Kapitel 93

27 5 0
                                    

Anfang Mai, der Alltag kam wieder etwas rein. Ich hier in Bünde oder in den Arenen und Anni bei sich in Berlin. Jeden Abend schreiben wir miteinander oder treffen uns über Facetime. Der erste Tourblock verlief ohne große Probleme, also im Grunde ist alles wie beim alten, nur dass es zwischen Anni und mir relativ gut zurzeit läuft.

Das, was zwischen Anni und mir irgendwie in den letzten Monaten und beinahe vergangen Jahr, entstanden ist, ist noch immer nicht komplett klar, aber es ist einfach richtig. Wir beide werden einen Weg finden, womit wir leben können und wodurch wir weiterhin rausfinden können, was das zwischen uns werden kann und wird. Heute muss ich mich allerdings auf die Arbeit konzentrieren, da ich nun schon ein bisschen im Verzug bin. Ich sitze in meinem Büro, versuche an meinem Computer etwas zu arbeiten und warte dabei auf Andreas. Er hatte heute noch etwas zu tun zu Hause und meinte, er will später kommen. Aber wann genau, hatte er auch wieder nicht gesagt. Und mittlerweile bin ich hier auch fast fertig und finde keine Konzentration mehr. Daher greife ich nach meinem Handy und schreibe meinen Bruder.
Chris: Wann hast du vor hier aufzutauchen?
Und da Andreas nicht gerade derjenige ist, der schnell antwortet, gehe ich nochmal auf Instagram. Seit etwa zwei Wochen ist unser Profil auf Instagram recht stark besucht. Vor allem werden mir immer wieder neue Kommentare angezeigt, aber bisher habe ich keine Zeit gefunden, dass ich mich weiter damit auseinandersetzen kann.
Andreas: Bin bereits unten in der Halle. Ich komme gleich rauf, aber du kannst auch gehen, solltest du fertig sein.
Dann wird heute auch kein Tag, wo ich mich um Socialmedia kümmern werde.
Chris: Okay, danke. Sollte was sein, dann schreib mir einfach.
Andreas: Würde ich machen.

Gut, dann mache ich eben gegen 16 Uhr Feierabend und fahre nach Hause. Ob ich jetzt hier tatenlos rumsitze oder zu Hause etwas aufräumen kann, bevor die Tour wieder los geht. Der Computer fährt runter, ich hatte nur eine Jacke mit und nehme die beim Gehen schnell vom Stuhl mit. Ich ziehe sie mir über, während ich die Treppe runterlaufe und als ich zur Tür laufe, hole ich aus der Tasche meinen Schlüssel fürs Auto. Aber als ich die Tür zum Hof öffne, steht vor mir eine Masse an Menschen. Mir fremde Menschen, die ich schnell aber als Presse abstempeln kann. Ich kann nicht reagieren. Ich werde fotografiert. Soll irgendwas zu irgendjemanden sagen. Soll Stellung nehmen. Wieder ein Blitzlicht im Hintergrund. Ich halte meinen Arm vor mein Gesicht. Ich verliere das Gleichgewicht, weil mich Menschen irgendwo hin drängen. Ich habe Mikrophone vorm Gesicht. Ich schaue auf, sehe wieder eine Kamera. Ich krümme mich. Versuche zu atmen. Wieder ein Blitz im Hintergrund. Irgendwelche Fragen, die mir gestellt werden. Lärm. Stimmen. Fragen. Zu viel. Mir wird schlecht. Ich verliere den Halt. Als irgendjemand nach mich greift, schaue ich auf.
Chris: Lasst mich in Ruhe!"
Es wird enger. Der Platz immer weniger. Die Fragen lauter. Nerviger. Häufiger. Die Blitzlichter schränken meine Sicht ein. Ich sehe Licht. Sterne. Die Menschen verschwimmen. Ich taumle nach hinten, greife immer wieder ins Leere. Es werden wieder Fotos gemacht. Videos aufgenommen. Fragen gestellt. Die Tür. Ich reiße sie auf und schmeiße sie hinter mir zu.

Ich schließe ab. Atme durch. Bekomme keine Luft mehr. Ich zittere. Kann mich kaum auf den Beinen halten. Ich sehe nichts. Ich höre nichts. Stehe unter Schock.
Andreas: Christian!"
Ein Arm an meiner Schulter. Ich schlage den weg. Drehe mich um. Mein Bruder. Er schaut mich verwirrt an, dann besorgt.
Chris: Schick sie weg! Schickt sie weit weg! Sie sollen mich lassen! Sie sollen abhauen!"
Ich schaue ihn an. Höre mein eigenes Wort kaum. Er sagt etwas, aber das verblasst vor mir. Ich laufe los. Ich laufe weg. Ich laufe wieder hoch in das Büro. Ich pralle gegen irgendwelche Wände. Ich schließe mich weg. Ich will allein sein.
Chris: Nicht wieder...bitte nicht schon wieder..."
Im Büro. Allein in Büro ohne irgendjemand anderes. Ich will keinen anderen hier haben. Ich schlürfe über den Boden, fallen langsam in mich zusammen, bis ich am Boden knie und später fast liege. Meinen Kopf in meine Hände gelegt, dabei brauche ich Luft. Luft zum Atmen und Leben. Ich nehme meine Hände weg, sehe meine Tränen, atme.
Chris: Bitte nicht schon wieder...bitte nicht wieder ich..."

