird es bei uns zu Hause gefallen."
Anissa: Ich glaube auch, dass Sylvester es lieben wird."
Ein großes Haus, ländlich, ruhig und ein eingezäunter Garten. Was will dieser Kater am Ende mehr haben?

Mein Vater geht mit mir zu seinem Auto. Ein in die Jahre gekommener Mercedes, aber er fährt und bringt ihn von A nach B. Er packt meinen Koffer weg und ich setze mich hinten zu Sylvester hin, da ich nicht will, dass mit ihm etwas passiert. Nochmal eine Stunde, bis wir in Lingen ankommen. Ein paar Straßen weiter, ein paar Ampeln und Kreuzungen und ich erkenne die Straße, wo ich selbst früher runtergelaufen oder gefahren bin. Und vor der großen Wiese steht mein zu Hause. Das Haus meiner Eltern, in dem ich groß geworden bin.

Meine Sachen werden wieder mitgenommen und das Auto hat mein Dad auch bereits abgeschlossen. Er schließt die Haustür auf und lässt uns beide rein. Ich stelle zuerst die Box von Sylvester ab, bevor ich den Flur runterlaufe.
Anissa: Mom! Ich bin zu Hause!"
Ich laufe durch die letzte Tür ins Wohnzimmer, wo sie gerade die letzten Kugeln an den Tannenbaum hängt, bevor sie sich umdreht, mich sieht und anfängt zu lächeln.
Anna: Meine Anissa!"
Auch sie kommt auf mich zu und nimmt mich fest in Arm. Vorsichtig drücke ich sie an mich, bis wir einander irgendwann wieder loslasse. Dann schaut sie mich einen Moment an, bevor sie mir meine Mütze abnimmt.
Anna: Ich dachte schon, dass du irgendwas mit deinen Haaren angestellt hast."
Anissa: Nein. Die sind so pink wie immer."
Meine Mom und ich müssen lachen und auch mein Dad kommt wieder ins Zimmer, da er meinen Koffer wohl ins Gästezimmer, also ehemals mein Kinderzimmer, gebracht hat.
Anna: Willst du Sylvester rauslassen? Wir haben alles für ihn vorbereitet."
Anissa: Das wäre gut. Er hat sich die ganze Zeit beschwert."
Also gehe ich in den Flur und nehme die Box mit ins Wohnzimmer. Dort stelle ich sie ab und öffne danach die Tür. Zuerst schaut er sich skeptisch um, bevor er rausgeht und sich beginnt umzuschauen.
Bernd: Gebt dem eine Stunde und dann schläft er irgendwo gemütlich."
Anissa: Wäre typisch für Sylvester."

Mein Dad kümmert sich darum, dass wir später Kaffee trinken und etwas Kuchen essen können. Meine Mom und ich kümmern uns um den Rest des Tannenbaums und Sylvester sitzt neben mir, bis er sich aufs Sofa legt, damit er dort schlafen kann. Er ist und bleibt eben der gemütliche Kater, der gerne und viel schläft. Zwischendurch ziehe ich mich nochmal um, da ich für den Flug gemütliche Sachen getragen hatte und für heute Abend will ich halbwegs ansprechend aussehen. Das Zimmer erinnert mich an meine Jugend. Ein paar der alten Möbel stehen hier noch, die Lampe flackert noch immer leicht und an der Wand stehen Skizzen für einen Song von Claas. Die gute alte Zeit, die ich heute nicht mehr habe. Dinge ändern sich eben...manchmal ins gute und manchmal eben nicht.

Gerade als ich die Treppe runterlaufe, klingelt es an der Haustür und da meine Eltern nicht in Sichtweite ist, sollte ich wohl gehen.
Anissa: Ich gehe eben!"
Im Schloss muss ich den Schlüssel noch umdrehen, bevor ich die Tür öffnen kann. Davor steht meine Schwester Johanna, die mich wohl nicht wahrnimmt.
Johanna: Gott ist die Stadt gerade voll. Kein Wunder, dass-"
Jetzt hat sie scheinbar erst bemerkt, dass nicht unsere Mom vor ihr steht, sondern ihre Schwester, die sie seit Jahren nicht gesehen hat.
Johanna: Anissa!"
Mit ihr im Arm stolpern wir beide in den Hausflur, da hinter ihr noch ihr Mann Kai und ihr Sohn Max sind. Zuerst muss sie lachen, was typisch für sie ist, wenn sie sich freut. Danach schaut mich Johanna genau an, mustert mich und lächelt.
Johanna: Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich zu Hause vermisst hatte, Nanni."
Wie lange ich nicht mehr so genannt wurde. Wie lange ich mich nicht mehr so willkommen gefühlt hatte. Wie lange ich mich nicht zu Hause gefühlt hatte. Und jetzt ist gerade alles wieder perfekt, zumindest für einen Augenblick.
Anissa: Ich habe dich auch sehr vermisst, Jo."
Wir lachen und nehmen einander nochmal in Arm. Eine von vielen in den nächsten Tagen...

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