𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟡𝟜

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Dag kam aus dem Badezimmer und rubbelte über seine noch feuchten Haare. Er ging ins Wohnzimmer und sah, das Isabelle dort nicht lag.

Seit Tagen schlief sie teilweise auf der Couch, statt bei ihm im Bett. Manchmal trug er sie unter dem Umstand ins Schlafzimmer. Gelegentlich ließ er sie aber an gleicher Stelle nächtigen und legte sich dann auf den anderen Ottomanen, um in ihrer Nähe zu sein.

Nia war bereits in der Schule. Sie hatte es im Grunde ohne schwerwiegende Probleme aufgenommen, dass ihr Bruder verstorben war, auch wenn sie sehr getrauert und viel geweint hatte. Dags Problem war, das sie ihre Mutter gegenwärtig in diesem Zustand, in dem sie sich befand, miterleben musste.

Er ging zum Schlafzimmer und linste hinein. Keine Isabelle.

Ihm war klar, an welchem Ort er sie vorfinden würde. Dort verbrachte sie schließlich viele Stunden.

Die Tür des angeführten Zimmers war nur angelehnt, was seine These bestätigte. Langsam öffnete er diese und sah sie dort auf dem Boden im Schneidersitz sitzen. Sie starrte auf die bunte Wand vor ihr. »Isy?«

Sie regte sich nicht, aber hielt krampfhaft den Strampler fest, den er hatte anfertigen lassen mit Rios Namen darauf. Auch wenn er diesen nie angehabt hatte, war es für sie etwas geworden, das sie mit ihrem Sohn verband.

Dag näherte sich ihr und ging in die Hocke. »Ich hab' frischen Kaffee aufgebrüht. Soll ich dir einen bringen?« Sie schüttelte den Kopf und er sah auf die Uhr. »Katja kommt in etwa einer Stunde und fährt mit dir zur Therapie.«

Ein leichtes Nicken konnte er vernehmen, doch er wusste, das ihr diese Arztbesuche derzeit nichts brachten. Denn sie schwieg.

Sie schwieg nicht den ganzen Tag. Aber über dieses Thema sprach sie nie. Nicht mit dem Arzt. Nicht mit Katja, geschweige denn mit ihm.

»Vincent kommt jede Sekunde. Du bist dann alleine. Ist das okay für dich? Ich bleib' nicht lange im Studio.«

Sie sah nun zu ihm rauf. »'kay.«

Dag versuchte ihre Stirn zu küssen, doch sie drehte sich dabei unbewusst leicht weg, weshalb er diese nur streifte. Elegisch stand er auf und sah sich in dem Zimmer um, das er fast fertig gehabt hatte. Die eine Wand, auf die sie so oft blickte, war mit lauter bunten Spritzern bepinselt, während in der Mitte der Name Rio in großen Lettern geschrieben stand. Dies hatte er mit Absicht so gemacht, weil Isabelle das Fotoshooting von „Die bunte Seite der Macht" so sehr mochte und sie zeitgleich auf ihrem rechten Oberschenkel die Textzeile „... vom Leben gezeichnet, in den buntesten Farben" eintätowiert hatte, wobei ebenso lauter bunte Farbspritzer rundherum zu sehen waren.

Er empfand es als traurig, wenn er bedachte, wie sehr sie nun vom Leben gezeichnet war.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ er den Raum, als ihn auch schon die Nachricht ereilte, das Vincent bereits draußen im Auto auf ihn wartete.

Er zog seine Schuhe an, nahm seinen Schlüssel und schlurfte zu ihm.

»Morgen.« , sagte Vincent zur Begrüßung und fuhr auch sofort los. »Alles soweit okay?«

»Nein. Aber das Leben geht weiter.«

»Katja hat gesagt, dass Isabelle keine Medikamente nehmen will.«

»Hmm.«

»Und wie geht's dir?«

»Wie soll's mir gehen?« Dag sah ihn kurz an und brach dann in Tränen aus. All das Gestaute, was er Isabelle zuliebe nicht rausließ, zerfiel nun wie ein Kartenhaus. Vincent reagierte sofort und steuerte seinen Wagen in eine minimale Parklücke hinein, ehe er ihn umarmte. »Ich erreiche sie nicht. Sie ist da, aber auch irgendwie nicht. Weißt du, was ich meine Vince?!«

»Ja.« Natürlich wusste er, wovon sein Freund sprach. Schließlich erlebte er Isabelle nicht anders in letzter Zeit.

»Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.« Er löste sich aus seiner Umarmung und hielt sich die Hände auf die Schnelle vor sein Gesicht, ehe er sich über die Augen rieb. »Ich will einfach nur mein Leben zurück. Unser Leben.«

»Ich weiß.« Vincent fand den Satz blöd, dass mit der Zeit alles besser werden würde, aber irgendwie lag ihm genau dieser momentan auf der Zunge. Dennoch sprach er diesen nicht aus. Er rieb mit seiner Hand über Dags Rücken, was im Grunde auf irgendeine Weise dasselbe bedeutete.

»Ich weiß nicht mehr, wie ich das alles packen soll. Ich will ihr so gerne helfen, aber weiß nicht wie. Und dann muss ich sie auch noch alleine lassen.« Er sah Vincent nun an. »Nichts gegen dich. Oder uns. Ich meine halt generell. Mir wächst momentan alles über den Kopf.«

Vincent holte sein Handy raus. »Mach dir keine Gedanken okay. An erster Stelle steht jetzt deine Familie. Alles andere ist nebensächlich.«

»Was meinst du?«

»Ich bring' dich jetzt wieder nach Hause und du wirst gemeinsam mit Isabelle die Therapie machen. Du nimmst dir so viel Zeit, wie du benötigst, um auch selber wieder ein wenig klar zu kommen, und erst dann geht's weiter.«

»Was?«

»Ich werd' jetzt danach ein paar Telefonate führen und die anstehenden Termine für den Rest des Jahres canceln.«

»Vincent, das ist ...«

»... das, was du jetzt benötigst. Was ihr benötigt.«

»Aber die restliche Tour ...«

»Nein Dag. Deine Familie, die Gesundheit deiner Familie das ist oberste Priorität. Arbeiten können wir immer. Musik machen, läuft uns nicht weg.« Er sah in den Rückspiegel und fuhr rückwärts raus, während er danach auf der Fahrbahn wendete und zurückfuhr. »Du schwingst jetzt deinen Arsch nach Hause zu deiner Frau. Um alles andere kümmere ich mich.«

Ergriffen von dem was sein bester Freund für ihn tat, fing er erneut an zu weinen. »Ich danke dir.«

»Du musst mir nicht danken. Das ist selbstverständlich. Und Dag ...« Er hielt vor seiner Türe. »... ich weiß, dass du für Isabelle der Starke sein willst, aber du musst es auch rauslassen. Du darfst schwach sein. Schrei und weine so viel, wie du nur kannst, aber lass es raus.«

Dag nickte und umarmte seinen Freund auf Lebzeiten nochmal, ehe er ausstieg und zurück zu Isabelle ging.

Ich bin der falsche Mann für die richtige Frau (Band 2)Where stories live. Discover now