Sicht von Anissa...

Ich stehe im Fahrstuhl zu meiner Wohnung. Der Tag war langweilig und ätzend. Ein paar Songs aufgenommen, aber mehr ist nicht gewesen. Jetzt bin ich endlich wieder zu Hause und checke auf den Weg in meine Wohnung meinen Account auf Instagram. Seltsam...ich generiere in wenigen Wochen kaum derartig viele Follower. Tausend oder so im Monat, aber nicht mehrere in zwei Wochen. Dazu viele Kommentare, private Nachrichten, Likes, Markierungen auf Beiträgen oder Storys. War etwas? Das Video ist nicht online. Wir hatten keinen Auftritt. Kein Interview. Es ist in den letzten Wochen nichts passiert, oder?

Die Tür öffnet sich und Sylvester kommt zu mir gelaufen. Ich streichle ihn, bevor ich in die Küche vorlaufe, damit er etwas zu essen bekommen kann. Dort liegt mein anderes Handy, was immer wieder aufblinkt. Ich werfe einen Blick darauf, während ich die Dose für Sylvester öffne. Annika, eine Freundin aus Berlin, hat die letzte Nachricht geschrieben.
Annika: Warum hast du nichts gesagt!?
Was soll ich gesagt haben? Haben wir etwas veröffentlicht? Ein spontanes Konzert? Was ist passiert bitte? Ich tippe auf die Nachricht. Okay...130 Nachrichten auf WhatsApp hier, krass. Ich bin aber bei Annika und bin froh, dass sie noch online ist.
Anissa: Kannst du mir bitte sagen, was los ist? Ich kriege den ganzen Tag schon Nachrichten und habe keinen Plan, was die Band getan haben soll.

Der Napf von Sylvester steht neben mir, er sitzt unter mir bei meinen Beinen und wartet auf seinen Essen. Dann die Antwort von Annika. Die Dose fällt zu Boden. Sylvester läuft weg. Ich schlage meine Hand vor meinen Mund. Will schreien. Will weinen. Unterdrücke alles, was gerade in mir hochkommt. Das Klirren des Napfes folgt augenblicklich. Ich höre auf zu atmen. Zittere. Stocke. Klicke auf die Nachricht. Lasse den Link öffnen. Lese. Sehe. Will weinen. Will schreien. Will zusammenbrechen.

»My Lover« für ihn geschrieben? – Anissa Sanders scheinbar an bekannten deutschen Magier vergeben!
Passt perfekt! – Finden auch die Fans der Bassistin Anissa Sanders der Band Public Therapy und die des Magiers Christian Ehrlich des Duos Ehrlich Brothers. Eng umschlungen, zärtlich und deutlich verliebt wurden sie zusammen in Münster gesichtet. Dass die beiden Sternchen was am Laufen haben, wurde lange vermutet. Die Timeline hier im Überblick!

Ein Bild. Wir beide im Club in Münster. Der Moment, wo wir beide uns das erste Mal richtig geküsst haben. Ein schöner Moment. Ruiniert. Von der Presse. Daneben unsere Bilder. vergrößert, dass auch jeder sehen kann, dass wir beide das sind. Mir wird schlecht. Ich weine. Ich zittere. Warum? Wie? Wer? Ich erfriere. Die Tränen laufen mein Gesicht runter. Meine Hand lasse ich langsam wieder fallen. Ich starre auf den Bildschirm, der automatisch schwarz wird. Chris! Ich renne. Aus der Küche. In den Flur. Mein anderes Handy. Ich muss ihn anrufen. Seine Nummer wählen. Ich stolpere durch meine Wohnung. Geh verdammt nochmal ran! Ich stoppe vor dem Fenster.

»Hi! Hier ist die Mailbox von Chris. Ich bin gerade wohl nicht in der Nähe meines Handys oder hole meinen Schlaf nach. Hinterlass mir eine Nachricht, ich melde mich schon wieder. Bis dann!«

Das Piepen, dass ich reden kann. Aber ich weine. Schluchze. Ich setze zum Satz an und bekomme ihn nicht raus. Ich falle auf die Knie, fange hysterisch an zu weinen. Halte mein Handy von mir weg. Schaue auf die Dachterrasse. Auf das graue Berlin. Ich atme. Brauche Luft. Zum Leben. Zum Atmen. Zum Weitermachen.
Anissa: Chris...es tut mir so...so...so verdammt leid...ich wollte das nicht...ich wollte das alles doch nicht...

Two Sides of Our LifeKde žijí příběhy. Začni objevovat