Two Sides of Our Life

Kapitel 78

Sicht von Chris...

Anfang April haben mein Bruder und ich ein paar freie Tage zu Hause. Wäre der Block in Frankfurt nicht, dann hätten wir mittlerweile auch frei. Aber durch die Verlegung, geht es in zwei Wochen nochmal für ein Wochenende weg. Es gibt deutlich schlimmeres.

Heute habe ich noch nicht viel von Anni zu hören bekommen. Sie meinte, dass es daran liegt, dass sie heute noch ein paar Termine zu erledigen hat. Es war heute morgen mehr als ungewohnt von ihre eine Nachricht schon um neun Uhr morgens erhalten zu haben. Sonst ist Anni nicht vor elf auf den Beinen. Ich habe aber auch das Gefühl, dass ihr die letzten Wochen ein bisschen zusetzen. Natürlich habe ich auch wieder mitbekommen, dass etwas über ihren Gitarristen berichtet wurde. Normal wollte ich gar nicht mit ihr darüber sprechen, aber Anni hatte mich irgendwann spät abends noch über Facetime angerufen und ich habe sie bisher noch nie derartig wütend gesehen. Julian geht ihr seit dem Abend großräumig aus dem Weg, da er der Meinung ist, dass sie etwas damit zu tun hat. Und dann stecken die vier aber mitten in den intensiven Proben und kommen nicht voneinander los. In deren Probenraum will ich gerade nicht mit anwesend sein.

Abends bin ich zumeist zu Hause. Zwar hatten auch meine Freunde mal gefragt, ob wir etwas unternehmen wollen, aber solange die Tour nicht vollkommen abgeschlossen ist und die Pause beginnt, kann ich nicht ganzheitlich ausschalten. Ich habe sie daher auf Ende April verströstet und selbstverständlich haben sie das auch verstanden. Tweety sitzt auf seinem Ast im Wohnzimmer, während ich die Sachen vom Abendessen in die Spülmaschine einsortiere. Im Hintergrund läuft ein Film, den ich gerade weniger beachte, aber sonst wäre es mir hier zu still. Die letzten Sachen finden ihren Weg in die Spülmaschine oder zurück in die Schränke, da leuchtet mein Handy auf.
Anissa: Hast du gleich Zeit? Bin endlich wieder zu Hause angekommen.
Sie war heute lange unterwegs und wird vermutlich fertig sein. Aber wenn Anni noch etwas Zeit mit mir verbringen will, sage ich auch nicht nein und tippe daher schnell eine Nachricht ein.
Chris: Sehr gerne. Ich würde dich gleich anrufen, da ich noch kurz was in der Küche erledigen muss. Passt es dir in so fünf Minuten?
Anissa: Passt perfekt.
Jetzt habe ich einen Grund, dass ich mich etwas beeilen muss. Alles ist weggeräumt und ich habe es auch noch geschafft mir etwas zu trinken mit ins Wohnzimmer zu nehmen, bevor ich den Anruf an Anni tätige.

Mein Handy lehne ich gerade gegen eine der Schalen, die auf den Tisch stehen, als sie den Anruf in Berlin entgegennimmt. Auch wenn Anni mich anlächelt, ich sehe, dass das nicht komplett ehrlich ist.
Chris: Okay...was ist mit dir los?"
Anissa: Was meinst du?"
Chris: Dein Lächeln ist irgendwie ehrlich, aber zugleich auch sehr erzwungen..."
Danach lehnt sich Anni gegen die Lehne des Sofas, wo ich gleich sehen kann, dass sie ihr Gesicht schmerzhaft verzieht.
Anissa: Ein ganzen verdammten Tag stehen, den schweren Bass über den Schulter haben und dann noch für die Show proben...ich habe Schmerzen..."
Chris: Hast du was zu Hause, damit du den Abend überlebst?"
Anissa: Ich würde gleich mal schauen..."
Mit etwas Geduld und Zeit steht Anni vorsichtig auf, wobei man ihr noch immer anerkennen kann, dass sie Schmerzen hat. Kurz bleibt sie noch stehen und schaut zu mir hin.
Chris: Innerhalb eines Tages nochmal so zehn Jahre gealtert."
Anissa: Dann wäre ich ja nur so alt wie du, Chris."
Ich bin still und sie hat ein Lächeln auf den Lippen, was zum leichten Lachen übergeht.
Chris: Da habe ich nur gegen mich selbst gespielt...Mist..."

In der Zeit, wo Anni ins Badezimmer gehen wird, wechsle ich den Film, der mittlerweile auch durchgelaufen ist. Für die Zeit, wo ich mit Anni noch hier bin, muss ich etwas laufen haben. Der neue Film läuft ein paar Minuten und dann kommt Anni auch wieder, aber dieses Mal legt sie sich aufs Sofa und stellt daher ihr Handy etwas anders hin. Als ich sie wieder sehe, muss ich mich wirklich zusammenreißen, dass ich nicht anfangen zu lachen.
Anissa: Das ist überhaupt nicht lustig, Chris!"
Während sie sich aufregt, muss Anni selbst lachen und legt ihre Hände danach auf ihren Brustkorb. Ich will ihr das ja gar nicht antun, aber sie macht es ja selbst.
Chris: Also ich weiß, wie ich mich bei unseren Proben verletzten kann, aber wie du das geschafft hast, verstehe ich wirklich nicht."
Anissa: Ich habe ein Talent für sowas."
In gewissen Zügen kann man es ihr immer ansehen, wenn sie nicht vollkommen die Wahrheit sagt und so ist es auch da der Fall. Ich überlege, ob ich nachfragen sollte oder ob es eben ihre Sache ist. Sie wird schon nur über die Dinge reden, die sie mit mir teilen will.
Chris: Ist etwas bei dir passiert? Wurde dir etwas angetan?"
Anissa: Was?! Warum fragst du mich das, Chris?"
Chris: Weil du mir nicht die komplette Wahrheit sagst."
Anissa: Mach dir keine Sorgen Ich verspreche dir, dass ich dir das sagen würde. Mir wurde nichts angetan, wirklich."

Ich nicke still, da ich ihr das glauben will. Außerdem kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es zwischen ihr und den anderen in der Band derartig eskaliert. Während ich schweigend zu ihr schaue, schaut Anni kurz an dem Handy vorbei, lächelt etwas, weil einen Moment später Sylvester zu ihr aufs Sofa springt. Der legt sich vor ihr hin, sodass Anni ihm durchs Fell gehen kann.
Anissa: Du weißt gar nicht, dass dich Sylvester sehr vermisst."
Ich kann darüber lachen. Anni meinte vorher immer, dass Sylvester fremde Menschen nicht leiden kann und dass er immer beleidigt schaut. So habe ich ihn gar nicht kennengelernt. Auch sie muss deswegen lache, legt ihre Hand dann wieder auf ihren Bauch ab und schaut kurz an die Decke.
Anissa: Ach Gott...was habe ich mir da auch angetan..."
Chris: Du hast immerhin einen kleinen flauschigen Kater, der für dich da ist."
Anni muss unsicher lächeln, schaut zuerst noch zu mir hin und danach zu Sylvester.
Anissa: Ja...aber wir beide vermissen dich gerade sehr..."
Meinen Blick muss ich von ihr abwenden, damit sie nicht sieht, dass ich mein Grinsen mir selbst verbiete, aber ich höre sie lachen. Sie hat es natürlich gesehen.
Chris: Ich vermisse dich auch, Anni...